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"Viele warten seit Monaten auf ihren Lohn"

In Irans Oppositionsführer Mussawi setzt auch die Arbeiterschaft ihre Hoffnung auf Verbesserungen

Kambiz Behbahani ist in Iran geboren und lebt seit 1973 als Journalist in Berlin. Er schreibt auch für Neues Deutschland, unter anderem über Themen der iranischen Gewerkschaften. Mit ihm sprach für das "Neue Deutshcland" Ina Beyer.



ND: Würde sich die Lage für Irans Gewerkschafter unter Mussawi tatsächlich verbessern?

Kambiz Behbahani: Auf jeden Fall. Unter Ahmadinedschad gab es eine enorme Kapitalflucht im Land und Firmenpleiten wurden ignoriert. Präsident Mahmud Ahmadinedschad betreibt bekanntlich eine extrem arbeiterfeindliche Politik. Gewerkschaftliche Proteste werden blutig niedergeschlagen, ihre Führer ins Gefängnis gesteckt und zum Teil auch gefoltert.

Das hat dazu geführt, dass ein großer Teil der Arbeiterschaft in Iran mit Ahamdinedschads Politik unzufrieden ist. Dazu kommen mafiöse Strukturen und ein anhaltender Warenschmuggel, die dazu führen, dass iranische Waren nicht gekauft werden, weil alles andere billiger ist. Das hat zum Zusammenbruch der Infrastruktur geführt.

Wie will Mussawi für Verbesserungen sorgen?

Mussawi hat sich in seiner Zeit als Ministerpräsident sehr stark für eine Verstaatlichung der Unternehmen -- beispielsweise der Erdölraffinerien -- eingesetzt und galt als Gegner der Privatisierungen, die im Land immer stärker um sich greifen. Er hat außerdem angekündigt, dass er den Weg frei machen wird für ausländische Investitionen -- unter Besserung der Lage der Arbeiter. Deshalb verbinden sich mit ihm große Hoffnungen auf eine Verbesserung der jetzigen Situation.

Hat Mussawi konkrete Versprechen gegeben? Etwa, dass er unabhängige Gewerkschaften zulassen wird, die unter Ahmadinedschad verboten sind, und die noch inaftierten Gewerkschafter freilassen beziehungsweise auch keine weiteren einsperren wird?

Mussawi ist mittlerweile zur Symbolfigur der »sanften Revolution« geworden, von der im ganzen Land derzeit gesprochen wird. Deshalb würde er niemals den selben Kurs verfolgen, wie Ahmadinedschad. 400 Betriebe sind unter dem aktuellen Präsidenten geschlossen worden, weitere 200 000 Menschen haben ihre Jobs verloren. Viele Beschäftigte warten seit vielen Monaten auf ihre Gehälter.

Zwei der großen Punkte, die Mussawi in seinen Reden immer wieder angesprochen hat, sind die Wirtschaft, die er wieder in Gang bringen will, und die Frauen- und Menschenrechte. Er hat sich auch für die Freilassung aller politischer Gefangenen ausgesprochen. Dazu zählen meiner Ansicht nach auch die inhaftierten Arbeiterführer.

Beteiligen sich auf viele Arbeiter an den aktuellen Protesten?

Das ganze Land ist auf den Beinen. Die Forderungen der Arbeiter stehen dabei nicht im Vordergrund. Man ist sich einig, dass das vorrangige Ziel der Demonstrationen sein muss, den Wahlbetrug aufzudecken. Aber natürlich sind viele der Demonstrierenden auch Arbeiter. In der vergangenen Woche sind beispielsweise Krankenschwestern, Pfleger und Ärzte des Teheraner Krankenhauses Rasule Akram auf die Straßen gegangen, um gegen das Vorgehen der Zivilgarde Ayatollah Ali Khameneis zu protestieren. Mit kleinen Kugeln schießt die den Protestierenden auf den Körper. Doch die Verletzten haben Angst, sich im Krankenhaus behandeln zu lassen, weil sie Repressionen durch die Staatsorgane befürchten. Unter diesen Umständen, so die Kritik der Protestierenden, ist keine Behandlung möglich.

