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Kernkraftwerk Buschehr angelaufen

Nach über 30 Jahren Bauzeit wurde die iranische Atomanlage am Wochendende eingeweiht

Iran hat sein erstes Kernkraftwerk feierlich in Betrieb genommen. In der Hafenstadt Buschehr brachten Nuklearexperten aus Moskau am Samstag die ersten der mehr als 160 Brennstäbe in die Reaktoranlage, mit deren Bau BRD-Ingenieure vor mehr als 30 Jahren unter der Herrschaft von Schah Reza Pahlevi begonnen hatten.

Nach mehr als 30 Jahren Bauzeit haben iranische und russische Techniker am Samstag (21. Aug.) damit begonnen, die Anlagen des Atomkraftwerks in Buschehr am Persischen Golf mit nuklearen Brennstäben zu bestücken. Die Arbeit unter Aufsicht der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) soll in zwei Wochen abgeschlossen sein. Binnen zwei Monaten soll der Reaktor 50 Prozent seiner Leistungskraft von 1000 Megawatt erreichen, Ende Oktober könnte das Kraftwerk ans Stromnetz angeschlossen werden.

Nach Angaben des Chefs der iranischen Atomenergiebehörde, Ali Akbar Salehi, symbolisiert die Inbetriebnahme der Anlage die Entschlossenheit Irans, sein »friedliches Nuklearprogramm« fortzuführen. Der bei der Eröffnung anwesende Leiter der russischen Atombehörde Rosatom, der frühere russische Ministerpräsident Sergej Kirijenko, hob den »internationalen Charakter« der Anlage hervor, die unter der Kontrolle der IAEA stehe und an der mehr als zehn Länder mitgewirkt hätten.

Der deutsche Siemens-Konzern hatte den Bau des Kraftwerks noch vor der Iranischen Revolution im Jahr 1979 begonnen, im Zuge des Irak-Iran-Krieges waren die Arbeiten 1980 eingestellt worden. Schließlich einigte sich Teheran 1994 mit Russland auf eine Wiederaufnahme des Projektes. Moskau übernimmt für die kommenden zehn Jahre die Lieferung und Entsorgung des in Buschehr verwendeten atomaren Brennstoffs.

Von Buschehr geht nach Einschätzung der USA keine Gefahr für die Verbreitung von atomwaffenfähigem Material aus. Der Reaktor zeige, dass Teheran für die zivile Nutzung von Kernenergie nicht selbst Uran anreichern müsse, teilte das US-Außenministerium mit. Angesichts der russischen Beteiligung und der Aufsicht durch die IAEA sähen die USA kein »Verbreitungsrisiko«. Das Weiße Haus machte deutlich, dass die Haltung der USA zu Buschehr nicht mit der Position zum iranischen Atomprogramm verwechselt werden dürfe.

Der Westen beschuldigt Iran, unter dem Vorwand der zivilen Nutzung der Atomenergie heimlich nach Atomwaffen zu streben was Teheran zurückweist. Der UN-Sicherheitsrat hatte im Juni Sanktionen gegen Teheran mit der Begründung verschärft, Iran halte ungeachtet der Warnungen vorwiegend des Westens an der Urananreicherung festhält.

Frankreich rief Iran auf, sämtliche Aktivitäten zur Anreicherung einzustellen. Buschehr zeige, dass dies für die zivile Nutzung der Kernenergie nicht nötig sei. Großbritannien verlangte von der Regierung in Teheran, mit der internationalen Gemeinschaft wieder über das Atomprogramm zu diskutieren. Israel rief den Westen dagegen auf, den Druck auf Iran zu erhöhen. Es sei »unverständlich«, dass ein Land, das gegen die IAEA-Regeln verstoße, von den »Früchten der Nuklearenergie« profitieren könne. Israel selbst, seit Jahren im Besitz von Atomwaffen, hat diese gegenüber der IAEA nicht deklariert.

