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Bushehr: Fertigstellung des iranischen Kernkraftwerkes ist für Russland Ehrensache

Ein Hintergrundbericht über die Bedeutung des Projekts aus russischer Sicht

Von Tatjana Sinizyna, Moskau *

Ungeachtet des politischen Drucks der USA im Laufe von elf Jahren baut Russland das iranische Kernkraftwerk weiter. Die USA wollen selbst die iranische Nische einnehmen.

Eine Delegation von iranischen Atomexperten mit dem Vize-Präsidenten der Organisation für Atomenergie Irans (AEOI), Mahmoud Jannatian, an der Spitze, hat unlängst Moskau besucht. Ihn begleiteten der Direktor des Baus des Kernkraftwerkes Bushehr und der technische AEOI-Vertreter in Russland. Die Gäste trafen sich zu Gesprächen mit Vertretern der russischen Unternehmen Atomstroiexport (Exportunternehmen für Nukleartechnologien) und Rosenergoatom (Atomkraftwerksbetreiber).

Jannatian ist eine verhältnismäßig neue Figur im iranischen Atomestablishment. Er wurde in sein Amt mit dem direkten Auftrag berufen, den Bau des Kernkraftwerkes Bushehr zu vollenden. Denn das Land wartet schon seit 30 Jahren auf seine Inbetriebnahme. Zunächst wurde es von den Deutschen hereingelegt, die 1980 durch die begonnenen iranisch-irakischen Kampfhandlungen (1980-1988) das fast fertige Objekt verließen und später nicht zurückkehrten. Heute ziehen die Russen die Fertigstellung des Kernkraftwerkes in die Länge.

In Russland angekommen, besuchte Mahmoud Jannatian in erster Linie das Kernkraftwerk Kalinin im Gebiet Twer, um Einblick in den vor einem Jahr in Betrieb genommenen Block Nr. 3 zu nehmen, der baugleich mit dem Block des Kernkraftwerks Bushehr ist. Dort konnte er auch das modernisierte automatische Steuerungssystem in Aktion sehen. Anschließend besuchten die Gäste Elektrogorsk, eine Stadt bei Moskau, wo sie ein automatisiertes Steuersystem "Bushehr" besichtigen konnten, das von Spezialisten des Forschungszentrums für Sicherheit der Kernkraftwerke geschaffen wurde.

Der Leiter der Atomstroiexport-Verwaltung für den Bau des Kernkraftwerkes in Iran, Wladimir Pawlow, lobte den positiven, ohne angespannte Momente oder Widersprüche erfolgten Dialog bei den Verhandlungen mit der iranischen Delegation.

Ihm zufolge gewährten die Gastgeber den iranischen Kollegen jeden erwünschten Einblick und beantworteten alle Fragen, die sie interessierten. Was wurde besprochen? Diesmal lag der Schwerpunkt der Verhandlungen wohl auf dem kommerziellen Aspekt.

Geschäftliche Treffen des Auftraggebers und des Auftragnehmers gehören zur üblichen Praxis, insbesondere wenn das Objekt nicht schlüsselfertig übergeben wurde. Die Übergabe von Bushehr soll nun vom Oktober 2006 um wenigstens ein Jahr aufgeschoben werden. Der Rosatom-Chef Sergej Kirijenko (Rosatom - Russische Atomenergieagentur) versprach öffentlichen, dass in der zweiten Jahreshälfte 2007 das Atomkraftwerk strikt in Übereinstimmung mit dem Zeitplan fertiggestellt und seiner Bestimmung übergeben wird.

Das bestätigte auch Wladimir Pawlow: "Es gibt keine Geheimnisse. Alles wird zum gesetzten Zeitplan in Betrieb genommen, den wir unterzeichnen werden." Wo ist aber dieser Plan? Die Partner haben ihn vorläufig nicht bestätigt. Folglich bleiben gewisse Fragen und Nuancen zur Fertigstellung bestehen, die diese in die Länge ziehen.

Es muss daran erinnert w erden, dass im Prozess des Baus mehrere Pläne erstellt wurden. Aber jeder davon war bezüglich der Fristen verwundbar. Das ist auf die weltweite Einmaligkeit des Projektes zurückzuführen.

