Auf der Suche nach einem "kreativen Kompromiss"
Ein Papier aus dem BICC (Bonn International Center for Conversion) empfiehlt "ernsthaften Dialog" mit dem Iran - Geringe Erfolgsaussichten von Sanktionen
Im Folgenden informieren wir über ein vor kurzem vorgelegtes Papier aus dem BICC, das die aktuelle Entwicklung im Streit um das iranische Atomprogramm beschreibt und Lösungsvorschläge macht. Das Papier kann im Original auf der Website des BICC (www.bicc.de) als pdf-Datei herunter geladen werden:
Der Streit um das iranische Atomprogramm: Auf der Suche nach dem "kreativen Kompromiss".
Zum aktuellen Angebotspaket und den Erfolgsaussichten von Sanktionen. Von Marc von Boemcken und Jerry Sommer (BICC Focus, Juni 2006).
"Der Iran steht im Verdacht, unter dem Mantel eines zivilen
Atomprogramms die Herstellung von Atomwaffen anzustreben. Eindeutige
Beweise für ein aktives iranisches Atomwaffenprogramm gibt es zwar
bisher nicht und der Iran bestreitet, Atomwaffen zu wollen. Aber er hat
jahrelang heimlich Planungen und Programme zur Anreicherung von Uran
betrieben, das in schwach angereicherter Form für Brennstäbe in zivilen
Kernkraftwerken benötigt wird, hochangereichert aber auch für den Bau
einer Atombombe verwendet werden kann. Das iranische
Urananreicherungsprogramm steht erst am Anfang, aber aus Sorge um eine
Proliferation von Nuklearwaffen hat die internationale
Staatengemeinschaft darauf reagiert.
Die gegenwärtig stattfindende Urananreicherung im Iran findet unter der
Kontrolle der Internationalen Atomenergieorganisation (IAEO) statt. Sie
widerspricht nicht den Bestimmungen des Atomwaffensperrvertrages, der
eine Weiterverbreitung von Atomwaffen verhindern soll, die Nutzung der
Atomenergie zu friedlichen Zwecken aber ermöglicht. Dennoch verlangten
sowohl die IAEO als auch der UN-Sicherheitsrat vom Iran in diesem Jahr
die sofortige Suspendierung seiner Urananreicherung, weil nur so das
verlorene Vertrauen wiederhergestellt werden könne. Diese Forderung
hatte die iranische Führung abgelehnt. Eine Eskalation der
Auseinandersetzung schien vorprogrammiert."
Von diesem Ausgangspunkt her analysieren Marc von Boemcken und Jerry
Sommer in einer aktuellen Studie für das BICC (Bonn International Center
for Conversion) den gegenwärtigen Streit um das iranische Atomprogramm
und diskutieren die Möglichkeiten den Streit gewaltlos zu beenden. In
dem neuesten Angebot der EU, das mit den USA, Russland und China
abgesprochen ist, sehen sie einen Ansatzpunkt, die Sprachlosigkeit
zwischen den Hauptkonkurrenten zu überwinden und den Weg zu einem
Kompromiss zu beschreiten, der für alle begehbar ist.
Über den genauen Inhalt des neuen Angebots gibt es bislang nur
Spekulationen. Fest zu stehen scheint, dass darin zumindest die
folgenden Zusagen gemacht werden:
-
Der Iran erhält Unterstützung beim Bau von Leichtwasser-Atomkraftwerken
sowie - in Partnerschaft mit Russland - die Lieferung von angereichertem
Uran.
-
Die USA sind möglicherweuise bereit ihre seit 1979 praktizierten
umfassenden Wirtschaftssanktionen teilweise abzubauen. So könnten
Lieferungen von Ersatzteilen für iranische Boeing-Flugzeuge zugelassen
und der Verkauf des europäischen Airbus ermöglicht werden.
-
Vom Iran soll nicht mehr für alle Zeit der vollständige Verzicht auf
eigene Urananreicherung gefordeert werden. Vielmehr sollte der Iran
dieses Recht (das ihm laut IAEO-Statut ohnehin zusteht) unter bestimmten
Bedingungen zugestanden werden, und zwar dann, wenn das Vertrauen in den
ausschließlich zivilen Charakter des iranischen Atomprogramms wieder
hergestellt ist. Auch werden offenbar keine Einwände erhoben, wenn der
Iran Natururan in Urangas verwandelt (eine Vorstufe zur Anreicherung).
Mit diesem Angebot, so schreiben die Autoren, liege eine weit besserer
Vorschlag auf dem Tisch als es das Verhandlungspaket vom Herbst
vergangenen Jahres darstellte. Es sei für den Iran wirtschaftlich und
technologisch durchaus interessant und könnte den internationalen
Konflikt entschärfen - auch wenn die USA ihre Drohung mit einer
militärischen "Option" nicht aus dem Spiel genommen haben.