Irans Präsident Mahmud Ahmadinedschad stellte am Sonntag (22. Aug.) die erste Drohne des Landes vor. Das unbemannte Flugzeug könne verschiedene Bombentypen transportieren, berichtete das iranische Fernsehen. Die Drohne habe eine Reichweite von 1000 Kilometern.

* Aus: Neues Deutschland, 23. August 2010


Ein neues Kapitel

Installation der Brennelemente im iranisch-russischen Atomkraftwerk Buschehr hat begonnen

Von Knut Mellenthin **


Im iranischen Atomkraftwerk bei Buschehr hat am Sonnabend (21. Aug.) planmäßig die Startphase zur Inbetriebnahme begonnen. Die ersten der insgesamt 163 nuklearen Brennelemente wurden in die von einem russischen Unternehmen gebaute Anlage gebracht. Aus diesem Anlaß war der Chef der russischen Atomenergiebehörde, Sergei Kirijenko, angereist, der zusammen mit seinem iranischen Kollegen Ali Akbar Salehi den Beginn der Arbeiten beobachtete. Entgegen den Erwartungen fanden im Iran am Sonnabend keine großen Feiern statt. Auch Präsident Mahmud Ahmadinedschad war zum Auftakt nicht nach Buschehr gekommen.

Die Installation der Brennelemente soll am 5. September abgeschlossen sein. Am 16. oder 22. September es gibt unterschiedliche Angaben soll der Reaktor dann aktiviert werden. Danach wird es noch mindestens zwei bis drei Monate dauern, bis das Kraftwerk Strom erzeugen kann. Es wird zunächst nur die halbe Menge der Zielkapazität, die bei 1000 Megawatt liegt, erreichen. Russische Experten schätzen, daß das AKW vor Jahresende ans Netz gehen kann.

Buschehr wird als iranisch-russisches Joint Venture betrieben und in den ersten zwei bis drei Jahren unter russischer Kontrolle bleiben, teilte Kirijenko am Sonnabend mit. In dieser Zeit wird die Anlage schrittweise an iranisches Personal übergeben. Alle verbrauchten Brennelemente, aus denen theoretisch waffenfähiges Plutonium gewonnen werden könnte, werden an Rußland zurückgeliefert. Das Kraftwerk, insbesondere das gesamte nukleare Material, steht unter Aufsicht der Internationalen Atomenergie-Behörde (IAEA).

Iranische Politiker und Diplomaten sprachen anläßlich des Beginns der Startphase in Buschehr von einem »neuen Kapitel« in den Beziehungen zu Rußland. Der Vorsitzende des außen- und sicherheitspolitischen Ausschusses des Parlaments, Alaeddin Borudscherdi, äußerte die Erwartung, daß Rußland nun auch den auf Eis gelegten Vertrag über die Lieferung des Luftabwehrsystem S-300 erfüllen möge.

Ein Sprecher des US-Außenministeriums erklärte am Sonnabend, das Kraftwerk diene ausschließlich zivilen Zwecken und stelle aus Sicht der USA kein Risiko für eine Weiterverbreitung von Atomwaffen dar. Er verwies zur Begründung auf die Überwachung durch die IAEA und auf die vereinbarte Rückgabe der Brennelemente an Russland. Auch der israelische Minister für Nationale Infrastruktur, Uzi Landau, hatte am Donnerstag mitgeteilt, Israel sei über die Inbetriebnahme von Buschehr nicht sonderlich beunruhigt. Besorgt sei man hingegen über andere Anlagen, in denen Uran angereichert wird. Deutlich schärfer im Ton erklärte das israelische Außenministerium am späten Sonnabend, es sei »völlig inakzeptabel«, daß Iran »die Früchte der Anwendung der Kernenergie genießen darf«. Die »internationale Gemeinschaft« müsse ihren Druck auf Iran noch mehr steigern.

** Aus: junge Welt, 23. August 2010


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