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Iran akzeptiert Urananreicherung im Ausland

Initiative von Brasilien und Türkei bringt Fortschritt im Atomstreit und beschämt westliche Staaten *

Iran hat in dem seit Jahren schwelenden Streit um sein Atomprogramm angesichts schärferer Sanktionsdrohungen eingelenkt. Bei einem Dreiergipfel mit Brasilien und der Türkei in Teheran wurde am Montag (17. Mai) ein Abkommen unterzeichnet, das die Anreicherung iranischen Urans im Ausland vorsieht.

Trotz eines Kompromisses von Seiten Teherans geht der Atomstreit mit dem Westen weiter. Iran willigte am Montag nach Vermittlungen Brasiliens und der Türkei zwar ein, radioaktives Uran im Ausland anreichern zu lassen, erklärte jedoch zugleich, auch an der Anreicherung im eigenen Land festzuhalten.

Iran, Brasilien und die Türkei besiegelten in Teheran einen Vertrag, der vorsieht, dass in der Türkei 1200 Kilogramm iranisches Uran mit einem niedrigen Anreicherungsgrad von 3,5 Prozent gelagert werden. Spätestens ein Jahr später soll Iran dafür in der Türkei 120 Kilogramm Uran mit dem Anreicherungsgrad von 20 Prozent für seinen Forschungsreaktor in Teheran erhalten.

Bisher hatte Iran eine Anreicherung im Ausland abgelehnt. Im Oktober wies Teheran einen Vorschlag der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) zurück, wonach iranisches Uran in Russland angereichert und in Frankreich zu Brennstäben weiterverarbeitet werden sollte. Stattdessen bestand Teheran auf einen zeitgleichen Austausch auf seinem Territorium. Dies wiederum lehnte der Westen ab.

Mit diesem neuen Abkommen seien Sanktionen im Atomstreit nun nicht mehr nötig, sagte der türkische Außenminister Ahmet Davutoglu. »Noch immer ist Zeit für Diplomatie und Verhandlungen«, betonte sein brasilianischer Kollege Celso Amorim. Mit dem Vertrag werde Teheran das Recht zuerkannt, zu friedlichen Zwecken Nukleartechnik zu verwenden und Uran anzureichern. Durch die Auslagerung der Produktion ins Ausland sollen Bedenken des Westens ausgeräumt werden, der Teheran verdächtigt, heimlich am Bau einer Atombombe zu arbeiten. Unter heftigem internationalem Protest hatte Iran im Februar selbst damit begonnen, Uran anzureichern.

Zum Einlenken Irans äußerte die »internationale Gemeinschaft« Bedenken. Der neue Vertrag könne ein Abkommen mit der IAEA nicht ersetzen, sagte Vize-Regierungssprecher Christoph Steegmans in Berlin. Der »springende Punkt« sei zudem, ob Teheran die eigene Urananreicherung aufgebe. Das am Montag geschlossene Abkommen gehe nicht auf »alle Sorgen« des Westens ein, erklärte die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton.

Die »internationale Gemeinschaft« dürfe sich »keinen Illusionen hingeben«, sagte ein Sprecher des französischen Außenministeriums. Die Vereinbarung betreffe lediglich den Forschungsreaktor in Teheran und »löst keineswegs das Problem des iranischen Atomprogramms«.

Dagegen begrüßte die Arabische Liga die mit Teheran beschlossene Einigung. Das Abkommen sei ein »positiver Schritt«, sagte Generalsekretär Amre Mussa in Kairo. Er hoffe, dass bald auch eine Übereinkunft zum gesamten Atomprogramm Irans folge, um dieses »aktuelle Problem« zu lösen. Mussa lobte die Anstrengungen des brasilianischen Präsidenten Luiz Lula bei der Vermittlung zwischen Teheran und der »internationalen Gemeinschaft«.

Auch Wolfgang Gercke, außenpolitischer Sprecher der LINKEN-Bundestagsfraktion, begrüßte das Teheraner Ergebnis »ausdrücklich«. »Verhandlungen statt Drohungen, Abkommen statt Sanktionen - dieser Stil muss sich international durchsetzen«, so Gehrcke.

* Aus: Neues Deutschland, 18. Mai 2010


Atomstreit: Durchbruch oder Zeitspiel?

Nach von Brasilien und der Türkei vermittelter Vereinbarung ist jetzt der Westen am Zuge

Von Jan Keetman, Istanbul **

Iran will sein Uran jetzt im Ausland anreichern lassen. Ein entsprechendes Abkommen wurde am Montag mit Brasilien und der Türkei unterzeichnet. Teheran hat damit im Atomstreit mit dem Westen einen Schritt in Richtung eines Kompromisses mit seinen Kritikern gemacht.

Nach Dreiergesprächen zwischen dem iranischen Präsidenten Mahmud Ahmadinedschad, dem brasilianischen Präsidenten Luiz Inacio Lula da Silva und dem türkischen Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan haben die Länder einen Durchbruch in der Atomfrage erzielt. Iran hat ein Abkommen unterschrieben, demzufolge niedrig angereichertes Uran in die Türkei exportiert und dort sukzessive gegen Uran mit mittlerer Anreicherung ausgetauscht werden soll, das Iran für medizinische Zwecke gebrauchen will.

Kaum war die Tinte unter dem Abkommen trocken, meldeten sich die ersten Skeptiker. Die Nachrichtenagentur AFP zitierte einen ungenannten Regierungsvertreter Israels mit der Ansicht, Iran manipuliere die politischen Führer Brasiliens und der Türkei für seine Zwecke. Misstrauen erregt der Umstand, dass bisher keine Details des Abkommens bekannt gegeben wurden. Es wäre nicht das erste Mal, dass Iran zu einem Entgegenkommen bereit scheint, eine Einigung dann aber an Einzelheiten scheitert.

