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Die Friedenstaube in Teheran

Die Bewegung der Nichtpaktgebundenen auf der Suche nach ihrer Daseinsberechtigung im 21. Jahrhundert

Von Hilmar König *

In der iranischen Hauptstadt Teheran findet gegenwärtig die 16. Konferenz der Bewegung der nichtpaktgebundenen Staaten (NAM) statt. Dabei treffen sich Staats- und Regierungschefs von allen Kontinenten. Während der Zeit des Kalten Krieges spielten die Nichtpaktgebundenen eine stabilisierende Rolle. Seit dem Ende der Ost-West-Konfrontation sind andere Aspekte in den Vordergrund getreten, denen sich die Bewegung stellen muss.

Die fast neun Millionen Einwohner beherbergende Metropole am Fuße des Elburs-Gebirges trägt Festtagsschmuck: Die Flaggen der Teilnehmerländer setzen frische Farbtupfer ins Stadtbild. Das Logo des 16. Gipfels - eine Friedenstaube mit mehrfarbigem Olivenzweig im Schnabel flattert vor der Weltkugel - ist vielerorts ebenso präsent wie das Motto, unter dem dieses Treffen steht und das den Wunsch aller Nationen ausdrückt: »Nachhaltiger Frieden«. Über dieses Thema werden aus aktuellem Anlass - erwartet werden etwa 40 Staats- oder Regierungschefs, dazu zahlreiche Minister, Parlamentspräsidenten und Sonderbotschafter - gewiss kontrovers debattieren.

Außer den 120 NAM-Mitgliedern nehmen an dem Treffen UNO-Generalsekretär Ban Ki Moon sowie 17 Länderdelegationen mit Beobachterstatus teil, darunter die VR China. Russland wurde von Teheran als Sondergast eingeladen.

Noch nie in Irans Geschichte gab es eine derart repräsentative Veranstaltung. Vertreter von über der Hälfte der Weltbevölkerung sitzen in den Beratungsgremien. Zweifellos will die vom Westen geschmähte Führung in Teheran diese einmalige Chance nutzen, ihr Prestige aufzumöbeln., die drohende Isolierung zu vermeiden und Wege gegen die auf Grund des Atomprogramms verhängten Sanktionen zu sondieren. Immerhin übernimmt Iran von Ägypten für drei Jahre die Führung der NAM. Die Bewegung der Blockfreien blickt auf eine über 50-jährige Geschichte zurück. Sie war in den 50er Jahren entstanden, als einerseits nationale Befreiungsbewegungen das Ende der Kolonialära einläuteten und andererseits nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges der Kalte Krieg zwischen Ost- und Westblock das internationale Geschehen zu bestimmen begann. Weitsichtige Politiker wie die Präsidenten Jawaharlal Nehru (Indien), Gamal Abdel Nasser (Ägypten), Ahmed Sukarno (Indonesien), Kwame Nkrumah (Ghana) und Josip Broz Tito (Jugoslawien) suchten nach einem »dritten Weg« an den Blöcken vorbei. Ihre Leitlinien, die später zur Grundlage der NAM wurden, orientierten sich an den fünf Prinzipien der friedlichen Koexistenz - gegenseitige Achtung der Integrität und Souveränität; gegenseitiger Verzicht auf Aggression; Nichteinmischung in innere Angelegenheiten des anderen; gleicher und gegenseitiger Nutzen und eben friedliches Miteinander.

1961 fand in Belgrad der Gründungsgipfel statt. Seitdem wuchs die Mitgliederzahl, zugleich die Vielfalt und damit auch das Konfliktpotenzial. Die postulierte Einheit, um in der internationalen Arena Schlagkraft zu gewinnen, existierte in der Praxis nie. Monarchien, Diktaturen, demokratisch-parlamentarisch oder religiös ausgerichtete, sozialistisch orientierte und neokolonialistisch ausgebeutete Staaten ließen sich nicht auf einen Nenner bringen. Ja, NAM-Mitglieder wie Irak und Iran oder Indien und Pakistan bekriegten sich. Heutzutage befinden sich viele von ihnen im Schlepptau des Internationalen Währungsfonds und der Weltbank, sind zwar nominell nichtpaktgebunden, doch ansonsten abhängig von den USA. So wird immer wieder die Frage nach der Relevanz der Bewegung der Nichtpaktgebundenen gestellt, besonders seit der Desintegration der UdSSR und des Ostblocks, die Kubas Staatschef Fidel Castro 1979 auf dem 6. Gipfel in Havanna noch als »natürliche Verbündete« der NAM bezeichnet hatte. Er war es auch, der die Bewegung wie kein anderer charakterisiert hatte. Ihr Sinn sei die Gewährleistung der »nationalen Unabhängigkeit, Souveränität, territorialen Integrität und Sicherheit der nichtpaktgebundenen Staaten in ihrem Kampf gegen Imperialismus, Kolonialismus, Neokolonialismus, Rassismus und alle Formen äußerer Aggression, Okkupation, Dominierung, Einmischung oder Hegemonie wie auch gegen Großmacht- und Blockpolitik«. Bis heute sind das zwar hehre, aber von Anfang an nicht von allen Mitgliedern ernst genommene Aufgaben geblieben.

