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"Extremisten bringen keine Stabilität"

Der Iran hält es für abwegig, daß der Westen in Afghanistan mit den Taliban verhandeln könnte. Ein Gespräch mit Ali Ahani

Ali Ahani ist stellvertretender Außenminister der Islamischen Republik Iran.

Ihr östliches Nachbarland Afghanistan ist zur Zeit vielleicht der wichtigste Brennpunkt der Weltpolitik. Wie beurteilen Sie die jüngsten Entwicklungen dort?

Der Vorschlag, die militärische Präsenz der USA und ihrer Verbündeten dort zu erhöhen, wird die Probleme nicht lösen, sondern komplizieren. In Afghanistan fehlt es an einem realistischen Herangehen – wieso sollte das Beharren auf ein und derselben Strategie nach neun Jahren voller Mißerfolge jetzt plötzlich zu einer Lösung führen?

Es ist allerdings viel von einem Abzug die Rede ...

Der Zeitplan zum Rückzug der ausländischen Truppen und die Bildung von Arbeitsgruppen mit den Nachbarstaaten könnte ein wichtiger Schritt nach vorn sein. Wichtig sind darüber hinaus die Stärkung der Institutionen sowie Investitionen in Wiederaufbau und wirtschaftliche Entwicklung. Kurz gesagt: die »Afghanisierung«.

Wie stehen Sie zu den Versuchen, mit den Taliban zu verhandeln?

Können Verhandlungen mit den Extremisten eine Lösung sein? Unsere Erfahrung sagt: Nein. Extremisten bringen weder Frieden noch Stabilität. Sie geben sich nicht mit dem zufrieden, was ihnen angeboten wird, sondern wollen die vollständige Kontrolle übernehmen.

Ist das der Grund, warum der Iran dem afghanischen Präsidenten Geldkoffer zukommen läßt?

(lacht) Der Iran pflegt mit der Regierung von Hamid Karsai eine offizielle und transparente Zusammenarbeit zum Zwecke des Wiederaufbaus. Unsere Beziehungen beschränken sich im übrigen nicht auf die Regierung Karsai. Wir unterhalten seit jeher, auf der Suche nach Frieden, Kontakte auch zu anderen Gruppen.

Der Mittlere Osten ist geostrategisch vor allem wegen seiner Öl- und Gasvorkommen so wichtig. Viele Staaten im Westen sorgen sich angesichts der Spannungen um die Energiesicherheit. Was antworten Sie denen?

Der Iran kann Ländern, die versuchen, ihre Quellen zu diversifizieren, eine stabile Versorgung garantieren. Wichtig ist allerdings, daß die Energiefrage nicht politisiert wird.

Worauf beziehen Sie sich mit diesem Hinweis?

Zum Beispiel auf die geplante Nabucco-Pipeline, die vom Kaukasus und dem Kaspischen Meer über die Türkei und verschiedene Balkanstaaten bis nach Mitteleuropa reichen soll. Die EU-Kommission versucht, den Iran davon auszuschließen. Alle europäischen Experten sind sich jedoch darüber einig, daß dieses Projekt ohne die iranischen Erdgasreserven seinen Sinn verliert.

Wo liegt der Grund für die Ausgrenzung?

Es gibt Leute, die uns fälschlicherweise als »Bedrohung« bezeichnen.

Das iranische Atomprogramm hat allerdings zu einer Verurteilung durch den UN-Sicherheitsrat geführt und Teheran eine Vielzahl von Sanktionen eingebracht.

Wir wollen diese Kontroverse lösen. Der Iran will weder die Atombombe haben noch Nachbarländer einschüchtern. Wir respektieren auch den Atomwaffensperrvertrag, unsere Aktivitäten werden von der Internationalen Atomenergieorganisation (IAEO) überwacht.

Aber seinen Nuklearbrennstoff will der Iran schon selbst produzieren?

Können wir riskieren, daß uns eines Tages nicht mehr das verkauft wird, was wir brauchen? So wie es beim medizinischen Forschungsreaktor in Teheran der Fall war? Warum soll der Brennstoff ein Monopol von vier Weltmächten sein?

Staatspräsident Mahmud Ahmadinedschad hat mehrmals den Kontakt zu US-Präsident Barack Obama gesucht. Gehört in Teheran das Tabu direkter Verhandlungen mit Washington der Vergangenheit an?

Das Verhältnis zwischen dem Iran und den USA ist kompliziert. Die öffentliche Meinung im Iran ist sehr sensibel, was die Beziehungen zu den USA anbelangt: Obama gab immerhin zu Beginn seiner Amtszeit Signale, die eine Kursänderung gegenüber der vorherigen Regierung suggerierten. Aber schauen Sie sich die Fakten an, alles blieb beim alten: Sanktionen, Embargo und sogar die direkte Unterstütztung der iranischen Opposition. Es ist klar, daß der Kongreß nicht die Absicht hat, der Regierung Obama zu erlauben, gegenüber dem Iran einen anderen Weg einzuschlagen. Umfassende Verhandlungen? Im Augenblick erscheinen mir die nicht sehr wahrscheinlich.

Interview: Marina Forti

Dieses Interview erschien zuerst in der linken italienischen Tageszeitung il manifesto.
Übersetzung: Andreas Schuchardt


* Aus: junge Welt, 10. November 2010


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