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Iran gibt Druck nicht nach

Teheran reagiert auf Verschärfung der Sanktionen: 2011 soll mit dem Bau von 20 Atomkraftwerken und einer weiteren Anreicherungsanlage begonnen werden

Von Knut Mellenthin *

Präsident Mahmud Ahmadinedschad hat am Montag ein Gesetz unterzeichnet, mit dem Iran auf die Verschärfung der von den USA angeführten Kampagne reagiert. Es war schon vor einigen Wochen vom Teheraner Parlament nahezu einstimmig verabschiedet worden, bedurfte aber noch der Zustimmung des Wächterrats und des Präsidenten. Nach dem »Gesetz zum Schutz der friedlichen nuklearen Errungenschaften der Islamischen Republik Iran« ist es der Regierung verboten, Kontrollmaßnahmen der Internationalen Atomenergie-Behörde (IAEA) zuzulassen, die über die sich aus dem Atomwaffensperrvertrag (NPT) ergebenden, für alle Unterzeichnerstaaten geltenden Verpflichtungen hinausgehen.

Austausch abgelehnt

Ein anderer Abschnitt des Gesetzes fordert die Regierung auf, an der Anreicherung von 20prozentigem Uran festzuhalten. Das Material wird benötigt, um Brennelemente für einen Reaktor in Teheran herzustellen, der Isotope für die Behandlung von Krebspatienten produziert. Unter dem Druck von USA und EU hatte sich die IAEA geweigert, Iran beim Kauf von Brennelementen im Ausland zu helfen, obwohl sie dazu nach dem Atomwaffensperrvertrag verpflichtet wäre. Ein iranischer Alternativvorschlag, im Austausch gegen die Brennelemente eine entsprechende Menge schwach angereichertes Uran zu liefern, wird bisher durch Einwände der USA, Rußlands und Frankreichs blockiert. Verhandlungen darüber sollen voraussichtlich im September stattfinden.

Das jetzt in Kraft getretene Gesetz gibt der Regierung außerdem Eckdaten für neue Investitionen in das zivile Atomprogramm vor, um »volle nukleare Unabhängigkeit« zu erreichen. Bereits am Sonntag hatte der Leiter der iranischen Atomenergie-Organisation, Ali Akhbar Salehi, bekanntgegeben, daß Iran »zum Jahresende oder Anfang nächsten Jahres« mit dem Bau einer weiteren Anreicherungsanlage beginnen werde. Gemeint ist das iranische Jahr, das im März 2011 zu Ende geht. Insgesamt will Iran in den nächsten Jahren zehn solche Anlagen errichten, in denen auf 3,5 Prozent angereichertes Uran als Brennstoff für künftige Atomkraftwerke hergestellt werden soll. Nach Angaben Salehis ist die Festlegung der Standorte inzwischen weitgehend abgeschlossen. Es werde sich um unterirdische Anlagen in den Bergen handeln. Iran stellt sich damit auf die ständigen militärischen Drohungen der USA und Israels ein.

Negative Reaktionen

Der stellvertretende Vorsitzende des außen- und sicherheitspolitischen Ausschusses der Parlaments, Hossein Ebrahimi, bestätigte am Montag, daß Iran in den nächsten Jahren mit dem Bau von 20 Atomkraftwerken beginnen werde. Dazu sei die Regierung auch durch das jetzt in Kraft getretene Gesetz verpflichtet. Schon der 1979 gestürzte Schah hatte, damals noch mit Unterstützung der USA, die Errichtung von 20 AKWs geplant, um Irans wichtigste Exportartikel, seine Erdöl- und Erdgasreserven, so ökonomisch wie möglich einsetzen zu können.

Großbritannien und Frankreich reagierten auf die Neuigkeiten aus Teheran negativ. »Diese Berichte geben uns sicher keine Beruhigung, daß Iran sich in die richtige Richtung bewegt«, sagte der Sprecher des britischen Premierministers, Steve Field. Christine Fages, Sprecherin des französischen Außenministeriums, erklärte, die Ankündigungen »verstärken nur die tiefen Sorgen der internationalen Gemeinschaft über das iranische Atomprogramm«. Iran müsse seine »internationalen Verpflichtungen« erfüllen und alle Anreicherungsaktivitäten einstellen. Demgegenüber verweist Iran darauf, daß sein gesamtes Atomprogramm durch den Sperrvertrag legitimiert ist.

* Aus: junge Welt, 19. August 2010


Botschafter für den Krieg

John Bolton und Jeffrey Goldberg werben für einen raschen Angriff auf den Iran

Von Knut Mellenthin **


Der frühere UN-Botschafter der USA, John Bolton, hat Israel am Dienstag ermuntert, während der laufenden Woche das iranische Atomkraftwerk bei Buschehr anzugreifen. In die von einem russischen Unternehmen gebaute Anlage sollen am Sonnabend die nuklearen Brennelemente gebracht werden. Damit beginnt die Startphase des Kraftwerks, die am 16. September mit der Aktivierung des Reaktors abgeschlossen werden soll. In einem Gespräch mit dem neokonservativen US-Sender Fox News wies Bolton darauf hin, daß eine Zerstörung der Anlage nach Einbringung der Brennelemente große Mengen an Radioaktivität freisetzen würde, die nicht nur die Luft, sondern – wegen der Nähe zum Persischen Golf – auch das Wasser kontaminieren würde. Daher sei nach diesem Zeitpunkt ein militärischer Angriff auf den Reaktor höchst unwahrscheinlich.

