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Verratene Enkel

25 Jahre Islamische Republik: Revolution, Reform - Restauration?

Im Folgenden dokumentieren wir einen Beitrag aus der kritischen Wochenzeitung "Freitag".


Von Torsten Wöhlert

Eigentlich sollte Teherans Stadtbild in diesen Tagen von Demonstration geprägt sein. Doch Massenproteste bleiben bisher aus, obwohl der Machtkampf zwischen Reformern und Konservativen im 25. Jahr der Islamischen Republik einem neuen Höhepunkt zustrebt. Vielleicht ändert sich das Bild mit dem 11. Februar, dem Revolutionstag. Doch sollte es da zu Aufmärschen kommen, werden die inszeniert und auf keinen Fall mit den Millionen vergleichbar sein, die vor einem Vierteljahrhundert das despotische Schah-Regime in die Knie zwangen.

Die Islamische Revolution hat ihre Kinder längst gefressen, und die überlebenden Reformer sind dabei, die Hoffnungen ihrer Enkel zu verraten. Gleichwohl erwies sich das von Ayatollah Khomeini seinerzeit installierte politische System als stabiler, pragmatischer und anpassungsfähiger, als Skeptiker, Kritiker und Enthusiasten erwartet hatten. Allein die sozialen und politischen Versprechen des Umbruchs von 1979 blieben uneingelöst - bis heute. Die Islamische Revolution besaß zweifellos ein befreiendes Moment, das der gesamten islamischen Welt zu neuem Selbstbewusstsein verhalf. Und das, obwohl der Impuls von einem nicht-arabischen Land ausging, dessen mehrheitlich schiitische Bevölkerung innerhalb des Islam eine Minderheit darstellt. An diesem unauflöslichen Widerspruch ist letztlich Teherans Revolutionsexport im iranisch-irakischen Krieg (1980-1988) grausam gescheitert.

Diese Konfrontation rettete den Mullahs in den postrevolutionären Konflikten die Macht. Deshalb wurde der Krieg von Teheran bis zur Erschöpfung verlängert. Als die Waffen endlich schwiegen und Khomeini 1989 starb, verschwanden die beiden entscheidenden Faktoren des inneren Zusammenhalts und ein offen ausbrechender Machtkampf drohte das Regime zu zerstören.

Allerdings konnte sich die islamische Machtelite zur gleichen Zeit in ihrem außenpolitischen Credo "Weder Ost noch West" durchaus bestätigt sehen, als die bipolare Weltordnung zerbrach. Angesichts wachsender Dominanz der USA blieb Teheran bei seinem anti-amerikanischen Kurs und setzte so die postrevolutionäre Isolierung des Landes fort. Sie war der Nährboden, der in den neunziger Jahren ein komplexeres islamisches Herrschaftssystem hervorbrachte, in dem Macht und Einfluss auf rivalisierende Personen, Gruppen und Institutionen verteilt wurden.

Innerhalb dieser "Balance of Power" gingen Radikale, Konservative und moderate Reformer wechselnde Bündnisse ein. Dabei schien es zunächst so, als sollten die Reformer zwischen den sozial-egalitären und militant-islamischen Radikalen einerseits und einer orthodoxen Geistlichkeit andererseits zerrieben werden. Doch es kam anders. Im Mai 1997 wurde mit Seyed Mohammad Khatami ein Reformer zum Präsidenten gewählt, auf den vor allem junge Leute und Frauen ihre Hoffnungen setzten. Iran erlebte einen Reformfrühling, der das Klischee von der uniformen Mullah-Diktatur nachhaltig erschütterte.

Die konservative Machtelite reagierte mit Repressalien wie einer verschärften Zensur und bestelltem Mord durch Geheimdienstagenten. Daraufhin von Studenten ausgehende Massenproteste entwickelten eine ungeahnte Eigendynamik. Als auf der Straße das islamische Regime per se in Frage gestellt wurde, verließ der Präsident seine Anhänger und suchte den Schulterschluss mit seinen Gegnern. Trotzdem eroberten die Reformer mit den Parlamentswahlen im Mai 2000 die Legislative, und auch Khatami selbst wurde ein Jahr später mit eindrucksvoller Mehrheit im Amt bestätigt.

Seitdem jedoch hat sich wenig getan. Mehr als 80 Prozent der vom Parlament verabschiedeten und vom Präsidenten unterschriebenen Reformgesetze wurden im konservativen Wächterrat blockiert. Wohl konnte sich die Wirtschaft dank steigender Öleinnahmen leicht erholen, doch drängen jährlich nach wie vor mehr als eine Million Jugendliche auf den Arbeitsmarkt, der nur knapp 300.000 neue Jobs anzubieten hat.

Heute sind die Zwanzig- bis Dreißigjährigen, von denen der Teheraner Reformfrühling einst geprägt wurde, weitgehend desillusioniert: Ihnen ging es um die Befreiung einer islamischen Gesellschaft von der dogmatischen Herrschaft jener, die diese islamische Staatsordnung einst aus dem Widerstand gegen das Schah-Regime errichtet hatten.

Revolution, Reform - und nun? Der Vergleich zwischen Khatami und Gorbatschow ist schnell bei der Hand, beschreibt er doch den klassischen Konflikt, der entsteht, wenn die existenziellen Widersprüche einer Gesellschaft durch einen evolutionären, systemerhaltenden Wandel "von oben" entschärft werden sollen. Gorbatschow weiht heute Tankstellen ein. Und Khatami?

Der Schah hatte Iran einst in despotischer Weise den Großen Sprung in die Moderne verordnet und dadurch das Land sozial polarisiert sowie seiner kulturellen und religiösen Wurzeln entfremdet. Er verbot den Schleier. Die islamischen Revolutionäre hoben diese Entfremdung auf und verkehrten sie unter einem hohen Blutzoll in ihr Gegenteil. Das züchtige Kopftuch wurde für Frauen zur Pflicht.

Unter dem Tschador regte sich allerdings sehr schnell Widerstand. Nicht nur heimlich. Wenn Friedensnobelpreisträgerin Schirin Ebadi als Anwältin in Iran vor Gericht Klienten verteidigt, trägt sie das Kopftuch ebenso selbstbewusst wie sie es bei Auftritten in Europa ablegt. In diesem symbolisch beschriebenen Spannungsfeld bewegen sich Khatamis "Reformen". Die dem zugrunde liegenden inneren Widersprüche werden über das Schicksal der Islamischen Republik entscheiden, die auch von außen weiter unter Druck gerät: Durch die aggressiver werdende Geopolitik der USA in der Region wie die Zwänge der Globalisierung, denen sich das Land schon wegen seiner nach wie vor auf dem Ölsektor basierenden Wirtschaftsstruktur nicht entziehen kann. Die Islamische Republik ist zum wiederholten Mal an einem Scheideweg.

Aus: Freitag 05, 23. Januar 2004


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