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Iran-EU: Durchbruch bei den Atomverhandlungen

Ernste Krise abgewendet - Dämpfer für die USA - Informationen und zwei Kommentare

Am Abend des 14. November 2004 meldeten die Agenturen einen Durchbruch bei den Verhandlungen zwischen Europäischer Union und Iran:
Nach einmonatigem Tauziehen erklärte sich die iranische Regierung zu einem vollständigen Verzicht auf das Programm bereit, wie Irans Nationaler Sicherheitsberater Hassan Rouhani in Teheran mitteilte. Eine entsprechende schriftliche Zusage sei am Sitz der Internationalen Atomenergie-Behörde (IAEA) in Wien eingegangen, bestätigte ein IAEA-Sprecher.
Teheran werde auf "fast alle" Aktivitäten verzichten, die im Zusammenhang mit der Anreicherung stünden, sagte Rouhani nach einem Treffen mit den Botschaftern Deutschlands, Großbritanniens und Frankreichs. Das von Teheran Akzeptierte entspreche praktisch den Forderungen, die die IAEA im September in einer Resolution aufgestellt habe.
Die Anreicherung von Uran werde solange ausgesetzt, wie eine Langzeitregelung mit europäischen Vertretern verhandelt werde, ergänzte Hossein Mussawian, ein Mitarbeiter von Rouhani. Die Verhandlungen würden am 15. Dezember beginnen. Es sei "der Beginn der Normalisierung von Irans Dossier bei der IAEA".
Mussawian zufolge entsprach Teheran nicht nur der europäischen Forderung nach einem Stopp der Urananreicherung, sondern erklärte sich auch zur Einstellung anderer Prozesse des Brennstoffkreislaufs bereit, wie der Umwandlung von Roh-Uran in das Gas Uranhexafluorid und der Herstellung von Zentrifugenteilen.
Aus dem Umfeld der EU-Unterhändler in Wien hieß es, es herrsche "völliges Einverständnis zwischen der EU und den Iranern". "Alles" sei ausgehandelt worden. Die IAEA hatte Iran eine Frist bis zum 25. November gesetzt; sollte das Land bis dahin nicht seine Uran-Anreicherung stoppen, werde der Fall an den UN-Sicherheitsrat überwiesen. Vor allem die USA werfen Teheran vor, durch Uran-Anreicherung waffenfähiges Material für Nuklearwaffen herstellen zu wollen.
Die IAEA hatte am Vortag zum zweiten Mal die Vorlage ihres Berichts über das iranische Atomprogramm verschoben. Den europäischen Diplomaten sollte mehr Zeit gegeben werden, Iran zu einer einvernehmlichen Beendigung seiner Uran-Anreicherung zu bewegen und dadurch UN-Sanktionen zu vermeiden.
Das EU-Vermittlungsteam aus Deutschland, Großbritannien und Frankreich hatte Teheran einen umfangreichen Wirtschaftsaustausch angeboten, falls sich das Land zu einem Verzicht auf die Anreicherung von Uran bereit erklären sollte.

(Quelle: AFP, 14. 11.2004)

Im Folgenden dokumentieren wir zu den Verhandlungsergebnissen Auszüge aus Pressemeldungen vom 16. November 2004, eine Stellungnahme der deutschen Bundesregierung sowie einen Kommentar von Karl Grobe (Frankfurter Rundschau) und einen kürzeren Kommentar von Olaf Standke (Neues Deutschland).

Iran spielt auf Zeit

(...) Die iranische Regierung hat einen endgültigen Verzicht auf die Anreicherung von Uran abgelehnt. Die angekündigte Aussetzung der Urananreicherung bezeichnete Teheran als freiwillige Entscheidung ohne jede Verpflichtung. Es handele sich um eine vertrauensbildende Maßnahme, um die Welt vom friedlichen Charakter des iranischen Atomprogramms zu überzeugen, erklärte Außenamtssprecher Hamid Resa Asefi.

Nach Angaben der IAEO hat Teheran keinerlei deklariertes Atommaterial für verbotene Zwecke abgezweigt. In einem vertraulichen IAEO-Bericht wird bestätigt, dass Iran am 22. November sein Atomprogramm einstellen will und um Überprüfung durch die Atombehörde gebeten habe. Die UN-Behörde könne jedoch weiterhin nicht ausschließen, dass das Land ein geheimes Atomprogramm habe, hieß es.

