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Das Verfassungsreferendum im Irak hat stattgefunden - Ist das schon ein Erfolg?

Berichte und Kommentare

Am 15. Oktober fand im Irak das Referendum über die Verfassung statt. Gut 15 Millionen Wahlberechtigte waren aufgerufen, über den Verfassungsentwurf, der noch kurz zuvor verändert worden war, abzustimmen. Dazu schrieb Armin Köhli in der Schweizer Wochenzeitung WOZ vom 13. Oktober 2005:
"Erschreckend ist, dass bis wenige Tage vor dem Referendum unklar ist, worüber die IrakerInnen denn abstimmen sollen. Selbst als der Text eigentlich feststand, wurde weiterverhandelt über die Gültigkeit und über die Modalitäten und Möglichkeiten für Verfassungsänderungen. US-VertreterInnen verhandelten kräftig mit und suchten nach Kompromissen - und zeigten dadurch, wie sehr sie sich immer noch direkt in die politischen Angelegenheiten des «freien» Irak einmischen. Selbst das Abstimmungsrecht - also wann die Verfassung als angenommen gilt - wurde vom Parlament kurzfristig geändert - und danach unter internationalem Druck wieder in die ursprüngliche Form gebracht."
Die Bekanntgabe des Ergebnisses verzögert sich um einige Tage, da die Wahlkommissionen einigen Unregelmäßigkeiten nachgehen wollte. Gleichwohl war die Reaktion in den USA, bei der EU und bei den vereinten Nationen positiv: Condoleezza Rice war sich bei einem Besuch in London sogar sicher, dass ein positives Votum herauskommen würde: Ihre Informationen kämen von Leuten, die mit der Auswertung der Stimmen beschäftigt seien, sagte die US-Außenministerin am 16. Okt. in London.
Im Folgenden berichten wir noch einmal über einige Hintergründe des Referendums und über das politische Klima, das im Irak herrscht. Außerdem dokumentieren wir ein paar Pressekommentare, die sich kritisch mit der Abstimmung und der Zukunft des Landes befassen.



Der folgende Artikel der Irak-Expertion Karin Leukefeld wurde vor dem Referendum verfasst.

Abstimmung im Ausnahmezustand

Massive Sicherheitsvorkehrungen begleiten die Wähler auf ihrem Urnengang

Von Karin Leukefeld


15 Millionen Wahlberechtigte sind am heutigen Samstag in Irak aufgefordert, per Referendum für oder gegen einen umstrittenen Verfassungsentwurf zu stimmen.

Die Straßen der irakischen Hauptstadt waren gestern wie ausgestorben. Sicherheitsmaßnahmen und vor allem die Angst vor Terroranschlägen haben die Menschen veranlasst, sich zu verkriechen. Die Abstimmung findet unter massiven Sicherheitsvorkehrungen statt. In Bagdad wurde die Ausgangssperre verlängert, der Verkehr innerhalb des Landes ist für vier Tage untersagt. Am heutigen Sonnabend darf kein Auto fahren, niemand darf Waffen tragen. Die Grenzen und auch der Internationale Flughafen von Bagdad bleiben geschlossen. So werden sich die Iraker zu Fuß auf den Weg in eines der 6000 Wahllokale machen. Die Stimmung schwankt zwischen Hoffnung und Desinteresse.

»So lange wir keine Sicherheit haben und ich allein für den Betrieb meines Generators 1500 Dollar im Monat zahlen muss, haben wir andere Sorgen als die Verfassung«, echauffiert sich ein 27 Jahre alter sunnitischer Geschäftsmann in Bagdad. Die sunnitische Verkäuferin Maha Hamsa (38) denkt anders: »Ich werde mit Ja stimmen, weil ich darauf hoffe, dass sich danach eine neue, starke Regierung bilden kann.« Die Grenzen von Pro und Kontra verlaufen ähnlich wie bei den Wahlen im Januar. Während im kurdischen Norden und im schiitischen Süden des Landes die Bevölkerung von Medien, Parteien und beim Freitagsgebet auf ein deutliches Ja eingestimmt wurde, blieben die sunnitisch-arabischen und säkularen Oppositionsvertreter bis zuletzt skeptisch.

