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Irakischer Premier Maliki in Berlin - Obama in Bagdad

Die irakische Wirtschaft soll auf Touren kommen - und Deutschland möchte dabei sein. Zwei Artikel



Irak wird interessant für Wirtschaft

Kanzlerin Merkel empfiehlt Premier Maliki deutsche Firmen / Debatte über Flüchtlingsaufnahme *

Bundeskanzlerin Angela Merkel will in den Beziehungen zu Irak ein »neues Kapitel« aufschlagen.

Deutschland und Irak könnten bei ihren Zukunftsprojekten an »eine lange Geschichte« anknüpfen, sagte die Kanzlerin am Dienstag (22. Juli) nach einem Gespräch mit dem irakischen Ministerpräsidenten Nuri al-Maliki im Berliner Kanzleramt. Die Bundesregierung wünsche, dass in Irak nach dem Krieg der »Staatsaufbau fortschreitet« und wolle der Regierung in Bagdad Erfahrungen beim Aufbau eines »föderalen Staatssystems zuteil werden lassen«. Maliki zeigte sich interessiert an staatlichem und privatwirtschaftlichem Engagement beim Wiederaufbau, auch im Bildungswesen. Anlässlich von Malikis Besuch wurden verschiedene Bereiche des Wirtschaftslebens auf Möglichkeiten für ein künftig stärkeres deutsches Engagement überprüft.

Maliki sprach die Stahl- und Zementproduktion an, Merkel verwies auf den Bau von Infrastruktur und die Solarenergie, namentlich erwähnte sie das Interesse der BASF-Tochter Wintershall an einer Beteiligung an der Ölförderung in Irak. Der außenpolitische Sprecher der Unionsfraktion, Eckart von Klaeden (CDU), regte den Aufbau einer deutsch-irakischen Handelskammer an.

Irak sei »ein reiches Land«, sagte Maliki. Er äußerte den Wunsch, dass nicht nur im nordirakischen Erbil, sondern auch im südirakischen Basra ein deutsches Generalkonsulat eröffnet werde. Deutschland könne sich auch im Bildungswesen engagieren, bei der Gründung einer deutsch-irakischen Universität mitarbeiten und ein Goethe-Institut in Irak eröffnen. Inzwischen sei die Grundlage dafür geschaffen, dass Irak »die Sicherheitsfragen selbst in die Hand nehmen« könne, behauptete Maliki. Die Verbesserung der Sicherheitslage sei »die Voraussetzung« für eine verstärkte Zusammenarbeit, sagte Merkel.

Auf einen Zeitpunkt, zu dem die irakischen Sicherheitskräfte die Kontrolle über das Land vollständig übernehmen könnten, wollte Maliki sich nicht festlegen. Der demokratische US-Präsidentschaftsbewerber Barack Obama hatte nach einem Gespräch mit Maliki gesagt, dieser hoffe auf einen Abzug der ausländischen Truppen bis zum Jahr 2010.

Bei den Gesprächen im Kanzleramt ging es auch um die irakischen Flüchtlinge im Ausland. Maliki legte den Akzent darauf, dass seine Regierung daran arbeite, allen Flüchtlingen die »freiwillige Rückkehr« zu ermöglichen. In Irak sei »viel Geld für die Bildung« der heutigen Exil-Iraker ausgegeben worden. »Wir arbeiten dafür, dass sie alle zurückkehren«, sagte der Regierungschef.

Derweil hielt die Diskussion über die Initiative von Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble zur Aufnahme irakischer Flüchtlinge an. »Die Größenordnung sollte im fünfstelligen Bereich liegen, alles andere wäre ungenügend«, sagte der Vorsitzende des Bundestags-Innenausschusses, Sebastian Edathy (SPD). Maßstab für die Aufnahme müsse der Verfolgungsstatus und nicht die Religionszugehörigkeit sein. Schäuble hatte vorgeschlagen, vorrangig Christen Zuflucht zu gewähren.

