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Der Sieger in Irak wird noch gesucht

Erste Tendenzen der Parlamentswahl lassen schwierige Regierungsbildung erwarten *

Nach den Parlamentswahlen in Irak zeichnet sich ein Erfolg der Allianz für Rechtsstaatlichkeit von Premier Maliki ab. (...) Trotz blutiger Terroranschläge zeigten sich die Verantwortlichen zufrieden mit dem Verlauf.

Die Partei Rechtsstaats-Allianz hat sich bei dem Urnengang zur Wahl eines neuen Parlaments in Irak am Sonntag (7. März) in allen neun schiitischen Provinzen des Landes durchsetzen können. Dies ging am Montag aus ersten Ergebnissen hervor. Nach Ansicht von Experten ist die Wiederwahl von Ministerpräsident Nuri al-Maliki dennoch fraglich.

Wie AFP am Montag (8. März) von örtlichen Behördenvertretern erfuhr, lag die säkular auftretende Rechtsstaats-Allianz in den mehrheitlich schiitischen Provinzen im Süden des Landes in Führung. Das schiitisch-sunnitische Bündnis Al-Irakija um den früheren Regierungschef Ijad Allawi lag dagegen in den sunnitischen Provinzen Anbar, Salaheddin, Niniwe und Dijala vorn. In den mehrheitlich von Schiiten bewohnten Regionen waren 119 Sitze zu vergeben, in den sunnitischen Provinzen 70.

In den sunnitischen Gebieten war Malikis Rechtsstaatsallianz bis auf die Provinz Dijala weit abgeschlagen. Allawis Bündnis landete den ersten Ergebnissen zufolge in den schiitischen Provinzen Muthanna, Babylon und Basra auf dem zweiten Platz, in sechs weiteren wurde es von der schiitisch-religiösen Nationalallianz überholt. In der nordirakischen Provinz Kirkuk setzte sich ebenso wie in den drei kurdischen Provinzen die Kurdische Allianz durch. Für die Hauptstadt Bagdad lagen noch keine Schätzungen vor. Die Wahlkommission wollte am Mittwoch oder Donnerstag erste Ergebnisse bekanntgeben, das Endresultat wird für den 18. März erwartet.

Malikis Berater Ali al-Mussawi sagte, er rechne mit einem Stimmenanteil von gut 30 Prozent für die Rechtsstaatsallianz. »Es wird unmöglich sein, ohne die Unterstützungen anderer Kräfte eine Regierung zu bilden«, sagte er. Der Politikprofessor der Universität Bagdad, Hamid Fadel, bewertete Malikis Chancen für eine Wiederwahl skeptisch. »Die Mehrheit der anderen Parteien will ihn nicht«, sagte Fadel. Auch Asis Dschabbar, Politikprofessor an der Mustansarija-Universität in der irakischen Hauptstadt, hält eine weitere Amtszeit des Regierungschefs für unwahrscheinlich. Malikis Partei hätte dafür einen »viel größeren Vorsprung« benötigt, sagte Dschabbar. Faruk Abdullah, der für Malikis Partei kandidiert hatte, erklärte, es werde auf eine Regierung hinauslaufen, an der alle Interessengruppen beteiligt sind.

Aufgerufen zur Wahl waren am Sonntag rund 19 Millionen Iraker. Während die Beteiligung in schiitischen Gebieten Schätzungen zufolge bei rund 55 Prozent lag, gaben in den sunnitischen Regionen bis zu 70 Prozent der Wahlberechtigten ihre Stimme ab. Insgesamt lag die Wahlbeteiligung nach Angaben vom Montagnachmittag bei 62 Prozent. Gerade die Beteiligung der Sunniten, die nach dem Sturz von Saddam Hussein im Frühjahr 2003 ihre Machtbasis verloren, gilt als entscheidend für die Fortsetzung eines Aussöhnungsprozesses in Irak.

Die hohe Beteiligung zeigte, dass sich die Iraker von den Anschlagsdrohungen des Terrornetzwerks Qaida nicht abschrecken ließen. Trotz strenger Sicherheitsvorkehrungen kamen bei Attentaten am Wahltag im ganzen Land 38 Menschen ums Leben.

Die Bundesregierung zeigte sich erleichtert über den Verlauf der Wahlen in Irak.

* Aus: Neues Deutschland, 9. März 2010

Letzte Meldungen

Al-Maliki bei Wahlen im Irak vorn - 62 Prozent Beteiligung

Das Wahlbündnis des schiitischen Ministerpräsidenten Nuri al-Maliki hat bei der Parlamentswahl im Irak nach inoffiziellen Schätzungen die meisten Stimmen erhalten. Trotzdem stehen jetzt langwierige und komplizierte Koalitionsverhandlungen an.

Denn es gibt drei große arabische Fraktionen, die alle auf eine Regierungsbeteiligung pochen: Al-Malikis Rechtsstaat-Koalition, die religiöse Schiiten-Allianz von Ammar al-Hakim und das reform-orientierte Bündnis Al-Irakija unter dem säkularen Schiiten Ijad Allawi, das gestärkt aus der Wahl hervorgeht. Im noch amtierenden Kabinett von Al-Maliki hatten die religiösen Schiiten-Parteien zusammen mit den Kurdenparteien KDP und PUK den Ton angegeben.

