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Neue Strategie für den Irak - oder bleibt alles beim Alten?

Bush setzt weiter auf Sieg durch Krieg - Aufstockung der Truppen offenbar beschlossene Sache

Am 10. Januar wird George W. Bush seine angekündigte Rede über die "neue" Strategie im Irak halten. Die wesentlichen Linien dieser Strategie, die Bush "zwischen den Jahren" mit seinen engsten politischen und militärischen Beratern besprochen hatte, sickerten indessen schon vorher durch. Fest steht, dass von den Vorschlägen der Baker-Kommission (so unzureichend sie auch sind, um den Krieg wirklich zu beenden), kaum Gebrauch gemacht wird. Spannend bleibt, wie der neu zusammen gesetzte, ob, wie und wie lange der von den Demokraten beherrschte Kongress mitspielen wird.
Im Folgenden dokumentieren wir zwei Artikel, die das Vorhersehbare schildern und kommentieren.


Strategie Sieg

Mehr Geld, mehr Soldaten, mehr Zeit: US-Präsident Bush präsentiert Plan zur Befriedung des besetzten Irak. Armeechef rechnet mit mindestens zwei bis drei weiteren Jahren Kriegführung

Von Rainer Rupp *


US-Präsident George W. Bush will am morgigen Mittwoch (10. Januar 2007) seine neue Irak-Strategie der Öffentlichkeit vorstellen. Wesentliche Elemente des Plans waren in den vergangenen Tagen und Wochen in US-Fachkreisen bereits breit diskutiert worden. Hervorzuheben ist dabei, daß die Verstärkung der US-Kampftruppen im Irak mit bis zu 50000 Mann sowohl von führenden Generälen als auch von der Mehrheit des Kongresses, insbesondere von den Demokraten, als »zu spät« abgelehnt wird. Sie sind der Meinung, der Krieg im Irak sei »militärisch nicht mehr zu gewinnen«. Inzwischen hat Bush allerdings die dort verantwortliche US-Militärführung kurzerhand durch Ja-Sager ersetzt.

Der Kern von Bushs Strategie ist, diesmal mit überwältigender Gewalt nicht nur gegen den sunnitischen Widerstand, sondern gegen alle irakischen Gegner der US-Besatzung vorzugehen, egal ob sunnitischer oder schiitischer Couleur, egal ob die Gruppierungen aktiven militärischen oder nur passiven politischen Widerstand leisten. In einer ersten Phase soll zunächst die Hauptstadt Bagdad »von Aufständischen gesäubert« werden. Statt sich wie bisher zurückzuziehen, sollen die US-Soldaten, unterstützt von irakischen Marionetten, die »gesäuberten« Gebiete jedoch halten, um anschließend in den »befriedeten« Stadtvierteln nach US-Vorgaben mit dem wirtschaftlichen und politischen Wiederaufbau zu beginnen. Sobald Bagdad sicher ist, soll das Konzept auf die widerspenstige Provinz Anbar und andere Widerstandsregionen ausgedehnt werden.

Job-Programm für Bagdad

Zugleich beinhaltet die vermeintlich neue Bush-Strategie wirtschaftliche und politische Maßnahmen, um Unentschlossenen und Opportunisten goldene Brücken zur Kollaboration mit den US-Besatzern und ihrer Marionettenregierung zu bauen. So soll ein mit einer Milliarde Dollar ausgestattetes »Job-Programm« die extrem hohe Arbeitslosigkeit in Bagdad und den daraus entstandenen Haß auf die US-Besatzung mindern. Zum gleichen Zweck sollen dringend erforderliche Reparaturarbeiten, insbesondere in den sunnitischen Gebieten, an wichtigen Infrastrukturprojekten wie der Wasserversorgung und dem Abwassersystem vorrangig durchgeführt werden. Überwiegend von Sunniten bewohnte Regionen waren bisher von der schiitisch geführten Regierung in Bagdad von derlei Vorhaben weitgehend ausgeschlossen worden.

Teil der Irak-Strategie ist laut US-Medienbrichten auch, die irakische Marionettenregierung auf Erfüllung von politischen Zielmarkierungen zu verpflichten. Diese sehen einerseits die verstärkte Einbindung »gemäßigter« sunnitischer Kräfte in die US-Besatzungspolitik vor und andererseits die Ausgrenzung und Bekämpfung aller schiitischen Besatzungsgegner, insbesondere des Geistlichen Muqtada Al Sadr und seiner Mahdi-Miliz. Von den »Zielmarkierungen zur Einbeziehung von mehr Sunniten in den politischen Prozeß« nennt die New York Times unter Berufung auf US-Regierungsbeamte insbesondere die Verpflichtung der schiitisch geführten Regierung Nuri Al Malikis, das seit langem blockierte nationale Ölgesetz endlich zu verabschieden. Neben dem fast totalen Ausverkauf an ausländische Konzerne soll damit die Verteilung der verbliebenen Öleinkünfte an alle irakischen Regionen, einschließlich der sunnitischen, auf der Basis der Einwohnerzahl geregelt werden.

