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30 Jahre Islamische Revolution

Von Mohssen Massarrat *

Februar 2009

Revolutionen finden statt, wenn die da oben nicht mehr können und die da unten nicht mehr wollen. Diese simple Erklärung Lenins trifft auch auf die Islamische Revolution im Iran zu. Mohammed Reza Pahlewi, der letzte Monarch einer 2500 Jahre alten Herrschertradition, war nicht nur als Tyrann und als ein durch einen CIA-Putsch auf den Thron gehievter Monarch vom Volk verhasst. Er hatte auch Ende der 1970er Jahre keinen Halt innerhalb der Herrscherelite mehr.

Der "letzte Kaiser" von Iran hatte den Weg der absolutistischen Monarchie dem europäischen Weg der repräsentativen Monarchien vorgezogen. Dank sprudelnder Öleinnahmen in den 1970er Jahren war Reza Pahlewi der Illusion verfallen, er könne durch den Ausbau der Armee und umfangreicher Aufrüstung die Machtbasis für eine dauerhafte Alleinherrschaft klientelistisch ausbauen. Seine Strategie musste aber scheitern. Der Iran war im Unterschied zum Irak, zu Libyen oder zu den Scheichtümern am Persischen Golf schon lange keine Stammesgesellschaft mehr. Die Soldaten seiner neuen und auf 400 000 Mann rasant ausgebauten Armee waren Söhne der sozial und kulturell entwurzelten Bauern.

Der Konsumrausch und die importierte westliche Kultur mag zwar den Reichen und die herrschende Elite befriedigt haben, die Soldaten und die große Mehrheit traditionalistischer und durch die rasante Verwestlichung verunsicherten Iranerinnen und Iraner fanden jedoch im Islam und der eigenen Tradition den verlässlicheren Halt, den sie gerade brauchten. Die Spaltung der Gesellschaft in pseudo-modernisierte aber mächtige Minderheit und eine politisch und religiös radikalisierte machtlose Mehrheit wurde unüberwindbar.

Schließlich folgte die überwältigende Mehrheit einschließlich der einfachen Soldaten dem Ruf radikaler Mullahs und den Intellektuellen, die mit ihrer radikalen Kritik der Verwestlichung und der aufgesetzten Scheinmodernisierung durch die Monarchie überall im Land Studenten und Schüler mobilisierten und den Weg für den vergleichsweise gewaltlosen Sturz der Monarchie freilegten.

Den letzten Ausschlag für den Sturz der Monarchie und den Beginn einer revolutionären Umwälzung unter islamischem Vorzeichen gab allerdings Ayatollah Khomeini. Der charismatische Revolutionsführer trat, im Unterschied zu allen anderen politischen Führern, kompromisslos für die Abschaffung der Monarchie ein. Dadurch gewann er bei allen Gegnern der Monarchie jene Autorität und Legitimation, die er benötigte, um die Islamische Republik aus der Taufe zu heben.

Grundsätzlich wäre nach der Revolution auch die Entstehung einer islamisch demokratischen Republik möglich gewesen. Tatsächlich entstand aber ein islamischer Staat, der sich mit "göttlichem Willen" legitimiert. Legislative (das Parlament) und Exekutive (der Präsident) sind im neuen politischen System dem Alleinvertretungsanspruch des Religionsführers untergeordnet.

30 Jahre nach Abschaffung der Monarchie sitzt die neue islamische Herrschaftselite zwar machtpolitisch fest im Sattel, politisch hat sie sich aber in dieselbe Sackgasse hineinmanövriert, wie seinerzeit der Schah Reza Pahlewi. Auch sie hat sich die Fesseln eines rentiersstaatlich-klientelistischen Herrschaftssystems angelegt, das die Transformation Irans in die Moderne blockiert. Gegenwärtig ist eine Perspektive für Entwicklung und Demokratisierung der Gesellschaft, selbst im Rahmen eines islamischen Wertekodex und einer islamisch rechtsstaatlichen Verfassung, nicht in Sicht.

Der Rentiersstaat orientalischer Prägung weist drei Merkmale auf: er steht in der Tradition des asiatisch-orientalischen Zentralismus und Despotismus, er finanziert sich nicht durch Steuern, sondern durch externe Finanzquellen, wie beispielsweise die Ölrenteneinnahmen, und er verfügt auch über das Privileg, die eigene Machtbasis selbst zusammen zu schmieden, sie ist also in der Lage, klientelistische Abhängigkeitsbeziehungen zu kreieren. Der Monarchie gelang es lediglich, die Schaffung einer loyalen Machtbasis, die jedoch nicht stark genug war, um das Regime von Schah Reza Pahlewi vor politischen Turbulenzen nachhaltig zu schützen.