Unter Druck des USA-Botschafters in Bagdad, Ibrahim Khalizaid, allgemein als Vermittlung dargestellt, haben die Kontrahenten scheinbar doch noch einen Kompromiss gefunden. Damit könnten die USA-Architekten des letzten Irak-Krieges 2003 den von den Vereinten Nationen geforderten »Konsens der Iraker« vorführen und ihr Konzept des »Regimewechsels« als Erfolgsmodell für die Arabische Welt etablieren.

Die Irakische Islamische Partei, die bisher den Verfassungsentwurf als Gefahr für die Einheit Iraks abgelehnt hatte, hat ihre Nein-Kampagne gestoppt und ihre Anhängerschaft aufgerufen, heute mit Ja zu stimmen. Doch nicht alle 21 sunnitisch-arabischen und säkularen Gruppen, die sich auf die Ablehnung des Verfassungsentwurfs geeinigt hatten, teilen den Sinneswandel der Islamischen Partei. In jedem Fall – möglicherweise war das auch ein Ziel der »Last-Minute-Vereinbarung« – werden die Verfassungsgegner gespalten in die Abstimmung gehen. Viele werden wahrscheinlich aus Verwirrung und Frustration einfach zu Hause bleiben.

Damit ist das Scheitern der neuen Verfassung bei der Volksabstimmung weniger wahrscheinlich geworden. Nicht wegen ihrer sunnitischen Religionszugehörigkeit hätten die 20 Prozent der arabischen Iraker das Referendum kippen können, sondern weil sie in den drei Provinzen Anbar, Salahuddin und Niniveh eine Zweidrittel-Mehrheit gegen den Text hätten erreichen können. Ein ursprünglich für die Kurden eingefügter Passus der Übergangsverfassung besagt, dass ein Referendum als abgelehnt gilt, wenn zwei Drittel der Wähler landesweit, oder in drei Provinzen mit Nein stimmten. Um das zu verhindern, hatte die schiitisch-kurdische Mehrheit im Parlament Anfang der Woche kurzerhand das Wahlgesetz geändert, musste aber wegen heftiger internationaler Kritik zwei Tage später die Änderungen wieder zurücknehmen.

Nicht nur Verfassungsgegner fühlen sich durch das Hin und Her ihrer Politiker verschaukelt. Erst eine Woche vor der Abstimmung waren die UNO-blauen Hefte mit dem Verfassungstext an die Bevölkerung verteilt worden, zu kurzfristig, um gelesen und verstanden zu werden. »Die Leute haben allmählich die Nase voll«, meinte der Dominikanerpater Yousif Thomas. »Wenn wir mit Ja abstimmen, tun wir das nur, damit dieses Chaos endlich aufhört. Aber ob der Text gut für uns und die Zukunft ist, kann hier keiner beantworten.« Großajatollah Ali al-Sistani, die religiöse Autorität der Schiiten, hatte sich bisher nicht zum Referendum geäußert. Nachdem nun doch eine Einigung gefunden war, erklärte Said Achmed Safi, sein Sprecher in Kerbala: »Die gläubigen Iraker sollen wählen gehen und zugunsten des Textes abstimmen.« Nach den Änderungen seien »alle Gegenargumente beseitigt.«


Das Ja der Kurden ist gewiss
Unter den Kurden Iraks ist das Ja zum Verfassungsentwurf keine Frage, sie sind bisher die uneingeschränkten Gewinner des mit dem Krieg 2003 durchgesetzten »Regimewechsels«. Sie stellen den irakischen Präsidenten, den Außen- und den Planungsminister, im Vergleich zum Rest des Landes ist ihre Wirtschaft gut aufgestellt. Milliarden Dollar an Hilfsgeldern von internationalen Organisationen und der USA-Entwicklungshilfeagentur USAID haben seit 1991 den Boden dafür bereitet. Von Bombenexplosionen mit großer Opferzahl blieben die Kurden verschont.
Die neue Verfassung sei ein »großer Schritt vorwärts in eine bessere soziale, politische und wirtschaftliche Ära« Iraks, sagt der Gouverneur von Erbil, Nusad Hadi. Die Kurden würden »in Massen« am Referendum teilnehmen. Eine Million Texthefte in kurdischer Sprache wurden in den drei Provinzen verteilt. Ein Ja zur Verfassung bedeute Ja zur kurdischen Autonomie und Ja zu den Peschmerga, ist auf Transparenten zu lesen. Einziger Wermutstropfen: das Recht auf Loslösung von Irak sei nicht vorgesehen und es fehlt eine klare Aussage über den Anschluss der Ölmetropole Kirkuk an die kurdische Autonomieregion. Dort wird auch für die Ablehnung der Verfassung geworben, was zu Spannungen führt. Eine Delegation der Turkmenen und Araber in Kirkuk erklärte dem UNO-Beauftragten Aschraf Ghasi, sie fühlten sich von den Kurden massiv bedrängt. Die irakisch-kurdische Polizei habe bei Razzien viele turkmenische und arabische Iraker festgenommen, die Anschläge geplant haben sollen. Viele kurdische Iraker seien aus dem Norden gekommen und hätten sich in die Wahlregister eintragen lassen.
KL


