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Westen hofft auf Krise

Iran: USA und Europäische Union erfreut über Kurssturz des Rial. Weitere Strafmaßnahmen angekündigt

Von Knut Mellenthin *

Die vom Westen mit großen Hoffnungen begrüßten »Proteste« in Teherans Großem Basar scheinen zumindest vorerst schon wieder beendet. Die »Unruhen« hatten am Dienstag begonnen, nachdem die Polizei mit einem Großeinsatz gegen nicht konzessionierte Devisenhändler und Spekulanten vorgegangen war, deren Machenschaften einen rasanten Kurssturz der Landeswährung ausgelöst hatten. Nach westlichen Angaben fiel der Wechselkurs des Rial gegenüber dem US-Dollar innerhalb von nur einer Woche um 40 Prozent, davon zuletzt sogar 17 Prozent an einem einzigen Tag. Die Währungskrise machte sich sogar in Afghanistan bemerkbar, aus dessen westlichen, dem Iran benachbarten Provinzen ein lebhafter Devisenschmuggel über die gemeinsame Grenze stattfindet.

Sprecher des Weißen Hauses und des US-Außenministeriums äußerten am Dienstag offen ihre Genugtuung über die Vorgänge, die neben Teheran auch den Basar in Isfahan, der drittgrößten Stadt Irans, erfaßt hatten. Der Absturz des Rial zeige, »daß die Sanktionen wirken« und daß das Ergebnis »ein enormer Druck auf das Regime« sei, sagte Präsidentensprecher Jay Carney. Das bestärke die US-Regierung in ihrem Willen, »mit der Verschärfung der Strafmaßnahmen fortzufahren, noch breitere, umfangreichere, einschneidendere Sanktionen« gegen Iran zu verhängen und international durchzusetzen.

Auf die Frage, ob das Weiße Haus sich sicher sei, daß die Iraner ihren Ärger über hohe Lebensmittelpreise und wachsende Inflation gegen die eigene Regierung und nicht etwa gegen die USA richten, antwortete Carney: »Der Präsident glaubt und unsere Partner glauben, daß das iranische Volk sich bewußt ist, wer für die Umstände verantwortlich sind, die die iranische Wirtschaft als Ergebnis der Unnachgiebigkeit des Regimes befallen haben.«

Zweifellos hat Iran aufgrund der Sanktionen, die die USA und die EU der gesamten Welt aufzuzwingen versuchen, erhebliche finanzielle Verluste erlitten. Insbesondere der Ölexport ist rückläufig und bringt außerdem weniger Gewinn, weil Iran einerseits höhere Kosten durch den Einsatz eigener Schiffe und die Übernahme der Versicherungskosten hat, andererseits aber gegenüber seinen verbleibenden Hauptabnehmern China, Japan, In¬dien und Südkorea Preiszugeständnisse machen muß. Israels Finanzminister Juval Steinitz behauptete dieser Tage, daß Iran durch die Sanktionen innerhalb eines Jahres 40 bis 50 Milliarden an Öleinnahmen verloren habe. Diese Angabe ist wahrscheinlich zu hoch, aber daß die Einbußen beträchtlich sind und daß die Sanktionen immer noch ausbaufähig sind, ist eindeutig. Das schlägt sich unter anderem in schmerzhaften Preissteigerungen für die Bevölkerung nieder.

Andererseits ist der Verfall des Rial-Wechselkurses geeignet, ein falsches Bild zu geben. Er ist zu einem großen Teil das Ergebnis von kriminellem Geldhandel, wilden Gerüchten und zuletzt von einem sich beschleunigenden Kreislauf von Panikreaktionen. Iran verfügt über vergleichsweise große Devisenreserven, deren Gesamtwert immer noch zwischen 80 und 100 Milliarden Dollar liegt. Außerdem wickelt das Land einen zunehmenden Teil seiner Importe, unter denen Nahrungsmittel ein wesentlicher Faktor sind, über Tauschgeschäfte oder in anderen Währungen als dem Dollar ab.

Für den Westen sind die Anzeichen wirtschaftlicher Probleme im Iran und deren Auswirkungen auf die Bevölkerung ein Signal, an ihrem absolut kompromißlosen Kurs im Atomstreit festzuhalten und alle Angebote aus Teheran abzulehnen. Die Verhandlungen sind faktisch seit Juni abgebrochen. Die EU will auf Betreiben Deutschlands, Großbritanniens und Frankreichs am 15. Oktober weitere Sanktionen beschließen.

* Aus: junge Welt, Samstag, 06. Oktober 2012


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