Aktionen wie diese schüren beim iranischen Regime nun vermehrt die Angst vor einem Generalstreik. Im Land wird bereits darüber diskutiert und auch Mussawi selbst hat die Arbeiterschaft aufgefordert, in den Generakstreik zu treten, falls er verhaftet oder gar ermordet werden sollte.

Globaler Aktionstag der Gewerkschaften

Am heutigen Freitag (26. Juni) findet ein globaler Aktionstag zur Unterstützung der iranischen ArbeiterInnen statt. Die Hauptforderungen der vom Internationalen Gewerkschaftsbund, der internationalen Transportarbeitergewerkschaft, Amnesty International und anderen ausgerufenen Kampagne sind:
  • Sofortige und bedingungslose Freilassung aller im Gefängnis sitzenden Gewerkschafter
  • Bedingungslose Anerkennung aller unabhängigen Gewerkschaften in Iran und die Wiedereinstellung von Arbeitern, die als Folge ihrer Unterstützung dieser Organisationen benachteilt wurden
  • Ratifizierung wichtiger ILO-Konventionen zur Organisierungsfreiheit und zum Recht auf Durchführung von Tarifverhandlungen durch die iranische Regierung
  • Abschluss von Tarifverträgen zwischen unabhängigen Gewerkschaften und maßgeblichen Arbeitgebern sowie Wiedereinstellung unfair gekündigter Beschäftigter.


* Aus: Neues Deutschland, 26. Juni 2009


G8-Außenminister richten dringenden Appell an Iran **

Die G8-Außenminister haben am Freitag (26. Juni) bei ihrem Treffen im italienischen Triest ihre Besorgnis über die Situation nach den Präsidentenwahlen am 12. Juni ausgedrückt.

Sie verurteilten die Gewalt und riefen die Regierung in Teheran auf, die Krise mittels eines demokratischen Dialogs zu regeln.

„Wir sind über die Situation nach den Wahlen in Iran besorgt“, heißt es in einer Erklärung des Vorsitzenden des G8-Außenministertreffens. „Wir respektieren voll und ganz Irans Souveränität, äußern aber zugleich unser Bedauern über die Gewalt, die nach den Wahlen angewendet wurde und zu Opfern unter der Zivilbevölkerung geführt hat.“

Darüber hinaus bekräftigten die Außenminister ihr Festhalten an einer diplomatischen Regelung des Atomstreits mit Iran. Außerdem bekundeten sie ihre Unterstützung für die Bemühungen der USA zu direkten Verhandlungen mit Teheran sowie für den Vorschlag der UN-Vetomächte plus Deutschland, die Atom-Gespräche wiederaufzunehmen.

„Zugleich äußern wir unser Besorgnis über die Non-Proliferation-Risiken, die das iranische Atomproblem in sich birgt“, heißt es in der Erklärung der G8-Außenamtschefs. „Wir erkennen zwar Irans Recht auf ein ziviles Atomprogramm an, dieses muss aber bei vorliegender Bereitschaft umgesetzt werden, um das Vertrauen zum ausschließlich friedlichen Charakter der nuklearen Aktivitäten Irans wiederherzustellen.“

Die G8-Außenminister riefen Iran zur umfassenden Zusammenarbeit mit der Internationalen Atomenergiebehörde IAEA und zur Umsetzung der entsprechenden Resolutionen des UN-Sicherheitsrats auf.

„Wir fordern Iran auf, die grundlegenden Menschenrechte, einschließlich der Redefreiheit, zu respektieren“, wurde betont. „Die Krise muss innerhalb kürzester Zeit auf dem Wege eines demokratischen Dialogs und mit friedlichen Mitteln geregelt werden. Wir rufen die iranische Regierung auf, es zu garantieren, dass der Wille des iranischen Volkes im Wahlprozess seinen Niederschlag findet.“

** Quelle: Russische Nachrichtenagentur RIA Novosti, 26. Juni 2009; http://de.rian.ru




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