Die neuen islamischen Machthaber erfreuten sich dagegen einer unvergleichbar größeren sozialen Trägerschaft mit revolutionärem Impetus. Es gelang ihnen, ihren islamischen Staat im ersten Jahrzehnt nach der Revolution von 1979 trotz oder gerade wegen eines acht Jahre andauernden Krieges gegen den Irak unter Saddam Hussein zu konsolidieren. Es entstand eine zweigeteilte, zahlenmäßig annähernd gleich große Gesellschaft: eine den neuen Machthabern loyale klassenübergreifende islamische Gesellschaft mit traditionalistisch orientierten sozialen Schichten. Diese Gesellschaft war privilegiert, hatte also direkten Zugang zu den Öleinnahmen, zu staatlichen Institutionen, zu Machtorganen, zu staatlich kontrollierten Wirtschaftsunternehmen und sonstige Vorteile. Und eine zweite ebenfalls klassenübergreifende, der Moderne zugeneigte Gesellschaft jenseits der islamischen Loyalitätsbeziehungen, d. h. ohne Zugang zu Öleinnahmen, ohne politische Rechte und ohne Einflussmöglichkeiten. Für diese parallelen Gesellschaften machten authentische Begriffe die Runde: Khodi und Ghaire Khodie (die von uns und die Anderen, die nicht zu uns gehören). Da die Grenzen zwischen beiden Gesellschaften fließend sind, war und ist es einer beträchtlichen Zahl besonders cleverer geldgieriger Charaktere, Spekulanten und korrupten Personen möglich gewesen Loyalitäten vorzutäuschen, um umso dreister an den Renteneinnahmen zu partizipieren.

Inzwischen ist der ursprünglich politisch halbwegs homogene islamische Teil der Gesellschaft in mindestens drei konkurrierende Lager zerfallen, in das reformistische, das pragmatisch konservative und das konservativ radikale Lager. Das islamische Reformlager unter dem Präsidenten Mohammed Khatami unternahm nach seinem überraschenden Sieg 1997 den zaghaften Versuch, die durch Korruption durchsetzten rentiersstaatlich-klientelistischen Strukturen durch rechtsstaatliche zu ersetzen. Obwohl Khatami aus beiden Gesellschaftsteilen mit ca. 80 % der Stimmen gewählt wurde, scheiterte er vor allem an der Blockadepolitik der konservativ-radikalen Kräfte und der uneingeschränkten Macht des Revolutionsführers. Eine wichtige Rolle spielte wohl auch die mangelnde Entschlossenheit des Präsidenten. Mit dem amtierenden Präsidenten Mahmud Ahmadinedschad wurde seit dessen Wahlsieg 2005 das alte System des unkontrollierten Zugangs zu den Öleinnahmen zielstrebig restauriert, um sie für den Ausbau der eigenen sozialen Basis für die nächste Präsidentenwahl konsequent auszugeben. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass sich die Nutznießer des Systems erneut zu einer Mehrheit bei der nächsten Präsidentenwahl im Juni dieses Jahres verhelfen könnten.

Die Politik und vor allem die Verwendung der Öleinnahmen folgen in diesem System nicht der Logik einer soliden ökonomischen Entwicklung und zum Wohl des gesamten Volkes, sondern vielmehr der Logik der Erweiterung der eigenen Machtbasis. Die ökonomischen und sozialen Folgen dieser Politik des konservativ-radikalen Lagers in den letzten vier Jahren sind daher für Iran verhängnisvoll: steigende Inflation, Bodenspekulation, sich vergrößernde Kluft zwischen Armen und Reichen, wachsendes Misstrauen der Menschen gegenüber der Elite der Islamischen Republik und eine sich ausbreitende Resignation in der Opposition, im gegenwärtigen Stillstand weiter verharren zu müssen. Dieses Ergebnis einer in die Sackgasse geratenen gesellschaftlichen Transformation nach dem Sturz des Pahlawi-Regimes steht in krassem Widerspruch zu den gesellschaftlichen Reform- und Transformationspotentialen des Landes in ökonomischer, kultureller und intellektueller Hinsicht. Diese Entwicklung war, wie eingangs erwähnt, keineswegs zwingend.

Irans Bürgertum war angesichts staatskapitalistisch-zentralistischer Strukturen zwar ökonomisch immer schwach, politisch jedoch aufgrund dessen aktiver Teilnahme an mehreren politischen Umwälzungen im 20.Jahrhundert der ökonomischen Entwicklung weit voraus. Das iranische Bürgertum beteiligte sich an der ersten Revolution zur Abschaffung der absoluten Monarchie Anfang des 20. Jahrhunderts und an der Demokratisierung und Nationalisierung der Ölindustrie in den 1950er Jahren. Zum politisch einflussreichen Bürgertum gehörten national verankerte Industrielle und Händler sowie Intellektuelle aus allen Schichten und Berufszweigen. Doch scheiterte dieses Lager teilweise auch an eigener Entscheidungsschwäche und an der Risikobereitschaft seiner politischen Eliten immer dort, wo Standhaftigkeit gefordert war, nämlich bei der Verteidigung der Presse- und Meinungsfreiheit:

zum einen bei dem Verbot der wichtigsten linksliberalen Tageszeitung "Ayandegan" ein halbes Jahr nach der Revolution, die sich zu der auflagenstärksten Zeitung und zum Sprachrohr des laizistischen Lagers entwickelt hatte. Zu diesem Zeitpunkt standen sich die Protagonisten der radikal-islamischen wie auch der islamisch-liberalen Ordnung als reale Optionen gegenüber. Der islamisch-liberale und charismatische Mehdi Basargan, der erste Ministerpräsident nach der Revolution, mit Rückhalt in allen bürgerlichen Schichten, versäumte es allerdings, sein politisches Schicksal mit dem Erhalt der Tageszeitung "Ayandegan" und der Verteidigung der Pressefreiheit zu verknüpfen. Die Chancen, den Kampf zu gewinnen, standen angesichts der noch ungebrochenen Stimmung für Freiheit und Demokratie nicht schlecht. Mit dem Verbot der Zeitung wurde der hegemoniale Elan für die Demokratie jedoch durch Angst und Unsicherheit verdrängt, die dadurch erst Recht forcierte Islamisierung überrollte alsbald auch Bazargan selbst und seine einflussreiche Freiheitsbewegung.

Zum zweiten fand sich der 2001 gerade mit überwältigender Mehrheit wiedergewählte Staatspräsident Mohammed Khatami, trotz einzigartig starker Stimmung für Meinungsfreiheit und Demokratisierung des Systems, ziemlich geräuschlos damit ab, dass sein dem Parlament vorgelegter Entwurf für ein neues Pressegesetz auf eine Anordnung des Revolutionsführers von der Tagesordnung abgesetzt und nicht einmal im Parlament diskutiert werden durfte. Angesichts dieser Schmach hätte Khatami das Risiko einer offenen Auseinandersetzung mit dem absolutistischen Anspruch des Revolutionsführers auf sich nehmen und zurücktreten müssen. Denn die Chancen einer machtvollen Unterstützung durch das Volk, um den Revolutionsführer zur Rücknahme des religiösen Dekrets zu bewegen, waren in meinen Augen nicht schlecht. Immerhin hatten auch Angehörige der Machtorgane (Revolutionswächter und Armee) mit großer Mehrheit für Khatami gestimmt. Die Folge der fehlenden Entschlossenheit des Präsidenten war die abermalige Stärkung des islamisch-antidemokratischen Lagers innerhalb des Systems und der Verlust der eigenen Glaubwürdigkeit.

Pressefreiheit ist ein hohes Gut und ein fundamentales Prinzip der Demokratie. Daher ist sie auch unverhandelbar. Verteidiger der Demokratie, die darüber hinwegsehen, haben längst verloren. Deshalb hätte es sich in beiden Fällen gelohnt, einen Machtkampf zu riskieren, zumal die Unterstützung breiter Bevölkerungsschichten sehr wahrscheinlich war. Bazargan und Khatami haben sich jedoch trotz jeweils politisch günstiger Bedingungen 1979 und 2001 vor einem Machtkampf mit dem konservativ-radikalen Lager gescheut und verloren. Mossadegh bestand 1951 im Kampf gegen die Monarchie kompromisslos auf der Trennung zwischen Regierung und Monarchie und gewann ihn, weil er durch seinen Rücktritt seine Glaubwürdigkeit unter Beweis stellte und die Bevölkerungsmehrheit spektakulär auf seine Seite holte. Der Schah akzeptierte in einem unblutigen Kampf Mossadeghs Forderung. Achtundzwanzig Jahre später zwang Ayatollah Khomeini in der Hauptsache dank seiner Standhaftigkeit und mit der Unterstützung der Bevölkerung den Schah zum Rücktritt und schließlich zum Verlassen des Landes. Die charismatische Führung sorgte dafür, dass die islamische Revolution, im Unterschied zu allen anderen Revolutionen, nicht durch einen gewaltsamen Umsturz, sondern vergleichsweise unblutig stattfand.

Nun steht die Überwindung der Selbstblockade der Islamischen Republik auf der politischen Agenda. Sie setzt voraus, dass der Kompetenzbereich des Revolutionsführers auf religiöse Fragen reduziert und die demokratischen Institutionen, wie das Parlament und der Präsident, entscheidend gestärkt werden. Im Iran bestimmen nach wie vor Persönlichkeiten und nicht Parteiprogramme das politische Geschehen. Mohammad Khatami ist trotz Vertrauensverlusts immer noch die glaubwürdigste und charismatischste Persönlichkeit, die den Reformprozess leiten könnte. Für die größte politische Herausforderung nach der Revolution reicht jedoch das Reformlager allein nicht aus. Erforderlich und durchaus auch realistisch wäre eine Allianz mit den Moderaten aus dem konservativ-radikalen Lager, die auch in den Machtinstitutionen des Landes über eine starke Basis verfügen.

* Dieser Beitrag erschien in der online-Ausgabe der Wochenzeitung "Freitag", 13. Februar 2009


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