Das vorläufige offizielle Wahlergebnis werde frühestens am kommenden Donnerstag verkündet, sagte der Chef der Wahlkommission, Farradsch al-Haidari. Die Wahlkommission erklärte, die Kandidaten und Parteien hätten am Vortag «Dutzende von Beschwerden» eingereicht, die erst noch geprüft werden müssten. Extremisten hatten am Sonntag in Bagdad und mehreren Provinzen des Zentralirak Anschläge verübt, um die Wahl zu stören. Die Wahlbeteiligung lag dennoch nach ersten Angaben der Wahlkommission landesweit bei 62 Prozent.

US-Präsident Barack Obama hat den Irakern zu der Wahl gratuliert und deutlich gemacht, am Zeitplan für den Abzug der US-Truppen festhalten zu wollen. Bis zum Ende kommenden Jahres sollen wie vorgesehen alle amerikanischen Soldaten das Land verlassen haben. Die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton versprach den Irakern Hilfe: «Die EU wird den Irak weiterhin dabei unterstützen, das Land aufzubauen und das politische System wieder zu etablieren - einschließlich des Übergangs zur Demokratie.»

Die Bundesregierung sieht nach der Wahl im Irak die Voraussetzungen für eine demokratische und rechtsstaatliche Entwicklung in dem Land verbessert. Nun werde es darauf ankommen, eine stabile Regierung zu bilden und die demokratischen Institutionen weiter aufzubauen, sagte Regierungssprecher Ulrich Wilhelm in Berlin. Außenminister Guido Westerwelle lobte den «Mut der vielen Frauen und Männer, die sich durch ihre Beteiligung an der Wahl zur Demokratie bekannt haben».

Faruk Abdullah, ein Mitglied des Bündnisses von Al-Maliki, sagte, die Rechtsstaat-Koalition habe in Bagdad und neun Provinzen den ersten Platz gemacht. Abdullah prognostizierte: «Es wird auf eine Regierung hinauslaufen, an der alle Interessengruppen beteiligt werden.»

Deutliche Verluste musste die Allianz der religiösen Schiiten- Parteien hinnehmen, zu der auch der im Iran residierende radikale Prediger Muktada al-Sadr gehört. Beobachter in Bagdad führten dies darauf zurück, dass sich der schiitische Klerus dem «Klammergriff» dieses Parteienbündnisses erfolgreich entzogen habe. Bei der Parlamentswahl 2005 hätten diese Parteien nur deshalb so gut abgeschnitten, weil sie sich als politischer Arm der Religionsgelehrten präsentiert hätten.

In einigen Städten, in denen vorwiegend sunnitische Muslime leben, konnte die Al-Irakija-Liste nach eigenen Angaben die Mehrheit erringen. In der Anbar-Provinz war auch die neue Koalition der irakischen Einheit, zu der Innenminister Dschawad al-Bolani und einige Stammesführer gehören, erfolgreich. Schlecht schnitten die traditionellen religiösen Parteien der Sunniten ab.

Auch bei den Kurden hat sich Einiges verschoben. Die neue Partei Goran («Wandel») konnte in den kurdischen Nordprovinzen etwa ein Viertel der kurdischen Stimmen auf sich vereinigen. Dadurch wird sie zu einem ernsthaften Konkurrenten für die etablierten Kurdenparteien KDP und PUK.

Der sunnitische Parlamentarier Mustafa al-Hiti, der für Al-Irakija kandidiert hatte, sagte der Deutschen Presse-Agentur dpa: «Es gibt noch keine offiziellen Resultate, aber laut den Schätzungen örtlicher Vertreter in den Wahllokalen liegt Al-Irakija in der Stadt Mossul mit 85 Prozent vorne, in der Provinz Anbar mit 80 Prozent und in der Provinz Salaheddin mit 70 Prozent.»

Al-Irakija ist ein nationalistisches Bündnis, dem sowohl Sunniten als auch Schiiten angehören. Die Nachrichtenagentur INA sah die Al- Irakija-Liste unter Führung von Ex-Ministerpräsident Allawi auch in der Provinz Dijala auf Platz eins.

dpa, 8. März 2010


Irak steht vor schwieriger Regierungsbildung

Der Irak steht nach der von tödlichen Anschlägen überschatteten Parlamentswahl offenbar vor einer langwierigen Regierungsbildung. Angesichts der Zersplitterung der politischen Landschaft könnten sich die Verhandlungen nach Einschätzung von Beobachtern Monate hinziehen. Die Beteiligung an der Abstimmung lag mit 62 Prozent deutlich unter der von 2005, wie die Wahlkommission am Montag (8. März) mitteilte.

Bei der letzten Parlamentswahl hatten 76 Prozent der Wahlberechtigten ihre Stimme abgegeben. Trotz der Anschläge mit 36 Toten war die Beteiligung am Sonntag (7. März) aber höher als bei der Regionalwahl im vergangenen Jahr.

Für einige Provinzen und Bezirke der Hauptstadt Bagdad werden der Wahlkommission zufolge am (morgigen) Dienstag erste Zahlen veröffentlicht. Das offizielle Ergebnis wird aber erst in einigen Tagen vorliegen, vermutlich am Donnerstag. Es wird erwartet, dass die Abstände zwischen den Wahlbündnissen im 325-köpfigen Parlament knapp ausfallen.

Erste Teilergebnisse deuten darauf hin, dass das Bündnis des amtierenden Ministerpräsidenten Nuri al-Maliki gut abgeschnitten haben könnte. Ein Vertreter der Rechtsstaat-Allianz, Abbas al Bajati, sagte, die Liste habe in Bagdad und im schiitisch geprägten Süden des Landes gute Ergebnisse erzielt. Der Regierungschef trat mit seiner Dawa-Partei für einen Mittelweg zwischen säkularer und religiös beeinflusster Politik an.

AP, 8. März 2010




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