Russische Ingenieure mussten sich viel Mühe geben, um das Siemens-Projekt an das russische KKW-Modell anzupassen.

Das Gebäude des Blocks wurde durch Raketenbeschuss während des Krieges stark beschädigt. Nach seinem Ende erklärte sich niemand bereit, das schwierige Unterfangen eines Wiederaufbaus des demolierten Atomobjektes anzugehen. Auf die Bitte Irans antwortete nur Russland, und dies in den äußert schwierigen Zeiten der Jahre des Zerfalls der UdSSR. Das Land durchlebte eine gesellschaftspolitische Krise, einen wirtschaftlichen Rückgang und einen moralischen Schock. Heute sind sich die in Bushehr arbeitenden Spezialisten einig: "Gott bewahre uns vor einem weiteren solchen Bauvorhaben!".

Das Objekt war fast 20 Jahre dem Wüstenwind und der brennenden Sonne ausgeliefert. Die Wiederherstellung des Bauteils war jedoch nicht das Schwierigste. Viel komplizierter war es um Ausrüstungen bestellt. Siemens lieferte schon etwa 35 000 Ausrüstungseinheiten. Vieles davon verrostete und veraltete. Eine gemeinsame russisch-iranische Kommission nahm eine technische Kontrolle vor, in deren Ergebnis sich höchstens 5000 Einheiten der Ausrüstung als geeignet erwiesen. Erforderlich waren auch neue Ausrüstungen.

Die Zeit verging. Verschiedene politische Probleme um Iran zogen die Fertigstellung in die Länge. Washington übte Druck auf Moskau aus und verlangte, den Bau einzustellen. Aber der Bau wurde, wenn auch im Schneckentempo, fortgesetzt und ist nun zu 92 Prozent fertig gestellt.

Der Fertigungsgrad des Blocks macht 75 Prozent aus. Die Partner erinnerten sich daran ein weiteres Mal bei dem kürzlichen Treffen in Moskau. Dieses Treffen wäre kaum bemerkenswert, wenn nicht die politische Situation um Iran das Thema so brisant machen würde. Die Inbetriebnahme des Objekts ist auch in Iran sehr schmerzhaft. Aber ebenso sollte man die Empfindlichkeit Russlands für dieses Projekt nicht vergessen, das in der Partnerschaftserfüllung eine Ehrensache sieht und die Verantwortung für die Fertigstellung trägt.

Vor einigen Monaten wurde eine bilaterale Sonderarbeitsgruppe für die Beseitigung von Hindernissen bei der Fertigstellung des Kernkraftwerkes gebildet. Dem Rosatom-Chef zufolge liegen die Hauptursachen der stockenden Arbeiten in den durchkreuzten Fristen der Produktion und Lieferung einiger Teile, die zur Vollendung der Montage notwendig sind. Gleichzeitig gab er die ambitionierten Pläne seines Amtes bekannt, bis zum Jahr 2030 im Ausland 40 bis 60 neue Kernkraftwerke bauen zu wollen.

"Von diesem Standpunkt muss das Kernkraftwerk Bushehr eine gute Werbung für die Möglichkeiten Russlands werden", meint der Politologe von Pir-Zentr, Anton Chlopkow. "Eben deshalb, ungeachtet des politischen Drucks der USA im Laufe von elf Jahren, baut Russland das Objekt weiter. Iran ist ein äußerst wichtiges geopolitisches Zentrum und ein Land, das über enorme mineralische Rohstoffe verfügt, was es zu einem ,besonderen' Land in den Beziehungen mit jedem Staat macht. Die Politik Russlands ist auf die Entwicklung der Beziehungen mit Iran gerichtet. Die USA sehen das und haben keinen Optimismus. Sie wollen selbst die iranische Nische mit wirtschaftlichen Perspektiven einnehmen."

Der Block, so der russische Politologe, kann durchaus 2007 in Betrieb genommen werden, wenn die Krise um das iranische Nuklearprogramm gelöst wird und keine Sanktionen verhängt werden.

* Quelle: Russische Nachrichtenagentur RIA Novosti, 1. September 2006 (Analysen und Kommentare);
http://de.rian.ru



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