Aus: Neues Deutschland, 15. Oktober 2005


Ins Ungewisse

VON KARL GROBE

Das irakische Volk hat über ein Grundgesetz abgestimmt und sich annähernd so verhalten wie erwartet: Kurden stimmten wie Kurden, Schiiten wie Schiiten und Sunniten - meist - wie Sunniten. Die nach dem Sturz des Baath-Regimes eingeführte Dreiteilung ist so festgezurrt worden. Nur in der allgemeinen Feststellung, die Bevölkerung habe die Verfassung angenommen, ist noch etwas davon zu bemerken, dass "Iraker" gewählt haben, als Staatsbürger, als souveräne Wesen, nicht als Angehörige von Kasten, Konfessionen oder Ethnien.

Die Souveränität des Staates wird so begrenzt sein oder so weit reichen, wie die drei definierenden Elemente es zulassen oder wünschen; sie, nicht das Volk als Ganzes, sind Inhaber der Souveränität. Alle gewählten Körperschaften, Parlamente und Präsidialkollegien werden der Logik dieser ethno-religiösen Dreiteilung gehorchen.

Nicht dass es keine Unterschiede gäbe; sie sind aber bis vor 2003, unter der allgemeinen Repression gleichgeschaltet gewesen und im übrigen von der Zivilgesellschaft, wie sie in den Städten gewachsen war, aufgehoben und in die Zusammenhänge konkreterer Interessen integriert worden. Solche Interessen beziehen sich seit dem Krieg auf Grundsätzliches für den Alltag: Sicherheit, Elektrizität, Wasser, Nahrungsmittel, Arbeitsplätze. Vor allem die letzteren. Darüber konnte nicht abgestimmt werden; darum haben sich Besatzungsmacht und Übergangsregierung allzu wenig gekümmert. Unter diesen Umständen ist es erstaunlich, dass sich 60 Prozent der Iraker für das Referendum haben mobilisieren lassen.

Das irakische Volk hat als eine Einheit die Lasten des Saddam-Hussein-Systems gemeinsam getragen, die der politischen Repression, der Kriege gegen Iran und Kuwait, die der militärischen Niederlagen und der Sanktionen. Vermutlich haben die von den UN verhängten Sanktionen, die doch das Regime schwächen sollten, die Lebensumstände der Bevölkerung nachhaltiger betroffen als die Kriege.

Jetzt, mit Aussicht auf Souveränität, ist die Einheit nicht mehr vorhanden. Die Rebellion eines Teiles der sunnitischen Minderheit hat direkt damit zu tun. Die Gefahr besteht und ist ihnen nur zu bewusst, dass sie von den wirtschaftlichen Ergebnissen des Neuaufbaus, etwa in der Ölindustrie, abgeschnitten werden: In den sunnitischen Regionen gibt es kaum Erdöl. Deshalb der Widerstand gegen die Föderalisierung; aber er stärkt erst den Widerstand der anderen und schwächt die einheitsstaatlichen Kräfte.

Gewiss versuchen außerirakische terroristische Gruppen sich in den Widerstand einzuklinken. Dies ist neu. Vor der Invasion der USA hat es in Irak al Qaeda ebenso wenig gegeben wie Massentötungswaffen. Der Terrorismus ist nach den Zerstörungen anderer Art, die Irak vorher erduldet hat, das jüngste und wohl höchste Hindernis auf dem Wiederaufbau-Weg. Mit diesem Erbe, das es nicht haben wollte und gegen das es sich mit unzureichenden und oft sehr falschen Mitteln wehrt, muss Iraks Volk künftig leben. Die Verfassung würde ihm dabei nur unzureichend helfen, selbst wenn sie gründlicher formuliert und von einer größeren Mehrheit verabschiedet worden wäre. Sie weist die Richtung, in die der nächste Schritt gehen soll. Er führt ins Ungewisse.