Bleiben als größtes Problem zur Zeit die nach wie vor im Raum stehenden
"Vorbedingungen". Der Westen verlangt vom Iran, dass er vor Beginn der
Verhandlungen "alle Aktivitäten im Zusammenhang mit der Urananreicherung
und der Wiederaufarbeitung nachprüfbar aussetzt". Genau diese
Vorbedingung wurde von Teheran bisher immer strikt zurückgewiesen. Der
Iran beruft sich hier nachdrücklich auf den Rechtsstandpunkt. Dennoch
gibt es Anzeichen dafür, dass Teheran einen Schrtitt auf den Westen
zugeht, indem er faktisch die Bedingung während der laufenden
Verhandlungen erfüllt, gleichzeitig sein grundsätzliches Recht auf
eigene Nuklearforschung aber bestätigt bekommt.
Marc von Boemcken und Jerry Sommer weisen darauf hin, dass die
Urananreicherung im Iran mittlerweile zu einem nationalen Prestigeobjekt
geworden ist, das es der Staatsführung kaum erlaubt, in diesem Punkt
irgendeine Vorbedingung zu akzeptieren. Damit die Verhandlungen an
dieser Frage nicht von vorneherein scheitern, plädieren sie für ein
Einlenken des Westens. Gefahr sei nämlich nicht im Verzuge. Selbst
US-Geheimdienstkreise rechnen schließlich damit, dass der Iran
frühestens 2010 bis 2015 in der Lage, eine Atombombe zu bauchen. Bis
dahin müsse es möglich sein, zu einer friedlichen Lösung zu kommen.
Für den Fall, dass der Iran keinerlei Vorbedingung akzeptiert, schlagen
die Autoren einen "Plan B" vor. Dieser Plan bestünde darin, einen
"kreativen Kompromiss" zu finden, "der eine begrenzte Forschung des
Irans an der Urananreicherung unter größtmöglicher internationaler
Kontrolle durch die IAEO" vorsieht. Im Gegenzug für Zusagen des Westens
und Russlands in Bezug auf technologische, wirtschaftliche und
politische Zusammenarbeit müsste sich der Iran verpflichten,
-
seine Wiederaufarbeitungsaktivitäten einzustellen,
-
keine Urananreicherung im industriellen Maßstab vorzunehmen,
-
Inspektionen entsprechend dem IAEO-Zusatzprotokoll zuzulassen, das
umfassende und unangekündigte Inspektionen sämtlicher Nuklearanlagen
vorsieht.
Im Ergebnis eines solchen kreativen Kompromisses müsste also der Iran
nicht auf jegliche Urananreicherung verzichten. Andererseits könnte man
aber auch die Entwicklung einer iranischen Atomwaffenfähigkeit
hinauszögern und kontrollieren. Es würde Zeit gewonnen,
-
die Diplomatie gegenüber dem Iran zu entwickeln,
-
der Lösung anderer regionaler Probleme näher zu kommen (Irak,
Nahostkonflikt), und
-
internen Differenzierungsprozessen im Iran Raum zu geben.
Die BICC-Überlegungen schließen auch mögliche Sanktionsdrohungen des
UN-Sicherheitsrats ein, an denen vor allem die USA interessiert sind.
Die Erfahrungen bbisheriger Sanktionsregimes seit den 90er Jahren hätten
gezeigt, dass Kombinationen mehrerer zielgerichteter Embargotypen,
insbesondere Waffenembargos, Finanzsanktionen und Reiseverbote, am
ehesten erfolgreich waren. Als positives Beispiel wird das Waffenembargo
gegenüber den UNITA-Rebellen in Angola zitiert.
Schlechte Noten werden dagegen umfassenden Sanktionen erteilt, wie sie
etwa gegenüber dem Irak oder Jugoslawien in Kraft waren. Vor allem im
Irak wurde die Zivilbevölkerung sehr stark davon betroffen ("humanitäre
Katastrophe im Land"). Weder im Irak noch in Jugoslawien konnte ein
Politikwechsel der Regierenden herbeigeführt werden. Das einzige
positive umfassende Embargo ist älteren Datums und betrifft die durch
die weltweiten Samktionen bewirkte Schwächung des früheren
Apartheid-Regimes in Südafrika.
Die beiden BICC-Autoren analysieren in einem weiteren Schritt ihrer
Argumentation die zu erwartenden Wirkungen verschiedener Sanktionen
gegenüber dem Iran:
-
umfassendes Wirtschaftsembargo,
- partielles Handelsembargo,
-
Öl- und Gasembargo,
-
Waffenembargo,
-
Embargo gegen Nukleartechnologie,
- Finanz- und Reisesanktionen.
