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Harte Konkurrenz für Ahmadinedschad

Mohammed Chatami will bei den Präsidentschaftswahlen am 12. Juni wieder antreten

Von Jan Keetman, Istanbul *

»Ich erkläre hiermit meine ernsthafte Absicht, mich an der Präsidentschaftswahl am 12. Juni zu beteiligen.« Mit diesen Worten beendete der ehemalige iranische Präsident Mohammed Chatami am Sonntag wochenlange Spekulationen um seine Bewerbung.

Zum 30. Jahrestag der Rückkehr Ajatollah Chomeinis aus dem Exil am 1. Februar wuschen Revolutionswächter das Grab des geistigen und politischen Führers der islamischen Revolution mit Rosenwasser. Zugleich schoss die Islamische Republik erstmals in ihrer Geschichte einen Satelliten ins All. 30 Jahre nachdem der Schah vertrieben und die erste theokratische Republik der Geschichte begründet wurde, erweist sich dieser Staat noch immer als äußerst robust. Den Sieg der Revolution vor 30 Jahren kann die Islamische Republik in dem Bewusstsein feiern, dass die Geschichte Irans, auch aus einigem Abstand betrachtet, in eine Zeit vor und in eine Zeit nach der Revolution zerfällt.

Doch wieder einmal steht Chomeinis Staat am Scheideweg. Die Islamische Republik Iran hat gerade eine Phase hinter sich, in der alles zu ihren Gunsten lief: Der Ölpreis stieg in immer größere Höhen, George W. Bush beseitigte zwei der schlimmsten außenpolitischen Feinde Irans – Saddam Husein in Irak und bis auf weiteres die Taliban in Afghanistan. Außerdem antwortete der USA-Präsident mit seiner Rhetorik von der »Achse des Bösen« dem Toten Imam Chomeini und seinen Nachfolgern genau auf der Ebene ihrer Weltsicht.

Barack Obama hat Iran dagegen die Hand geboten, wenn Teheran bereit wäre, seine Faust zu öffnen. Damit ist weit schwieriger umzugehen. Der iranische Präsident Mahmud Ahmadinedschad antwortete zunächst mit einer Philippika gegen Amerika, in der er eine Entschuldigung für alte Fehler ebenso wie den Rückzug der US-Armee von allen Stützpunkten im Ausland verlangte. Kann dieses Regime ohne den Ausruf »Tod für Amerika!« existieren? Geht es ohne die Bushianische Zweiteilung der Welt in Gut und Böse? Ist, wenn das aufhört, Chomeini wirklich tot?

Wenn man den Anspruch, die Insel des Guten, die Insel Gottes in einer bösen Welt zu sein, abzieht, so bleibt von der Islamischen Republik vor allem eine »islamische Sozialdemokratie«. Gerechtigkeit wird durch das Verteilen von Almosen hergestellt, die aus den Erdöleinnahmen bezahlt werden. Dafür ist eine Reihe von Freiheiten und Rechten, wie die Gleichheit von Männern und Frauen vor dem Gesetz, zu opfern. Doch der 2005 als Heilsbringer gewählte Präsident Mahmud Ahmadinedschad hat zu viele seiner Versprechen unerfüllt gelassen. Und zumindest die Mittelschicht wehrt sich noch immer gegen die Gängelung im Alltag. Aus der Sicht des Regimes besteht die Gefahr, dass ein Staat, der in der Außenpolitik die Faust nicht mehr geballt hat, auch die harte Hand im Innern verliert.

Andererseits ist eine Mischung aus Wohlfahrtsstaat und einigen vorsichtigen Reformen sehr populär. Selbst Chomeini lockerte am Ende seines Lebens das Musikverbot und erlaubte wieder das Schachspielen. Die Präsidenten Ali Akbar Haschemi Rafsandschani (1989 – 1997) und mehr noch Mohammed Chatami (1997 – 2005) waren diesem Weg der vorsichtigen Öffnung weiter gefolgt. Chatami wollte zwar eigentlich nicht wieder bei der Präsidentschaftswahl am 12. Juni kandidieren, fühlt sich aber dazu verpflichtet: »Man kann doch schlecht Nein sagen, wenn alle ein Ja wollen«, sagte er. Seine Anhänger hatten sogar im Internet Unterschriften gesammelt, um ihn zur Kandidatur zu bewegen.

Dabei ist der 65-jährige Kleriker sicherlich nicht mehr der Hoffnungsträger, der er einmal war, als er bei der Präsidentenwahl 1997 überraschend 70 Prozent der Stimmen gewann und vier Jahre später gar 80 Prozent. Immerhin waren seine damaligen Versuche, Reformen innerhalb des islamischen Systems umzusetzen, an der Blockade durch den Klerus und die treuen Revolutionswächter gescheitert. Trotzdem bedeutet seine Kandidatur eine klare Alternative zum jetzigen Amtsträger Ahmadinedschad. »Nur Chatami kann die Massen dazu bewegen, an die Urnen zu gehen. Und wenn alle kommen, dann schaffen wir es auch«, äußerte der ehemalige stellvertretende Innenminister Mostafa Tadschsadeh, der als Reformer gilt. Und ein iranischer Journalist ließ sich so zitieren: »Chatami muss kommen, damit Ahmadinedschad geht.«

Eine Alternative könnte Chatami vor allem in der Außenpolitik bieten: »Mit Chatami könnten wir auch die Isolation und die Sanktionen beenden«, sagt sein ehemaliger Sprecher Abdullah Ramesansadeh.

Iran steht in diesem Jahr wirklich an einem Scheideweg. Die Wahl des Präsidenten stellt für das Machtgefüge innerhalb des Staates keine große Veränderung dar, das haben die beiden ersten Amtszeiten Chatamis klar bewiesen. Das letzte Wort in allen politischen Fragen hat nicht der Präsident, sondern der religiöse Führer, Ajatollah Ali Chamenei. Dennoch kann die Wahl ein starkes Signal sein, gerade in einer Zeit, in der der weitere Weg der Islamischen Republik nicht von selbst vorgezeichnet erscheint.

* Aus: Neues Deutschland, 10. Februar 2009


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