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Verraten und verkauft

Freiheit und Emanzipation als Dauerthemen der iranischen Moderne in "Women without Men"

Von Elsa Koester und Pedram Shahyar *

Iran im Jahr 1953: Nach der Verstaatlichung der Ölförderung blockiert Großbritannien iranische Öltanker. Der populäre Präsident Mossadegh wird durch einen von Briten und USA initiierten Militärputsch gestürzt. Teherans Straßen füllen sich mit wütenden Massen. Kommunisten verteilen Flugblätter. Vier Frauen flüchten vor ihren Männern in einen verwunschenen Garten.

Der Film »Women without Men« ist eine große Erzählung iranischer Geschichte, basierend auf der Romanvorlage der iranischen Autorin Sharnush Parsipur. Es ist die ewige Geschichte vom iranischen Kampf um Befreiung, der in den Schicksalstagen des Jahres 1953 einen herben Rückschlag erlebt. Und die ewige Geschichte vom Kampf der Frauen um ihre Befreiung. Beide Kämpfe sind geschichtlich unzertrennlich verbunden und scheitern gemeinsam in diesem Film.

Die Regisseurin Shirin Neshat erzählt über das Schicksal von vier Frauen, die unterschiedlicher nicht sein könnten: eine junge Aktivistin, die sich den Kommunisten anschließt, ihre Freundin unter dem Tschador, eine junge Prostituierte und eine Dame aus besseren Kreisen, die sich im Künstlermilieu aufhält. Es sind die Dauerthemen der iranischen Moderne, die den Rahmen dieses Films setzen: die Geschlechtergerechtigkeit und der Kampf um Freiheit und Emanzipation.

Zentrum dieser Kämpfe ist der Garten vor den Toren Teherans, ein klassischer Topos der mystischen iranischen Literatur. Er bietet den Frauen Zuflucht vor dem Gefängnis der Ehe, vor der Zwangsverheiratung, vor Vergewaltigern und gesichtslosen Freiern. Protest und Selbstorganisation auf den Straßen Teherans und in der grünen Oase: Für einen Moment ist die Befreiung lebbar. Die Flucht vor den Männern, die - natürlich mit Ausnahme der Kommunisten - als Unterdrücker fungieren, kann nur »außerhalb« gelingen. Der Garten als eine abgeschiedene Traumwelt ist eine Anspielung auf die innere Emigration unterdrückter Frauen, auf die gängige Erfahrung unterdrückter Lebenslust. Neshats Film ist in diesem Sinne radikal feministisch und zeugt von der explosiven Aufladungen der geschlechtlichen Spannungen im Iran. Nicht zuletzt verweist der Garten aber auch auf das Exil vieler Iraner, die erst außerhalb des Landes politisch aktiv werden können.

Eine Ausnahme unter den vier Frauen ist das Schicksal von Munis, der politischen Aktivistin. Von ihrem Bruder des Radios als letzte Brücke zum politischen Geschehen beraubt, bleibt ihr nur die Flucht in den Freitod - von dem sie als Kommunistin wiederaufersteht. Eine Verdrehung des Motivs: Stirbt man im Iran eigentlich als Kommunist, muß hier die Frau erst sterben, um dann Kommunistin werden zu können. Die Selbstmordrate von Frauen im Iran ist weltweit eine der höchsten.

Doch die Flucht muß scheitern. Die Frauen verraten sich an die Männer, die iranische Bourgeoisie verkauft sich an das iranische Militär. Verloren wird nicht nur Teheran, sondern auch der verschönerte Garten muß dem Genuß der Offiziere geopfert werden.

Eine iranische Tragödie also? Nicht ganz. In der ästhetischen Flucht in das Surreale behält der Film eine optimistische Perspektive. Die Niederlage beherrscht das Konkrete, aber insbesondere in den Farben und dem Oberton des Films, im Abstrakten, bleibt die Idee des Kampfes um die Befreiung lebendig. Wenn die Realität verloren ist, verschiebt sich die Befreiung in das Träumerische und bleibt so für das Kommende bewahrt. Hier beginnen die Farben zu tanzen, die Welt sich zu drehen. Das saftige Grün des verwunschenen Gartens steht in krassem Gegensatz zum ungesättigten grau-braun der Stadt und des Militärs.

Mit ihrem Langfilmdebüt gelingt es der Regisseurin, das Porträt als traditionelle Stärke des iranischen Kinos mit farblichen Überdrehungen und Verfremdungen zu kombinieren, um so ein surreales Befreiungsdrama zu schaffen, das es in dieser Form noch nicht gab. Leider wird dabei zuweilen die Balance verloren, es kommt zu Längen, am Ende leidet der Film doch noch an der Überladung an Motiven.

Die Botschaft jedoch ist klar: Der Kampf geht weiter. So widmet Neshat ihren Film zum Schluß »all jenen, die ihr Leben im Kampf für Freiheit und Demokratie im Iran verloren haben - von der konstitutionellen Revolution bis zur Grünen Bewegung von 2009«. Im Kontext der lebendigen und starken Frauenbewegung der letzten Jahre im Iran und der aktuellen Revolte gegen die islamische Regierung gewinnt »Women without Men« eine besondere Aktualität - nicht ohne die politischen Verhältnisse wieder in ihren historischen und internationalen Kontext einzubetten.

»Women without Men«, Regie: Shirin Neshat, Deutschland 2010, 99 min

* Aus: junge Welt, 1. Juli 2010


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