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Wie kleine Kinder

Verschleppte Verhandlungen im Atomstreit zwischen Iran und der Sechsergruppe

Von Knut Mellenthin *

Im Streit um das iranische Atomprogramm hat Rußlands Außenminister Sergej Lawrow am Montag alle Beteiligten aufgerufen, »sich nicht wie kleine Kinder zu benehmen«. Seine Bemerkung bezog sich auf gegenseitige Schuldzuweisungen für das Nichtzustandekommen einer Vereinbarung über Ort und Zeitpunkt des nächsten Treffens. Die letzte Gesprächsrunde zwischen den 5+1 und Iran hatte im Juni vorigen Jahres in Moskau stattgefunden. Die Sechsergruppe besteht aus den fünf ständigen Mitgliedern des UN-Sicherheitsrats USA, Rußland, China, Großbritannien und Frankreich, ergänzt durch Deutschland.

Bis Mitte Januar gaben sich beide Seiten zuversichtlich, daß man sich noch während des laufenden Monats treffen werde. Am Freitag voriger Woche wurde bekannt, daß es frühestens im Februar zur Fortsetzung der seit sieben Monaten unterbrochenen Gespräche kommen wird. An diesem Tag rief Helga Schmid ihren iranischen Kollegen Ali Baqeri an, um ihm eine entsprechende Mitteilung zu übermitteln. Die deutsche Diplomatin Schmid, 1998 bis 2000 Beraterin von Außenminister Joschka Fischer, ist seit 2010 Stellvertreterin der EU-Außenpolitikchefin Catherine Ashton, die als Sprecherin und Geschäftsführerin der Sechsergruppe agiert. Baqeri ist Stellvertreter von Said Dschalili, dem Sekretär des Obersten Nationalen Sicherheitsrats. Dieses Gremium ist für die Verhandlungen um das iranische Atomprogramm zuständig. Dschalili wird deshalb im Ausland der Einfachheit halber als »Chefunterhändler« bezeichnet, obwohl dieser Titel in iranischen Publikationen nie auftaucht. Über Schmid und Baqeri verläuft seit Juni 2012 die einzige offizielle Kommunikationslinie zwischen den 5+1 und Iran.

Schon vor Schmids Anruf bei Baqeri hatten westliche Medien über Beschwerden anonymer Diplomaten aus dem Kreis der 5+1 berichtet, daß Iran eine Einigung über die Eckdaten der nächsten Gesprächsrunde verschleppe, um Zeit zu gewinnen. Seit Montag machen sich das Büro von Lady Ashton und iranische Diplomaten mit sich widersprechenden Äußerungen gegenseitig für die Verzögerung der Verhandlungen verantwortlich. Ashtons Sprecher Michael Mann behauptet, Iran habe den Vorschlag der Sechsergruppe abgelehnt, sich am 28. und 29. Januar im türkischen Istanbul zu treffen. Dadurch sei die Verschiebung auf Februar unvermeidlich geworden.

Dagegen erklärte der iranische Außenminister Ali Akbar Salehi am Montag auf einer Pressekonferenz, sein Land habe Kairo als Ort des nächsten Treffens vorgeschlagen. Das sei von ägyptischer Seite begrüßt, aber von den 5+1 abgelehnt worden. Die Sechsergruppe sei daran interessiert gewesen, die Verhandlungen »an einem anderen Ort« fortzusetzen. Es seien ein halbes Dutzend Länder vorgeschlagen worden, darunter Kasachstan, Schweden, die Schweiz und Turkmenistan. Ausdrücklich gefragt, was denn mit Istanbul gewesen sei, antwortete Salehi, die Türkei sei »eine unserer besten Optionen« für die Gesprächen und »wir haben damit keine Probleme«.

Lawrows Rat, »sich nicht wie kleine Kinder zu benehmen«, wirkt vor diesem Hintergrund plausibel. Allerdings verbirgt sich hinter dem lächerlich erscheinenden Feilschen um Ort und Zeitpunkt der nächsten Begegnung, daß beide Seiten sich vermutlich nichts wirklich Neues zu sagen haben. Es gibt keine Anzeichen, daß die Sechsergruppe über ihr im vorigen Jahr gemachtes Angebot nennenswert hinausgehen will. Sie fordert, daß Iran als einseitige »vertrauensbildende« Vorleistung die Anreicherung von Uran für medizinische Zwecke auf 20 Prozent stoppt, das bisher produzierte Material abliefert und die in einem Bunker liegende Anlage in Fordow stillegt. Die Sanktionen sollen jedoch bestehen bleiben, bis Iran vollständig auf jede Anreicherung von Uran verzichtet. Dieses Ansinnen ist jedoch heute nicht attraktiver und realistischer als vor sieben Monaten.

* Aus: junge Welt, Donnerstag, 31. Januar 2013


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