Vorausgegangen waren Verhandlungen mit Deutschland, Großbritannien und Frankreich. Deren Ziel war allerdings der endgültige Verzicht Teherans auf nukleare Technologie. Die Bundesregierung erklärte, darüber gab es keine endgültige Einigung. Die Verhandlungen seien aber in "einem fortgeschrittenen Stadium".

Dagegen sagte der Sprecher des iranischen Außenministeriums, Hamid-Resa Asefi, in Teheran, die Hauptfrage sei jetzt "nicht länger, ob Iran Atomtechnologie zu friedlichen Zwecken besitzen darf, sondern wie diese Technologie angewendet wird, ohne dass dies international Besorgnis auslöst". Der iranische Unterhändler Hassan Rohani sagte, er hoffe, dass sich die IAEO auf ihrer Sitzung am 25. November nun nicht mehr mit Iran befassen werde.

Die IAEO könnte den Fall an den UN-Sicherheitsrat verweisen, der Sanktionen verhängen könnte.

Quelle: Frankfurter Rundschau, 16. Nov. 2004

IAEO: Bisher keine Beweise für iranisches Atombombenprogramm

Die Internationale Atomenergie-Organisation (IAEO) hat bisher keine Beweise gefunden, dass das Land nukleares Material für die Entwicklung von Atomwaffen verwendet hat. Dies geht aus einem Bericht der Atombehörde hervor, der am Montag in Wien bekannt wurde. Gleichzeitig räumte IAEO-Chef Mohammed El Baradei darin jedoch ein, dass seine Behörde ein heimliches Atomprogramm weiterhin nicht ausschließen könne. Der Bericht, der mehreren Medien vorliegt, wurde den 35 Mitgliedstaaten des so genannten IAEO-Gouverneursrates übergeben.

Das Aufsichtsgremium will am 25. November über das iranische Atomprogramm beraten. Dabei geht es auch um eine mögliche Überweisung des Falls an den Weltsicherheitsrat. Sollte das Gremium zu der Einschätzung kommen, dass die Regierung in Teheran den Besitz von Atomwaffen anstrebt, könnte der Sicherheitsrat Sanktionen verhängen. (...)

Quelle: Der Standard, 16. November 2004



Presse- und Informationsamt der Bundesregierung

Pressemitteilung (Veröffentlicht am: 16.11.2004)

Abkommen mit dem Iran

Die Bundesregierung begrüßt den Abschluss eines Abkommens zwischen Deutschland, Frankreich und Großbritannien (mit der Unterstützung des Hohen Beauftragten der EU) und dem Iran am 15.11.04.
Dieses Abkommen stellt einen wichtigen Schritt im Rahmen der globalen diplomatischen Bemühungen zur Nichtverbreitung von Kernwaffen dar.

Dieses Abkommen muss jetzt von beiden Seiten vollständig und verifizierbar umgesetzt werden. Kern der Absprachen ist die Zusage Irans zur freiwilligen Suspendierung aller Aktivitäten zur Urananreicherung/Wiederaufbereitung bis zum Abschluss eines langfristigen Abkommens. Die Suspendierung muss von der IAEO verifiziert werden.

Auf dieser Basis werden Deutschland, Frankreich und Großbritannien (unterstützt durch den Hohen Beauftragten der EU) Verhandlungen mit dem Iran über ein langfristiges Abkommen beginnen, das sowohl politische-, Sicherheits-, Technologie-, Nuklear- und wirtschaftliche Fragen behandeln wird. Deutschland und seine Partner werden diesen Verhandlungsprozess mit großer Entschlossenheit führen. Im Endergebnis erwartet die Bundesregierung dabei ein Ergebnis, das sowohl ihren als auch legitimen iranischen Interessen Rechnung trägt und langfristige und objektive Garantien enthält, dass Irans Nuklearprogramm ausschließlich friedlichen Zwecken dient.



Irritationen um Irans Atompoker

Neuer Vertrag mit EU sät auch neue Zweifel

Von Jan Keetman, Istanbul


Ein gutes Jahr nach der letzten Einigung mit der EU-Troika Frankreich, Großbritannien und Deutschland über die Aussetzung der Anreicherung von Uran hat Teheran erneut einem solchen Abkommen zugestimmt.

Mit diesem Schritt könnte Iran genau wie vor einem Jahr verhindern, dass seine nuklearen Aktivitäten von den USA vor den UNO-Sicherheitsrat gebracht werden. Dort hat das Land eine Verurteilung zwar nicht ernstlich zu befürchten, denn die Vetomacht China stellte sich bereits gegen die Initiative der USA.