* Aus: Neues Deutschland, 23. Juli 2008


In Bagdad mal vorbeigeschaut

Wahlkämpfer Obama auf Stippvisite in Irak / Vorschlag für Truppenrückzug erneuert

Von Karin Leukefeld **


Der US-Wahlkampf hat Irak erreicht. Bei einer Tour über diverse Schauplätze des US-geführten »Krieges gegen den Terror« hat der Präsidentschaftskandidat der Demokraten, Barack Obama, am Montag Irak besucht.

In der »Grünen Zone« der irakischen Hauptstadt traf Obama mit dem irakischen Ministerpräsidenten Nuri al-Maliki sowie mit Präsident Dschalal Talabani zusammen. Später sprach Obama mit dem Oberkommandierenden der US-Streitkräfte in Irak, General David Petraeus sowie mit ausgewählten US-Soldaten. Obama erneuerte seinen Vorschlag für einen allmählichen Rückzug der US-Truppen, mit dem etwa ein bis zwei Brigaden pro Monat abziehen könnten, berichtete der Fernsehsender Al-Dschasira. Die Kriegshandlungen sollten innerhalb der nächsten 16 Monate gestoppt sein. Obama schlug vor, eine Resttruppe im Land zu lassen, die US-Personal schützen und Iraker im Kampf gegen Al Qaida ausbilden könne. Obama verstand seine auf wenige Stunden begrenzte Stippvisite, bei der er von den zwei demokratischen Senatoren Jack Reed und Chuck Hagel begleitet wurde, als eine Art Fact Finding Mission, bei der er sich direkt über die Situation informieren wollte.

Ob er dabei etwas über die willkürlichen Verhaftungen, die schwindelerregende Korruption irakischer Regierungsmitglieder, die türkischen Luftangriffe auf nordirakische Kurdendörfer oder noch immer täglich explodierende Straßenbomben erfahren hat, ist fraglich. Die Mörder unzähliger irakischer Zivilisten -- von der irakischen Regierung der Einfachheit halber als die Chimäre »Al Qaida in Irak« eingestuft -- kommen ungestraft davon, während mehr als vier Millionen irakische Vertriebene durch Irak oder die angrenzenden Staaten irren, auf der Suche nach einer neuen Heimat.

Dass vor allem Kinder Opfer des anhaltenden Krieges sind, hatte ein US-Militärstaatsanwalt bei einem unangekündigten Besuch in einem Jugendgefängnis in Bagdad erlebt. Er überraschte die Wachen dabei, wie sie den Boden von Blut reinigten. Befragt, was geschehen sei, hieß es, zwei Jugendliche seien bei einem Fluchtversuch getötet worden. Tatsächlich waren die beiden etwa 14-jährigen Jungen, die eigentlich freigelassen werden sollten, von ihren Wächtern ermordet worden. Er habe in dem Gefängnis jede Menge Beweise für Folter gefunden, erklärte Staatsanwalt Craig Simper gegenüber Journalisten. »Die Ratten waren so groß wie Chihuahuas, und bis zu 50 Jugendlichen waren in einer Zelle.« Der jüngste Gefangene sei sechs gewesen.

Geldnot scheint indes nicht der Grund für derartige Missstände zu sein. Seit einigen Wochen verteilt die Regierung im Namen von Maliki Geldgeschenke an Menschen auf der Straße, berichtete die Nachrichtenagentur AP. Das sei in Ordnung, solange die Summe nicht mehr als 8000 Dollar betrage und sicher gestellt sei, dass nicht dieselbe Person zweimal Geld bekomme, erklärten Regierungsmitarbeiter die ungewöhnliche Maßnahme. Für die irakische Regierung werde die Ausgabe unter »Investitionen« verbucht, das Geld solle Basisdienste wiederaufbauen und die irakische Wirtschaft auf Touren bringen. Finanziert werden die »Handgelder« durch die Ölgeldschwemme, die Irak derzeit kassiert. Für dieses Jahr werden in Bagdad 70 Milliarden Dollar Öleinnahmen erwartet.

* Aus: Neues Deutschland, 23. Juli 2008


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