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Warten auf das Endergebnis

Irakische Wahlkommission veröffentlicht Resultate in Zeitlupe

Von Karin Leukefeld, Doha *

Auch zwei Wochen nach der Parlamentswahl warten die Iraker immer noch auf ein Ergebnis.

Am Wochenende (20./21. März) gab es dieselbe Prozedur wie fast jeden Tag: Scheibchenweise gibt die Irakische Wahlkommission seit 14 Tagen Ergebnisse bekannt. Die Meldung lautete 89 Prozent der Stimmen aus den 18 Provinzen seien ausgezählt. Noch immer fehlen die Ergebnisse der vorgezogenen Wahlen von Militär, Polizei, Krankenhauspersonal und Patienten sowie Insassen und Personal aus den Gefängnissen. Auch die Stimmen der Auslandsiraker liegen offiziell noch nicht vor, obwohl vereinzelt Ergebnisse bekannt wurden.

»In Birmingham und Manchester liegt Goran mit 945 Stimmen vorn«, so Karwan ein erleichterter Anhänger von Change, der Goran Bewegung (Wandel) aus den kurdischen Gebieten. Beim Ergebnis in Kirkuk allerdings legt sich dem jungen Mann die Stirn in Falten. In der umstrittenen Hauptstadt der Provinz Al Tamim, wo saftige Erdölfelder nur knapp unter der Erdoberfläche liegen, soll nach offiziellen Angaben die Al Irakia Liste des früheren Ministerpräsidenten Ijad Allawi knapp vor der Kurdistan Allianz (PUK, KDP, KP Kurdistan-Irak und zehn weitere Parteien) liegen. Manche Quellen beziffern den Vorsprung mit sechs, andere mit bis zu 2000 Stimmen.

Die meisten Beschwerden über Wahlbetrug seien in Kirkuk, der Provinz Niniveh (Mossul) und Diyala eingegangen, sagt Mariwan Hama-Saeed vom Trainingscenter des Institut für War and Peace Reporting in Sulaimaniya, das zeige wie angespannt die Lage in den »umstrittenen Gebieten« sei. Offiziell gibt die Irakische Wahlkommission die Zahl eingegangener Beschwerden mit mehr als 300 an.

Journalisten und politische Analysten diskutieren derweil über mögliche Konstellationen, die sich aus dem engen Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen der Liste für Rechtsstaatlichkeit des amtierenden Ministerpräsidenten Nuri al-Maliki und der Al Irakia Liste ergeben könnten. Allawi schloss gegenüber Medien eine Zusammenarbeit mit Maliki nicht aus, machte aber eine Verpflichtung zur innerirakischen Versöhnung zur Voraussetzung.

Die Frage der Bündnispartner sei wichtig, meint auch Salah Raschid, langjähriger Sprecher von Dschelal Talabani in Deutschland, der vor einem Jahr von der PUK zur Goran Bewegung wechselte. Er sieht nicht zuletzt die Liste von Muktada Sadr und die Kurden als »Königsmacher« bei anstehenden Verhandlungen. Während bei den Kurden durch den Erfolg von Goran die PUK von Talabani geschwächt aus der Abstimmung hervorging, was das kurdische Verhandlungsgewicht in Bagdad verringern könnte, hat die Bewegung von Sadr innerhalb der religiösen Allianz (INA) die Führung übernommen. Sollte Sadr sich aus dem schiitischen Block herauslösen, wäre er möglicher Bündnispartner für Allawi, zumal beide ein säkulares Programm verfolgen. Die Kurden dürften Allawi skeptisch gegenüberstehen, da dieser eindeutig Kirkuk unter zentralirakischer Kontrolle behalten will.

Bei den Irakern im Ausland überwiegt die Skepsis. Das ganze sei ein abgekartetes Spiel sagt Maysoon (Name geändert), die 2004 Bagdad verließ, weil sich ihr Wohnviertel in einen Schießplatz für Milizen aller Couleur verwandelt hatte. »Es gibt niemandem, dem ich trauen kann«, sagt sie. Rafid, ein Christ aus Bagdad, der sich aus gesundheitlichen Gründen in Amman aufhält und nicht wählen konnte, ist zwar dankbar, dass viele Christen in den kurdischen Gebieten Aufnahme fanden, kritisiert aber den kurdischen Nationalismus gegenüber den arabischen Irakern. Der ganze Irak sei seine Heimat, sagt Rafid, Einreiserestriktionen für den Norden lehne er ab: »Warum brauche ich als Araber eine Genehmigung, wenn ich nach Sulaimaniya oder Dohuk will, während die Kurden in Bagdad, in Kerbala, in Basra frei ihrer Arbeit nachgehen können?«

* Aus: Neues Deutschland, 22. März 2010


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