Trotzdem könnten bilaterale Sanktionen der EU und Japans und eventuell militärische Schritte der USA folgen. Die Europäer beschuldigen Iran, die Abmachung von 2003 gebrochen zu haben. Auch Iran bestreitet nicht, dass der Bau von Zentrifugen für die Anreicherung von Uran nicht ganz eingestellt wurde. Die privaten Firmen, die am Bau beteiligt waren, hätten die Arbeiten nicht beendet, weil sie keine Entschädigung bekamen, heißt es dazu in Teheran.

Iran beschuldigt die Europäer seinerseits, die zugesagte technische Hilfe zur friedlichen Atomkraftnutzung nicht geleistet zu haben. Im mittlerweile von den Konservativen beherrschten Parlament wird außerdem argumentiert, dass man deswegen den Europäern nicht trauen könne und kein neues Abkommen schließen solle. Das alte wurde ohnehin nie ratifiziert. Doch steht hinter dem neuen Vertrag nicht nur die Regierung Khatami, sondern vor allem der Vorsitzende des Nationalen Sicherheitsrates, Hasan Rowhani. Rowhani ist nur dem konservativen Religiösen Führer Ayatollah Ali Khamenei verantwortlich. Auf eine Einigung drängen auch führende Vertreter der iranischen Wirtschaft. Der Vorsitzende der iranischen Industriekammer, Hadi Ghanimifar, kritisierte am Wochenende die schlechten Außenbeziehungen seines Landes. »Einige glauben, der Geist der Kreativität und der Innovation werde wachsen, je mehr unser Land in der globalen Szene isoliert ist«, erklärte Ghanimifar. Diese Haltung führt er auf Erfolge während des Krieges Iran–Irak zurück, als es Iran trotz internationaler Isolation gelang, Ersatzteile für Flugzeuge und Hubschrauber zu produzieren.

Doch dieses Beispiel könne nicht auf den Frieden übertragen werden, so der Industrie-Vertreter. Vieles bekäme Iran nur über Mittelsmänner, die dann das eigentliche Geschäft machten. Ein weiteres Problem sieht Ghanimifar bei den Exporten. Weil Iran aus politischen Gründen nicht Mitglied der WTO ist, müssen iranische Exporteure zum Beispiel in Zentralasien 45 Prozent Zoll zahlen, während die türkische Konkurrenz mit sieben Prozent ins Land kommt.

Ob solche Stimmen aus der Wirtschaft entscheidendes Gewicht haben, ist fraglich. Ein rein taktisches Manöver, um Zeit zu gewinnen, erscheint ebenfalls möglich. Nach Aussagen von Hasan Rowhanis Stellvertreter Hosein Mousavian betrachtet Iran das neue Abkommen als freiwillig und nicht bindend. Das heißt, wieder könnte Iran eines Tages erklären, Europa habe seine Zusagen nicht erfüllt und deshalb setze man die Urananreicherung nun fort.

Aus: Neues Deutschland, 16.11.2004

Annäherung an Teheran

Von Karl Grobe

Am Anfang war das Misstrauen. Keine einseitige Voreingenommenheit, sondern eine aller Beteiligten. Iran, Unterzeichner des Atomwaffensperrvertrags, stand im Ruch bedingter Glaubwürdigkeit mit seiner Versicherung, nur zu friedlichen Zwecken den kompletten Brennstoffzyklus beherrschen und anwenden zu wollen. Die USA, die letzte Supermacht, wird in den herrschenden Mullah-Zirkeln der Einkreisung Teherans bezichtigt. Die Europäer, die sich aus Friedensgründen zur Vermittlung bereitfanden, wurden doppelt beargwöhnt: In Teheran wie in Washington hielten die jeweiligen Fundamentalisten sie entweder für gottvoll naiv oder heimliche Agenten der Gegenseite. Die Krise entschärft haben jetzt die drei europäischen Mächte.

Iran stellt sein Uran-Anreicherungsprogramm zurück, aber nicht auf null. Es will jetzt über den Preis verhandeln: Leichtwasser-Reaktoren, die nicht militärisch nutzbar sind; Handelsabmachungen; Garantien gegen unliebsame militärische Überraschungen. Die konkreten Verhandlungen sollen in einem Monat aufgenommen werden. Der Zeit-Guillotine, der befürchteten verbalen Abstrafung durch die Internationale Atomenergie-Organisation in zehn Tagen mit nachfolgender Verhandlung vor dem UN-Sicherheitsrat, ist Iran entkommen.