Inzwischen haben im Zeitalter der Globalisierung, neoliberaler Offensiven, globaler Finanz- und Wirtschaftskrisen oder des Klimawandels sozialökonomische und wirtschaftliche Aspekte an Gewicht gewonnen. Der weltweite Kampf gegen Armut, das Ringen um nachhaltige Entwicklung, die Millennium-Entwicklungsziele und die Süd-Süd-Kooperation beschäftigen die Bewegung der Nichtpaktgebundenen mehr als je zuvor. Es bleibt allerdings abzuwarten, ob der Gipfel in Teheran dazu Konstruktives und Praktikables beitragen kann.

* Aus: neues deutschland, Donnerstag, 30. August 2012


UNO-Generalsekretär unter Druck gesetzt

Die USA haben Ban Ki Moon desavouiert und sich damit womöglich selbst geschadet

Von Roland Etzel **


Washington im Schmollwinkel – einmal mehr gefällt den USA der Ort des Gipfeltreffens nicht.

Die USA bleiben sich treu. Auf schlechte Beziehungen zur Bewegung der Nichtpaktgebundenen scheinen sie Wert zu legen. Als die ihr Gipfeltreffen 1979 gegen den laut ausgesprochenen Wunsch Washingtons trotzdem nach Havanna einberiefen, sprachen Jimmy Carter und sein Präsidentennachfolger Ronald Reagan verärgert nur noch von den »sogenannten Nichtpaktgebundenen«.

Dabei ist es beileibe nicht so, dass die geladenen Staatsvertreter nach der Pfeife der Gastgeber, in diesem Falle der Iraner, tanzen müssen. Natürlich möchte Irans Präsident Mahmud Ahmadinedschad seine Gäste zu einer Missbilligung der antiiranischen Embargomaßnahmen bewegen. Sollte er aber den Bogen überspannen, könnte er sich auch sehr schnell selbst eine Niederlage organisiert haben.

Diese Gefahr ist seit dieser Woche geringer geworden, und dafür kann er sich bei den USA bedanken. Washington hatte UN-Generalsekretär Ban Ki Moon aufgefordert, nicht nach Teheran zu reisen. Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu hatte sich sogar erlaubt, Ban zu »warnen, weil eine Teilnahme an dem Gipfel in Teheran ein großer Fehler« wäre.

Weder Israel noch die USA sind Mitglied der Bewegung. Sie haben kein Mitsprecherecht, wer an deren Gipfel teilnimmt, und auch keinen Anspruch, darauf, dem höchsten Vertreter der UNO vorschreiben zu können, welches Land er aufsucht. Auf den Nichtpaktgebundenengipfeln waren die UNGeneralsekretäre übrigens immer anwesend.

Diplomaten fragen sich nach dem tieferen Grund der Washingtoner Einlassung. Ban hatte seine Teilnahme bereits öffentlich zugesagt. Der Südkoreaner gilt, gemessen an seinem Vorgänger aus Ghana, ohnehin als empfänglicher gegenüber den Wünschen der USA. Wollten die Amerikaner wirklich, dass er das Gesicht verliert, indem er vor ihnen apportiert? Bisher wurden den iranischen Wünschen nach einer Missbilligung der zum Teil auch von der UNO verhängten Strafmaßnahmen keine guten Chancen eingeräumt. Gipfelerklärungen erlangen nur offiziellen Status, wenn sie im Konsens beschlossen wurden. Es gibt aber scharfe Befürworter der Iran- Sanktionen. Vor allem sind das Teherans regionale Rivalen, die arabischen Monarchien. Die ziemlich dreiste Einmischung der USA und Israels hat aber unter der Mehrheit der Teilnehmer Unmut hervorgerufen. Die Könige werden also bei ihrem Widerstand gegen die iranischen Wünsche Vorsicht walten lassen müssen. Die erste Runde ging an Teheran, aber das Ringen hinter den Kulissen geht ja weiter.

Übrigens: Die USA werden auch am nächsten Gipfelort wenig Freude haben. Sollte Hugo Chávez Präsident von Venezuela bleiben, wird er 2015 in Caracas Gastgeber sein.

** Aus: neues deutschland, Donnerstag, 30. August 2012


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