Doch es ist nicht das erste Mal, daß sich die Bush-Administration und die Maliki-Regierung auf gemeinsame Ziele geeinigt haben – ohne daß dabei etwas herausgekommen wäre. Viele der neuen Vorhaben sind eigentlich alte, die die US-Besatzer bereits letztes Jahr den Irakern aufgezwungen hatten und die im Oktober 2006 bekanntgeworden waren, wie die Festsetzung eines Datums für Wahlen in den Provinzen. Damit sollen in den sunnitisch dominierten Gebieten die Menschen für den »politischen Prozeß« der Besatzer gewonnen werden, an dem teilzunehmen sie bisher abgelehnt haben. Und obwohl Bagdad auch der Forderung Bushs zugestimmt hatte, die gegen ehemalige Mitglieder der Baath-Partei Saddam Husseins gerichtete strikte Ausgrenzungspolitik zu lockern, ist in dieser Richtung bisher nichts geschehen. Ehemalige Baath-Mitglieder sind vom öffentlichen Dienst ausgeschlossen, und sie erhalten weder Renten noch andere ihnen zustehende Geldleistungen von der Regierung. Die US-Besatzer drängen dagegen die Maliki-Regierung, u.a. den ehemaligen sunnitischen Soldaten ihre Militärpensionen zu zahlen. Mit Hilfe dieser Maßnahmen soll – so zumindest der Bush-Plan – »das Wasser aus dem Teich« gelassen werden, in dem der sunnitische Widerstand »sich wie ein Fisch bewegt«.

Enorme Kampfkraft

In drei Wellen sollen innerhalb der nächsten drei Monate 20000 zusätzliche US-Kampftruppen in und um Bagdad mit einer »alles überwältigenden Kampfkraft« gegen irakische Besatzungsgegner vorgehen, sowohl gegen die sunnitischen Gruppen als auch gegen Al Sadr und dessen Machtzentrum, das über eine Million Einwohner zählende Armenviertel »Sadr-City«. Das Marionettenkabinett will die Amerikaner mit einer gleich hohen Anzahl von zusätzlichen Soldaten aus den kurdischen Gebieten im Norden und aus dem schiitischen Süden unterstützen, um »gegen alle Milizen« vorzugehen. Das bedeutet, daß Maliki inzwischen dem US-Druck nachgegeben hat und nun zu einem Bruch mit Mullah Al Sadr und seiner Miliz bereit ist. Der neue, von Bush ernannte Irak-Oberkommandeur, General Raymond Odierno, sagte in seiner ersten Pressekonferenz am Wochenende, daß es mindestens »zwei bis drei weitere Jahre« dauern könnte, bevor die USA im Irak-Krieg die Oberhand gewonnen haben.

* Aus: junge Welt, 9. Januar 2007


Eine Lektion für Präsident Bush

Von Rainer Rupp **

Als US-Präsident George W. Bush am 17. November vergangenen Jahres anläßlich der APEC-Gipfelkonferenz Hanoi besuchte, sprach er unter Anspielung auf den Irak über die Lektion, die er aus dem Vietnam-Krieg gelernt habe: »Wir werden gewinnen, solange wir nicht anziehen.« Statt wie von der US-Kongreßmehrheit und der US-amerikanischen Bevölkerung gefordert Truppen abzuziehen, will Bush seine Truppen im Irak demnächst um Zehntausende zusätzliche Soldaten verstärken, im Glauben, doch noch zu gewinnen. Viele US-Kommentatoren fühlen sich in fataler Weise an den Krieg in Vietnam erinnert, wo in 14 Jahren 58000 amerikanische Soldaten starben und 300000 verwundet wurden. Im Irak wurden seit dem Einmarsch am 20. März 2003 mehr als 3000 US-Soldaten getötet, fast 30000 weitere verwundet und verkrüppelt.

Die wiederholten Verstärkungen der US-Truppen in Vietnam zwischen 1961 und 1968, die wie jetzt im Irak jeweils nur von kurzer Dauer sein sollten und die schließlich die US-Truppenstärke im Januar 1968 auf über eine halbe Million Mann gebracht hatte, wäre eine der Vietnam-Lektionen gewesen, die Bush besser gelernt hätte. 1968 war das Jahr, in dem der damalige US-Oberkommandeur General William Westmoreland erklärt hatte, »der Aufstand« in Vietnam sei weitgehend erstickt. 1968 war das Jahr, in dem die Vietnamesische Nationale Befreiungsbewegung mit ihrer Tet-Großoffensive die ganzen amerikanischen Kriegspläne wie ein Kartenhaus einstürzen ließ. Als Reaktion verlangte Westmoreland weitere 200000 Soldaten. Das war der Moment, an dem der damalige US-Präsident Lyndon B. Johnson Clark Clifford zum neuen US-Verteidigungsminister bestellte. Dieser kam wenige Wochen später nach Überprüfung der Lage zu dem Schluß, »daß es in ganz Washington weder ein Konzept noch einen Gesamtplan für den Sieg in Vietnam gibt«. Ab diesem Zeitpunkt begann in Washington die Suche nach einem »ehrenvollen« Abzug aus Vietnam.

Obwohl die Art des Krieges im Irak mit dem in Vietnam nicht zu vergleichen ist, scheinen der Kongreß in Washington und das US-Militär derzeit an dem Punkt angekommen zu sein, an dem Clark Clifford 1968 gefunden hatte. In der US-Hauptstadt hält heute niemand mehr einen militärischen Sieg im Zweistromland für möglich. Daher ist auch die von Bush geplante Truppenverstärkung unsinnig. Der US-Oberkommandeur im Irak, General John Abizaid, hat vor Weihnachten 2006 vor dem Senats ausgesagt, er habe vor Ort »mit jedem Divisionskommandeur« gesprochen, und sie alle hätten eine Aufstocken der US-Truppen abgelehnt, »weil dies keine Verbesserungen« bringe. Einzig Präsident Bush und seine neokonservativen Berater sehen – wie weiland Westmoreland – als einzigen Ausweg, mit mehr »Kanonenfutter« Zeit zu schinden, damit sich vielleicht irgendwie doch noch das Blatt zugunsten der Irak-Besatzer wendet.

** Aus: junge Welt, 9. Januar 2007


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