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Schöpfung von Washington und Riad

Terroranschläge sollen Lage im Irak destabilisieren. Eigentliches Ziel ist der Iran

Von Karin Leukefeld *

Am vergangenen Montag war der »Internationale Tag der Jugend«, der auf einen entsprechenden Beschluß der Vereinten Nationen zurückgeht. Junge Menschen im Irak haben davon wenig. Denn obwohl der Irak mit seinen großen Ölvorkommen zu den reichsten Ländern der Welt zählt, versuchen nach UN-Angaben 17 Prozent der Iraker unter 21 Jahren, das Land zu verlassen. Auswanderung sei »ein Symbol für verlorene Hoffnung, Angst und Verzweiflung«, erklärte dazu der UN-Beauftragte für das Zweistromland, Gyorgy Busztin. Die jüngsten Anschläge auf Cafés und Fußballplätze brächten junge Iraker zu der Überzeugung, »daß ein Visum für die Auswanderung die beste Option für ein besseres Leben« sei, sagte er. Wenn die junge Generation aber den Irak verlasse, sei die Frage: »Wer wird bleiben, um das Land wieder aufzubauen, um für Toleranz und Dialog einzutreten.« Die politischen Führer seien verantwortlich, ein »Klima des Friedens« zu schaffen. Die Regierung müsse Arbeitsplätze und Ausbildung anbieten, dann würden die Leute auch den Irak nicht verlassen, forderte er in einer Stellungnahme aus Anlaß des Jugendtages.

Die Regierung von Nuri Al-Maliki hat diese Aufgaben seit ihrem Amtsantritt Ende 2010 nicht erfüllt. Maliki, ein langjähriges Mitglied der unter Saddam Hussein verfolgten schiitischen Dawa-Partei, wurde durch ein muslimisch-schiitisches Parteienbündnis mit Unterstützung der Kurden an die Macht gebracht. In weiten Teilen der Gesellschaft herrscht Mißtrauen gegen ihn, weil er sie trotz gegenteiligen Beteuerungen von der politischen und wirtschaftlichen Teilhabe ausschließt. Er selbst mißtraut seiner engeren politischen Umgebung so sehr, daß er die Kontrolle über die Nationale Sicherheit und das Verteidigungsministerium selbst übernommen hat.

Dabei richtete er sich zunächst vor allem gegen Gruppen, die einen »Islamischen Staat im Irak« errichten wollen, der einem strengen sunnitischen Selbstverständnis folgen soll. Diese »Takfiri« beschimpfen, verfolgen und töten Andersgläubige, auch Muslime, als »Ungläubige«. Zu diesen gehören demnach nicht nur die vielen Glaubensrichtungen, die es im Zweistromland seit Jahrtausenden gibt. Die Verfolgung richtet sich vor allem gegen Schiiten, die die Nachfolge des Propheten Mohammed und seine Lehre anders interpretieren, als Sunniten.

Die Gruppe »Islamischer Staat im Irak« gilt als Al-Qaida-Organisation und hat sich im Frühjahr 2013 mit der Nusra-Front und anderen islamistischen Gruppen, die in Syrien kämpfen, zum »Islamischen Staat im Irak und der Levante« zusammengeschlossen. Diese Organisation übernahm inzwischen die Verantwortung für Anschläge, bei denen am vergangenen Samstag, dem Feiertag nach dem Fastenmonat Ramadan, mehr als 70 Menschen getötet wurden. Die Schiiten sollten »weder am Tag noch in der Nacht während des Eid-Festes in Sicherheit leben«, hieß es dazu in einer Erklärung, die per Internet verbreitet wurde.

Westliche Medien wie die Nachrichtenagentur AFP bringen die Anschläge in einen Zusammenhang mit dem »Ärger unter der sunnitischen arabischen Minderheit gegen eine von Schiiten geführte Regierung«. Tatsächlich werden mit den Attentaten jedoch keine politischen Forderungen transportiert. Auch werden keine politischen Amtsträger oder deren Symbole angegriffen. Die Attacken richten sich ausdrücklich gegen die Zivilbevölkerung, um Angst und Terror zu verbreiten und Gegenangriffe zu provozieren. Irak soll destabilisiert werden, dazu bieten die innenpolitischen Querelen eine gute Basis.

Vor dem US-geführten Krieg gegen den Irak 2003 gab es solche Gruppen im Irak nicht. Der Ursprung der Al-Qaida-Gruppen geht auf eine Initiative des US-amerikanischen Geheimdienstes CIA und des saudischen Geheimdienstes zurück. Diese gründeten um 1988 mit arabischen Gotteskriegern eine »Basis« (Arabisch: Al-Qaida), um die sowjetischen Truppen aus Afghanistan zu vertreiben. Später kämpften diese islamistischen Söldner in Zentralasien, im Irak, in Libyen und nun in Syrien. Auch wenn sie im Laufe der Jahre eine gewisse Eigenständigkeit erlangt haben und inzwischen auch ihre ursprünglichen Schöpfer oder deren Interessen angreifen, gilt als sicher, daß viele dieser Kämpfer weiterhin von westlichen Geheimdiensten geführt und finanziert werden.

Die Entwicklung im Irak und Syrien ist nicht getrennt voneinander zu sehen. In beiden Staaten leben Dutzende Volks- und Religionsgruppen und pflegen enge Beziehungen zum Iran, ihrem natürlichen Nachbarn. Der Iran aber ist der eigentliche Gegner westlichen Hegemonialstrebens im Mittleren Osten und Westasien. Islamistische Gruppen, deren blutiges Handwerk sich unter der Fahne des politischen Islam gegen die Zivilbevölkerung richtet, sind Werkzeuge in diesem Krieg.

* Aus: junge Welt, Donnerstag, 15. August 2013


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