Aus: Frankfurter Rundschau, 18. Oktober 2005


Genügsame Lehrmeister

Von Frank Wehner

Finden Volksabstimmungen in Nah- und Mittelost statt, dann quittiert der Westen dies zumeist mit Naserümpfen. Ganz anders in Irak. Jeder dortige Urnengang löst neuerdings bei den Lehrmeistern der Demokratie Begeisterung aus. Von wegen streng und unbestechlich, mitunter können die auch sehr genügsam sein.

Was passierte denn an diesem so gelungenen Tag, dessen Resultat noch keiner kennt? Die Zahl der Terroropfer hielt sich 24 Stunden lang in Grenzen. Rund 60 Prozent der Iraker äußerten sich zu einem Papier, das die Rechte von Minderheiten, Frauen und laizistischen Bürgern wenig achtet, die Interessen der Sunniten ignoriert und somit spaltet. Nicht eben viel, um von einem »guten Tag für Irak und den Weltfrieden« zu sprechen, wie Bush es tut.

Wenn etwas positiv war, dann sind es Dinge, die Bushs Freude eher trüben müssten. Immer mehr Iraker zeigen, dass sie sich an der Gestaltung der Zukunft ihres Landes beteiligen wollen, was freilich auch heißt, dass diese besatzerfrei sein soll. Bemerkenswert ist desgleichen, dass die Sunniten ihre politische Abstinenz aufgeben. Fatal nur, dass dies der Verfassung made in USA nicht gut bekommen und am Ende Bush die Demokratie am Euphrat nicht mehr ganz so rosig sehen dürfte.

Aus: Neues Deutschland, 18. Oktober 2005


Pferdefüße

Die Erleichterung im Irak weicht wieder der Sorge - von Gudrun Harrer

(...) Drei Tage danach scheint sich ein Szenario abzuzeichnen, das schlimmere Auswirkungen haben könnte als eine Ablehnung der Verfassung: nämlich ein Ja, dessen Legitimität gleich zwei Pferdefüße hat.

Erstens steht der Vorwurf der Wahlfälschung im Raum, den auch die irakische Wahlkommission nicht vom Tisch wischen konnte. Auch wenn noch so oft ausgezählt wird: Die Propagandisten des Aufstands werden dafür sorgen, dass daraus eine Dolchstoßlegende wird. Zweitens stellte sich die Sache am Dienstag [18.10.] so dar, dass die dritte und für den Wahlausgang entscheidende arabische Sunnitenprovinz die Verfassung mit über 50 Prozent ablehnte, diese Ablehnung jedoch nicht die Zweidrittelmehrheit erreichte, die nötig gewesen wäre, um die Verfassung durch ein Nein in drei Provinzen zu Fall zu bringen. Das heißt, auch wenn das Ja nach allen Spielregeln und fair erreicht wurde und eine klare Mehrheit der Iraker für die Verfassung ist: Der Ausgang war dank der Drei-Provinzen-Klausel knapp, und das wird den Aufstand erst einmal anheizen. (...)