Wie immer man die Vereinbarung später bewertet - sie war Ergebnis geradezu dramatischer diplomatischer Bemühungen. Noch vor kurzem hatte es so ausgesehen, als wäre Iran bereit, sein Uran nach Südamerika zu schicken, um es dort austauschen zu lassen. Doch es blieb bei der Zustimmung »im Prinzip«. Der brasilianische Präsident entschloss sich deshalb, nach Teheran zu reisen.

Nun wollte auch Erdogan, der ebenso wie Lula sehr gute Beziehungen zu Iran unterhält, nach Teheran reisen. Dafür sagte der türkische Premier Staatsbesuche in Aserbaidshan und Georgien kurzfristig ab. Am Freitag flog er dann doch nicht, weil er meinte, es komme seitens Irans nicht zur Unterzeichnung eines Abkommens. Statt Erdogan flog aber der türkische Außenminister Ahmet Davutoglu nach Teheran, von wo er seinem Ministerpräsidenten telefonisch mitteilte, dass es nun doch ein Abkommen geben könnte. Darauf bestieg Erdogan sein Dienstflugzeug und flog in die iranische Hauptstadt. Es folgten 18 Stunden trilaterale Gespräche.

Skeptische Stimmen zum Wert der Vereinbarung gibt es reichlich. Sie sind, hinter vorgehaltener Hand, selbst aus dem türkischen Außenministerium zu hören. Iran ist für diplomatische Spiele, die am Ende zumindest einen Zeitgewinn einbringen, bekannt. Schließlich drohen neue Sanktionen durch den UN-Sicherheitsrat, die es abzuwenden gilt.

Eine neue Sanktionsrunde käme auch der Regierung Erdogan ungelegen, denn die Türkei will ihre wirtschaftlichen Kontakte mit dem Nachbarland ausbauen, nicht einschränken. Außerdem müsste die Türkei als nichtständiges Mitglied im Sicherheitsrat und als Land mit einer Grenze zu Iran in der Sanktionsfrage politisch Farbe bekennen, was vermieden werden soll. Erdogan und Davutoglu verfolgen deshalb eine Politik mit jeweils einem Bein in jedem Lager.

Von der Türkei ist nicht zu erwarten, dass sie Bedenken zu der Vereinbarung in den Vordergrund stellt, sondern in alles einschlägt, was irgendwie von der Sanktionsfrage wegführt und sei es vielleicht nur ein Zeitgewinn. Der türkische Außenminister Davutoglu erklärte auch gleich, eine neue Sanktionsrunde sei nun nicht mehr notwendig.

Ahmadinedschad sagte, nun sei es Zeit, wieder Gespräche mit der Sechsergruppe (den ständigen Mitgliedern des UNO-Sicherheitsrates plus Deutschland) aufzunehmen. Die Gespräche sollten auf »Ehrenhaftigkeit, Gerechtigkeit und gegenseitigem Respekt basieren«. Das jetzt unterzeichnete Abkommen ist aber schon deshalb nur ein Zwischenschritt, weil die Türkei technisch nicht in der Lage ist, die Anreicherung vorzunehmen und so ein Abkommen mit mindestens einem weiteren Land notwendig ist.

Für Iran bedeutet das in jedenfalls einen Zeitgewinn, sofern sich die Sechsergruppe nach dem Verstreichen ihres Ultimatums vor fünf Monaten auf Verhandlungen einlässt.

** Aus: Neues Deutschland, 18. Mai 2010


In der Schmollecke

Von Roland Etzel ***

Durchbruch hin zu einer Verständigung im Atomstreit oder fieses Ablenkungsmanöver? Sowohl das eine wie das andere wird der Vereinbarung Irans mit Brasilien und der Türkei zur Urananreicherung unterstellt. Da es schlicht unmöglich ist, dies einen Tag nach dem Treffen von Teheran schlüssig zu beantworten, sind alle Politikerworte dazu nicht mehr als Äußerungen von Freude oder eben Missmut darüber. Das zeigt, wie polarisiert die Welt hinsichtlich Irans ist und wie tief sich besonders Westeuropa und die USA in ihre politische Ecke verrannt haben.

Dies wurde bislang deutlich in deren Weigerung, einen vernünftigen, auf Respektierung der legitimen Rechte der anderen Seite beruhenden Dialog einzuleiten, und es äußert sich jetzt in der Misslaunigkeit, mit der man das brasilianisch-türkische Verhandlungsergebnis spitzfingrig von sich wegschiebt. Sie haben ja recht: Statt Euphorie - obwohl gerade Brasiliens Lula (ein »Sieg der Diplomatie«) jeglicher finsterer Machenschaften in Mittelost unverdächtig sein dürfte - sollte Skepsis regieren.

Aber selbst die im Ton noch zurückhaltende Stellungnahme aus Berlin macht deutlich: Man ist verstimmt; weil die eigene Behauptung, mit Teheran sei kein Verhandeln mehr möglich, widerlegt ist und das auch noch von einem NATO-Partner; und es zeigt auch den inzwischen erreichten Grad der Anmaßung, die eigene - zunehmend fragwürdige - Strategie als Haltung der »internationalen Gemeinschaft« zu verkaufen.

*** Aus: Neues Deutschland, 18. Mai 2010 (Kommentar)


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