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Zeigefinger auf Iran?

Hans Blix über einen der Konfliktherde 2007

Ein Krieg gegen Iran sei nach dem jüngsten Bericht der US-amerikanischen Geheimdienste nicht mehr möglich, sagt Hans Blix, der Konflikt um Teherans Atomprogramm aber nicht aus Welt. Der frühere schwedische Außenminister war von 1981 bis 1997 Direktor der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) und wurde Anfang 2000 Chef der UNO-Abrüstungskommission für Irak. Mit dem 79-Jährigen sprach in Stockholm André Anwar.*



ND: Ausgerechnet George W. Bushs Geheimdienste haben festgestellt, dass Iran seit 2003 kein Atomwaffenprogramm mehr betreibt. Schaut man seit dem Irak-Krieg genauer hin?

Blix: Ja, da gibt es eine neue Vorsicht. Die Initiative dafür liegt aber bei den Nachrichtendiensten, nicht bei der Regierung. Nach dem Irak-Krieg wurden sie stark kritisiert, und sie wollen dieses Mal keine falsche Legitimation liefern. Eine Oppositionsgruppe, der Nationale Widerstandsrat, behauptet aber, Iran habe sein militärisches Programm wieder aufgenommen.
Es waren ohne Zweifel Widerstandsgruppen in Iran, die als erste das Nuklearprogramm in Na-tans enthüllt haben. Aber Behauptungen von politisch stark engagierten Oppositionsgruppen erfordern immer größte Vorsicht.

Was wäre denn überhaupt ein überzeugender Beleg dafür, dass Iran doch wieder an einem militärischen Atomprogramm arbeitet?

Authentische Regierungspapiere, die ein solches Programm beschreiben, ihm Ressourcen zuteilen, Aufgaben delegieren – oder wenn man Aktivitäten aufdeckt, die kein anderes Ziel als das der Waffenherstellung haben können. Aber auch solche Belege müssen sehr genau überprüft werden.

Ist es nicht schon verdächtig, dass Iran mit seinem fossilen Brennstoff so auf einem Atomenergieprogramm besteht?

Es wird gerne behauptet, dass Iran angesichts seines Erdöls mit einem Atomprogramm kein anderes Ziel als ein militärisches haben könne. Das muss nicht sein. Mexiko hat Erdöl und ein Atomprogramm. Die Franzosen scheinen es für unbedenklich zu halten, dem Erdölstaat Libyen Atomkraftwerke zu verkaufen. Natürlich darf man sich nichts vormachen. Urananreicherung auf einem industriellen Niveau in Iran verkürzt den technischen Weg zu einer Waffenoption. Aber das Problem haben wir in vielen Konfliktländern.

Hätten die USA Iran ohne die Entwarnung durch die eigenen Nachrichtendienste angegriffen?

Es gab zahlreiche Indizien dafür, dass das Weiße Haus tatsächlich dabei war, einen Angriff zu planen. Es hieß, die Bush-Regierung wolle diesen militärischen Schlag noch als ihre letzte Amtshandlung führen. Der jüngste Bericht ihrer Nachrichtendienste macht den Krieg völlig unmöglich. Die USA rechtfertigen Angriffe traditionell durch ihre Doktrin der präventiven Selbstverteidigung. Weil Iran nun offiziell keine Massenvernichtungswaffen hat oder vorbereitet, geht das nicht mehr.

Bush warnte aber davor, den Bericht der Geheimdienste als Entwarnung zu interpretieren.

In der Sache ändert der Bericht auch nichts daran, dass Iran dabei ist, sich große Kapazitäten zu schaffen, um Uran anzureichern, auch wenn es Teheran zurzeit nicht um militärische Ziele geht. Deshalb müssen wir weiterhin verlangen, dass Iran von seinem Urananreicherungsprogramm Abstand nimmt.

Sie haben vorgeschlagen, Staaten, die nach Atombomben streben könnten, lieber Sicherheitsgarantien anzubieten, als Sanktionen zu verhängen.

Wenn man ein Verhalten beeinflussen möchte, kann man das mit Zuckerbrot oder Peitsche. Die Europäer versuchten es zunächst mit Zuckerbrot. Es ging darum, Investitionen in Iran zu vereinfachen, dem Land mit friedlicher Atomenergiegewinnung und in die Welthandelsorganisation zu helfen. All das waren gute Ansätze, dann dominierte leider wieder die Peitsche. Doch wir wissen von vielen Fällen, dass gerade Sanktionen selten etwas ändern.

Ist es nicht naiv anzunehmen, Iran allein mit Zuckerbrot von seinem Atomprogramm abbringen zu können?

Es gibt mehr Anreizinstrumente als jene, die Teheran bisher angeboten wurden. Nordkorea etwa bekam von den USA ein Nichtangriffsversprechen, und zusammen mit Japan wurde die Hilfe bei der Normalisierung internationaler Verbindungen versprochen.

Wie kann man Iran langfristig bändigen? Sie sprechen gerne von regionalen Lösungsansätzen.

Theoretisch müsste der ganze Nahe Osten eine massenvernichtungswaffenfreien Zone werden. Israel würde da ohne einen weit fortgeschrittenen Friedensprozess natürlich nicht mitmachen. Aber was heute politisch möglich wäre, ist eine Zone, in der weder Uran angereichert noch Plutonium aufbereitet wird. Wir hören ja auch von Staaten wie Ägypten und Jordanien, dass sie Atomkraft anschaffen wollen. Man sollte also den Zeigefinger nicht nur auf Iran richten.

* Aus: Neues Deutschland, 31. Dezember 2007


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