Auf Nachfrage sagte Bolton mit ausdrücklichem Bedauern, daß er nicht mit einem israelischen Militärschlag in den nächsten Tagen rechne: »Ich fürchte, sie haben die Gelegenheit verpaßt.« Der Ex-Diplomat, der als aggressiver Unterstützer der israelischen Rechten bekannt ist, räumte während des Interviews ein, daß er sich in seiner Einschätzung nicht sicher sei. Sollte jedoch das Atomkraftwerk wie geplant in Betrieb gehen, würde das einen »bedeutenden Sieg Irans« darstellen. Bolton richtete in diesem Zusammenhang heftige Vorwürfe gegen Rußland, das »auf beiden Seiten« spiele.

In der vergangenen Woche hatte die Online-Veröffentlichung eines Artikels von Jeffrey Goldberg für die September-Ausgabe des US-Magazins Atlantic ein breites Echo gefunden. Der Autor plädiert darin für baldige Militärschläge gegen Iran, da dessen Atomprogramm für Israel »eine Existenzbedrohung« darstelle. Gestützt auf angebliche Gespräche mit 40 »Entscheidungsträgern« Israels und ebenso vielen der USA – fast alle jedoch ohne Nennung ihres Namens – sagt Goldberg voraus, daß Israel sich für einen militärischen Alleingang auch ohne Zustimmung der US-Regierung entscheiden werde. Für Regierungschef Benjamin Netanjahu ende die »Zeit des Abwartens« im Dezember. Im kommenden Frühjahr, auf jeden Fall aber bis zum Juli 2011 seien mit über fünfzigprozentiger Wahrscheinlichkeit israelische Luftangriffe gegen Iran zu erwarten. Israel gehe davon aus, daß »eine vernünftige Chance« bestehe, das iranische Atomprogramm um mindestens drei bis fünf Jahre zurückzuwerfen.

Die Dramatik und scheinbare Gewißheit, mit der Goldberg dieses Szenario entwirft, wird allerdings stark entwertet durch die Tatsache, daß er auch schon in einem am 17. Mai 2009 erschienenen Kommentar der New York Times das nahe Bevorstehen eines israelischen Alleingangs vorausgesagt hatte. Damals allerdings bis zum Jahresende 2009.

Hinter Goldbergs »Prognosen« steckt eine gleichbleibende Botschaft: Erstens, die israelische Führung ist unter allen Umständen zu einem Angriff entschlossen, weil die »Existenzgefährdung« ihr gar keine andere Wahl läßt. Zweitens, ein israelischer Alleingang würde ohnehin auf die USA zurückfallen und eine komplizierte Situation schaffen. Drittens, Schlußfolgerung: Die US-Regierung muß einen israelischen Alleingang verhindern. Entweder, indem sie ihm mit eigenen Militärschlägen gegen Iran zuvorkommt. Oder indem sie der israelischen Führung eine hundertprozentige Garantie, möglichst mit genauem Datum, gibt, daß sie den Iran angreifen wird. Gut möglich ist, daß Goldberg damit als Agent israelischer Stellen handelt, die sich über die Risiken eines militärischen Alleingangs im klaren sind und diesen vermeiden wollen, indem sie die USA zum Handeln drängen.

Goldberg wäre für eine solche Mission der richtige Mann. Leidenschaftliche Zuneigung zum »jüdischen Staat« trieb den in New York Geborenen und Aufgewachsenen während seines Studiums dazu, sich freiwillig zum Dienst in den israelischen Streitkräften zu melden. Diesen absolvierte er als Aufseher über gefangene Palästinenser während der ersten Intifada. In die USA zurückgekehrt, war er im Jahr 2002, damals noch als Autor des Magazins The New Yorker, einer der feurigsten Hetzer zum Krieg gegen den Irak. In langen Artikeln phantasierte er über angebliche Verbindungen zwischen Saddam Hussein und Al-Qaida (»viel enger, als man früher annahm«) sowie über irakische Massenvernichtungswaffen. Zugleich versäumte es nicht, den Einmarsch in den Irak als kurzen »Spaziergang« schmackhaft zu machen. Im Magazin Slate schrieb er am 3. Oktober 2002: »Die Regierung plant heute, etwas zu starten, was viele zweifellos einen kurzsichtigen und unverzeihlichen Aggressionsakt nennen werden. Ich glaube jedoch, dass man sich in fünf Jahren an den bevorstehenden Einmarsch in den Irak als einen Akt umfassender Moralität erinnern wird.«

** Aus: junge Welt, 19. August 2010


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