Die drei Europäer - Frankreich, Großbritannien und Deutschland - haben mit dieser Pariser Einigung vom Sonntag eine gefährliche Krise abgewendet. Unauffällig hat auch Moskau dazu beigetragen. Es wird verbrauchte Brennelemente aus dem von Russland fertig gebauten Reaktorkomplex Buschehr zurücknehmen. Der Verdacht, die iranischen Nukleartechniker könnten diese Elemente nutzen, um daraus waffenfähiges Material zu extrahieren, fällt damit weg.

Was nicht wegfällt, ist das Misstrauen. Die USA haben Iran keineswegs aus der "Achse des Bösen" entfernt. Das Mullah-Regime bleibt auf der amerikanischen Schurkenliste, auf der es seit 25 Jahren steht, selbst wenn US-Präsident George W. Bush am Freitag vorauseilend das europäische Engagement gelobt hat. Die Teheraner Führung sieht sich nach wie vor von US-Militär umzingelt. Das hat in allen Nachbarstaaten außer Turkmenistan und Russland (Republik Dagestan) Stützpunkte aufgebaut, die Neigung Aserbaidschans zur Nato gehört durchaus zum Einkreisungs-Syndrom. Teherans Rest-Misstrauen hat Bestand.

Einen Präventivkrieg, wie er in Bushs Sicherheitsdoktrin steht - dem internationalen Recht zum Trotz -, muss Iran freilich nicht befürchten. Die USA haben sich in Irak dermaßen verheddert, dass sie einen solchen Krieg derzeit nicht führen könnten. Sie werden auch kaum andere Staaten zum militärischen Mittun überreden können, seit sich ihre den IrakKrieg angeblich rechtfertigenden Argumente samt und sonders als Unwahrheiten erwiesen haben.

Doch auch Teherans Führer haben den Ruf höherer Ehrlichkeit noch nicht erworben. Unterschriebenen Verträgen in atomaren Angelegenheiten sind sie nicht immer gefolgt. Die Geschäfte mit dem pakistanischen Nuklear-Dealer Abdul Qader Khan und den nordkoreanischen Lieferanten von Raketen- und Rüstungswissen haben sie insgeheim und vertragswidrig betrieben. Das Uran-Anreicherungsprogramm und andere einschlägige Dinge gaben sie erst zu, nachdem man sie überführt hatte. Deshalb kann ihre Beteuerung, das alles diene nur dem zivilen Zweck der Energiegewinnung, nicht das notwendige Maß an Glaubwürdigkeit beanspruchen. Sollte bei der Präsidentenwahl im kommenden Frühjahr der extrem-konservative Flügel gewinnen, wäre tiefe Skepsis angesagt.

Wenn da nun kein Vertrauen herrscht, kommt es auf umfassende Kontrolle an. Erst wenn die gewährleistet ist, kann der europäische Verhandlungserfolg als echter Durchbruch gewertet werden. Und erst wenn die Bushisten rückhaltlos zur Einigung stehen, ist der Frieden sicherer.

Aus: Frankfurter Rundschau, 16. November 2004

Aufschub

Von Olaf Standke

Gestern gab es gleich zwei gute Nachrichten in Sachen Iran: Die Internationale Atomenergieorganisation (IAEO) hat bislang keine Beweise gefunden, dass Teheran Nuklearmaterial zur Atomwaffenentwicklung verwendet. Und die iranische Regierung will im Rahmen einer Vereinbarung mit der EU auf die eigene Urananreicherung verzichten. Damit reagierte man auf drohende Sanktionen des UN-Sicherheitsrates. Die Kehrseite der Medaille: Diese Selbstverpflichtung ist befristet, und niemand kann nach der bisherigen iranischen Vertuschungspraxis ein geheimes Nuklearprogramm ausschließen.

Das Problem ist also noch längst nicht vom Tisch. Doch es wurde Zeit gewonnen für diplomatische Lösungen, unterfüttert von politisch-wirtschaftlichen Anreizen für Teheran. So hat die Europäische Union erstmals Irans Recht auf friedliche Nutzung der Atomtechnologie anerkannt, und die in Aussicht gestellte Mitgliedschaft Teherans in der Welthandelsorganisation WTO wäre enorm wichtig für das Land. Dauerhaft belastbare Vereinbarungen aber wird es wohl nur geben, wenn das scharfe Auge der Kernwaffenwächter allen gilt, auch Israel, und die im Atomwaffensperrvertrag verankerte Abrüstungsverpflichtung mehr ist als eine Beschwichtigungsklausel.

Aus: Neues Deutschland, 16. November 2004


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