Aus: DER STANDARD, 19. Oktober 2005


70 Tote bei US-Luftangriffen im Westirak

(...) In der Hauptstadt Bagdad war zwei Tage nach der Abstimmung über eine neue Verfassung für den besetzten Irak Streit über die – noch nicht veröffentlichten – Wahlergebnisse ausgebrochen. Mehrere Vertreter sunnitischer Parteien erklärten am Montag, die Verfassung sei in drei ihrer Provinzen abgelehnt worden und damit gescheitert. Sie warnten vor »Manipulationen« zugunsten eines anderen Ergebnisses. Widersprüchliche Angaben lagen vor allem aus der Provinz Ninive vor. Die Wahlkommission wies Berichte zurück, wonach die sunnitisch dominierte Provinz für den Verfassungstext gestimmt habe. Dies hatte zuvor der kurdische Abgeordnete Mahmud Osman behauptet. Der sunnitische Würdenträger Scheich Saad Al Mahmud warf den Kurden hingegen vor, die Ergebnisse zu fälschen. Die Verfassung sei in Ninive mit großer Mehrheit abgelehnt worden. Der Sprecher des sunnitischen Nationalen Dialog-Rates, Saleh Mutlak, hatte bereits am Sonntag gesagt, nach Informationen seiner Organisation hätten die Iraker die Verfassung mehrheitlich abgelehnt. Er warne vor Manipulationen des Abstimmungsergebnisses, »weil wir die Einheit des Irak bewahren wollen«. Scheich Abdul Salama Al Kubaisi von der einflußreichen Vereinigung sunnitischer Gelehrter prognostizierte: »Bei einer Verabschiedung der Verfassung werden die Anschläge gegen die Besatzungskräfte zunehmen.« Die Sicherheitslage werde sich noch weiter verschlechtern.

Die Wahlkommission erklärte, Presseberichte über ein Ja in Ninive entbehrten jeglicher Grundlage. »Daß das klar ist: Der Wahlkommission liegen noch keine Zahlen vor«, sagte Kommissionsmitglied Farid Ajjar. Abdul Hussein Hindawi, eines der ranghöchsten Kommissionsmitglieder, kritisierte auch US-Außenministerin Condoleezza Rice. Er sei »erstaunt« über Rices Stellungnahme am Sonntag, in der sie die Verfassung für »wahrscheinlich angenommen« erklärt hatte: »Soweit ich weiß, ist sie kein Kommissionsmitglied«, betonte Hindawi. Die Ergebnisse des am Samstag abgehaltenen Verfassungsreferendums sollen nach Angaben der Wahlkommission spätestens am Donnerstag vorliegen.

Aus: junge Welt, 18. Oktober 2005


Rechenkünstlerin des Tages

Iraks Wahlkommission

Die ursprünglich für Dienstag geplante Bekanntgabe der Ergebnisse der Abstimmung über die neue, unter US-Druck ausgearbeitete, irakische Verfassung ist auf unbestimmte Zeit verschoben worden. »Ungewöhnlich hohe Ergebnisse« in etlichen Provinzen erforderten eine Überprüfung der Daten. Es werde mehrere Tage dauern, diese »schwierige und komplexe Operation« der korrekten Auszählung zu beenden, hieß es am Dienstag in der Erklärung der Wahlkommission. Die verdächtigen Ergebnisse mit Werten von über 90 Prozent »Ja«-Stimmen für die Annahme der Verfassung kommen aus den zwölf Provinzen, in denen überwiegend Schiiten und Kurden leben. Laut New York Times liege der Anteil der »Ja«-Stimmen in einigen Provinzen bei sage und schreibe 99 Prozent.

Anführer sunnitischer Parteien lehnen das Referendum bereits wegen massiven Wahlbetrugs ab. Mischaan Al Dschuburi, Mitglied der Nationalversammlung, warf den schiitischen und kurdischen Parteien vor, in den von ihnen kontrollierten Provinzen »selbst die Wahlzettel ausgefüllt und damit die Wahlurnen vollgestopft zu haben«. Sie hätten auch die Stimmen derjenigen mißbraucht, die nicht zur Wahl gegangen seien. In diesem Zusammenhang verwies er auf Berichte, wonach in etlichen schiitischen Provinzen, insbesondere in Nadschaf, Kerbala und Wasit, die Wahlbeteiligung den ganzen Tag über mit 20 bis 30 Prozent sehr bescheiden gewesen sei. Nach Schließung der Wahllokale am Samstag abend seien dann außerordentlich hohe Zahlen gemeldet worden.

Machmud Othman, kurdisches Mitglied der Nationalversammlung, bestätigte gegenüber der Presse, daß der größte Teil der insgesamt 57 000 eingesetzten Wahlbeobachter alles andere als unabhängig war. So hätten im Nordirak die beiden großen kurdischen Parteien PUK und KDP sich in den Wahllokalen selbst kontrolliert. Der UNO warf er vor, im fernen Amman, der Hauptstadt des Nachbarlands Jordanien, zu sitzen und zu erklären, alles sei »gut und fair gelaufen, nur weil sie nicht hierher kommen wollten«.

Aus: junge Welt, 19. Oktober 2005


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