Auch wenn die verschiedenen Sanktionsinstrumente partiell
unterschiedlich beurteilt werden: Im Fall ihrer konkreten Anwendung auf
den Iran würden sie alle entweder kaum Wirkung erzielen oder das
Gegenteil dessen bewirken, was mit ihnen erreicht werden sollte. Als Kriterien gelten dabei: Das Regime muss unmittelbar getroffen werden, ohne dass die Bevölkerung oder die Weltwirtschaft Schaden nehmen.
Unter diesen Voraussetzungen "scheinen im Falle des Irans wirtschaftlich einschneidende Sanktionen wie ein umfassendes Handelsembargo oder ein Embargo gegen den Öl- und Gassektor keine geeigneten Mittel zu sein, da sie eher zu Solidarisierungseffekten in der iranischen Bevölkerung mit ihrer Regierung führen würden". Außerdem sei es unwahrscheinlich, dass sich der UN-Sicherheitsrat über solche Sanktionen verständigen würde.
Unproblematischer und leichter zu vereinbaren wären die Instrumente Waffenembargo oder Embargo gegen Nukleartechnologie. Zu den Wirkungen heißt es im Papier des BICC: "Mit solchen Sanktionen könnte einerseits die Verteidigungsfähigkeit des Irans beeinträchtigt sowie andererseits der Aufbau des iranischen Atomprogramms inklusive eventueller militärischer Komponenten der Nukleartechnologie verlangsamt werden. Eine grundsätzliche Unterbindung einer militärischen Nutzung der Atomenergie, falls dies das Ziel der iranischen Regierung sein sollte, wäre allerdings auch so nicht sicherzustellen." Dennoch: "Ein Waffenembargo, ein Embargo gegen Nukleartechnologie oder ein generelles Kreditverbot würden .. die militärische, wirtschaftliche und technologische Entwicklungsfähigkeit des Irans beeinträchtigen. Die damit einhergehende politische Isolation des Irans könnte auch innere Differenzierungsprozesse in der iranischen Elite befördern." Zu den Durchsetzungschancen heißt es allerdings: "Die EU würde davon kaum berührt, die Vereinigten Staaten hätten ohnehin keinerlei direkten Schaden zu befürchten, weil sie schon seit über zwanzig Jahren unilateral Sanktionen gegen den Iran verhängt haben. Eine Verständigung mit Russland und China auf solche Sanktionen würde dennoch wohl erst dann möglich, wenn eindeutige Beweise für ein aktives iranisches Atomwaffenprogramm vorlägen, was gegenwärtig nicht der Fall ist."
Auch Reiseverbote oder gezielte Finanzsanktionen gegen Religionsführer und Regierungsmitglieder des Iran wären nach Einschätzung des BICC durchaus möglich, seien aber "vor allem symbolischer Natur". Da die Wirtschaft des Irans solche Sanktionen kaum spüren würde, wäre auch "ein Umdenken in Teheran wegen solcher Sanktionen .. nur schwer vorstellbar".
Ein weiterer Punkt kommt hinzu: Man muss auch "die möglichen politischen Folgen solcher Maßnahmen in Bezug auf weitere Verhandlungen ab(zu)wägen. Denn alle Sanktionstypen können – in jeweils unterschiedlichem Maße – eskalationsfördernd wirken. Um eine friedliche Lösung des Konflikts um das iranische Atomprogramm zu erreichen, ist aber ein Klima der Kooperation notwendig. Die Drohung mit Sanktionen und die Embargos selbst könnten eher zur Verhärtung von Positionen führen. Ihr Nutzen als allenfalls komplementär zu diplomatischen Bemühungen eingesetztes Druckmittel sollte deshalb keinesfalls überbewertet werden."
So verwerfen die Autoren schließlich alle Sanktionsüberlegungen - zumindest so lange um Verhandlungen gerungen wird. Das Fazit der BICC-Studie lautet daher:
"Zu einem ernsthaften Dialog gibt es keine Alternative. Er fordert von allen Seiten Flexibilität und Kompromisswilligkeit. Die Suche nach einem Kompromiss darf nicht an der Vorbedingung, dass der Iran vor Beginn aller Verhandlungen seine Urananreicherung suspendieren müsse, scheitern. Eine begrenzte Urananreicherung auch auf iranischem Boden unter Kontrolle der IAEO, wie sie zum Beispiel die International Crisis Group und andere internationale Wissenschaftler und Nichtregierungsorganisationen unter bestimmten Bedingungen als eine 'zweitbeste Lösung' vorschlagen, ist als ein möglicher 'kreativer Kompromiss' in Erwägung zu ziehen."
Zusammenfassung: Pst
Hier geht es zum Originalartikel des BICC:
Der Streit um das iranische Atomprogramm: Auf der Suche nach dem "kreativen Kompromiss".
Zum aktuellen Angebotspaket und den Erfolgsaussichten von Sanktionen. Von Marc von Boemcken und Jerry Sommer (BICC Focus, Juni 2006)
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