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Die tödliche Verschwörung von Dudschail

Erster Prozess gegen Saddam Hussein und Co. endet mit Todesstrafe für drei Angeklagte

Von Karin Leukefeld *

Im ersten Prozess gegen Saddam Hussein und sieben Ex-Funktionäre seines Regimes ging es um den Tod von 148 Männern, die 1982 in der schiitischen Kleinstadt Dudschail nach einem fehlgeschlagenen Attentat auf Saddam hingerichtet worden waren. Die Todesstrafe droht nun auch drei Angeklagten.

Der Fall des Dorfes Dudschail war nur einer von mehreren Anklagen gegen den ehemaligen irakischen Präsident Saddam Hussein. Ob diese noch zur Verhandlung kommen, ist fraglich. In Dudschail hatten Oppositionelle im Jahr 1982 einen Mordanschlag auf Saddam Hussein vorbereitet. Bei einem Besuch des Dorfes hatte dieser unerwartet seinen Wagen gewechselt, der zuvor durch die Attentäter gekennzeichnet worden war. Als der Wagen unter massiven Beschuss geriet, flog das Attentat auf. 148 Männer wurden der Verschwörung für schuldig befunden, zum Tode verurteilt und exekutiert. Darüber hinaus wurden hunderte Familienangehörige festgenommen oder vertrieben, viele verschwanden. Sämtliche Dattelpalmenhaine, die Haupteinnahmequelle des Dorfes Dudschail, wurden zerstört und umgepflügt. Die Festnahmen der später Hingerichteten hatte der damalige Geheimdienstchef Barsan Ibrahim al-Tikriti angeordnet, der Halbbruder Saddam Husseins. Die Todesurteile verhängte der damalige Richter Awad al-Bandar. Beide wurden dafür nun zum Tode verurteilt. Laut der damaligen irakischen Verfassung hatte Saddam Hussein als Präsident die Strafen zu unterschreiben, so die Argumentation der Verteidigung. Die Vertreter der Anklage jedoch werteten die Hinrichtungen als ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit, die Richter folgten dieser Ansicht.

Die Verteidiger standen in dem Verfahren von Anfang an unter schwerem Druck. Einen Tag nach Prozessbeginn am 19. Oktober 2005, wurde Rechtsanwalt Sadun al-Janabi entführt. Tags darauf fand man seine Leiche. Ein weiterer Anwalt, Adel al-Zubaidi, der Barsan Ibrahim al-Tikriti vertrat, wurde Anfang November 2005 getötet. Sein Kollege, Thamer al-Kuzaie, Anwalt des ehemaligen Vizepräsidenten Taha Jassin Ramadan, wurde bei dem Überfall verletzt. Er legte sein Mandat nieder und floh. Das restliche Verteidigerteam forderte die Verlegung des Prozesses ins Ausland, weil die irakische Regierung offenbar nicht in der Lage war, die Prozessbeteiligten zu schützen.

Am 21. Juni 2006 wurde ein dritter Anwalt aus dem Verteidigerteam, Kahmis al-Obeidi, ermordet. Saddam Hussein trat aus Protest in den Hungerstreik, seine Anwälte boykottierten das Verfahren. Der UN-Sonderberichterstatter zu extralegalen Hinrichtungen, Philip Alston, forderte eine »unabhängige Untersuchung« der Anwaltsmorde. Man müsse Vorwürfen nachgehen, wonach das irakische Innenministerium in die Morde verwickelt sein könnte. Damit stünde die Neutralität der Regierung auf dem Spiel. Die Morde an den Anwälten wurden nie aufgeklärt.

Die Legitimität des irakischen Sondergerichts ist umstritten. Dieses war am 10. Dezember 2003 vom Provisorischen Regierungsrat installiert worden. Nach Querelen um den Vorsitz, setzte sich der junge, aufstrebende Richter Rahid Juhi (33) durch, dem gute Beziehungen mit den US-amerikanischen Rechtsberatern nachgesagt wurden. Die anderen Richter blieben, bis auf den kurdischen Richter Risgar Mohammed Amin, der das Verfahren anfangs leitete, anonym. Er wurde später durch Rauf Abdul Rahman ersetzt. Von US-amerikanischen und britischen Juristen erhielten die Richter eine mehrmonatige Sonderausbildung, um sich Kenntnisse des internationalen Rechts in Fragen von Völkermord, Kriegsverbrechen oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit anzueignen. Alle Prozessbeteiligten lebten abgeschottet unter strengen Sicherheitsvorkehrungen in der »Grünen Zone«, Zeugen und Anwälte wurden teilweise mit Militärhubschraubern zum Prozess eingeflogen. Für Rechtsexperten der Vereinten Nationen ist das Sondergericht unvereinbar mit internationalen Rechtsstandards. Der Menschenrechtsgerichtshof in Den Haag sei für das Verfahren besser geeignet gewesen.

Die Urteilsverkündung war ursprünglich für den 16. Oktober vorgesehen, wurde dann auf den 5. November festgelegt. Ende Oktober hatte Oberstaatsanwalt Jaafar al-Mussawi erklärt, das Urteil könnte auf Ende November verschoben werden. Kurz darauf traf US-Geheimdienstkoordinator John Negroponte überraschend in Bagdad ein, vermutlich ging es auch um das Urteil. Dass der Urteilstermin etwas mit den Wahlen in den USA am kommenden Dienstag zu tun haben könnte, wies US-Botschafter Zalmay Khalilsad zurück.

* Aus: Neues Deutschland, 6. November 2006


amnesty international
Pressemitteilung

Todesurteil gegen Saddam Hussein vergibt Chance, ein Zeichen für Gerechtigkeit und Rechtsstaatlichkeit im Irak zu setzen

Berlin, 6. November 2006 - Das Verfahren und das Urteil des Obersten Irakischen Strafgerichts gegen Saddam Hussein haben die Chance vergeben, ein Zeichen für den Rechtsstaat im neuen Irak zu setzen und den Hunderttausenden von Opfern des Saddam-Regimes Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, sagte amnesty international. Gerade weil Hussein für vielfache schwerste Menschenrechtsverletzungen verantwortlich ist, muss der irakische Staat seinen Bürgern und der Welt signalisieren, dass er konsequent einen rechtsstaatlichen Weg beschreitet.

Von Beginn an unterlag der Prozess unzulässigen Interventionen von politischer Seite, die die Unabhängigkeit und Unparteilichkeit des Gerichts in Zweifel gezogen haben. So musste der ersternannte Richter zurücktreten, die Berufung eines zweiten wurde verhindert. Die Sicherheit der Prozessteilnehmer war nicht gewährleistet: Drei Anwälte der Verteidigung wurden ermordet, weitere bedroht. Der Hauptangeklagte Saddam Hussein hatte erst ein Jahr nach seiner Verhaftung erstmals Zugang zu juristischem Beistand. Die Verteidigung beschwerte sich wiederholt, keine Kenntnis von Beweismitteln gehabt zu haben, die die Anklage im Prozess vorlegte. Eine Expertengruppe der Vereinten Nationen erklärte aus diesen Gründen am 1. September 2006 das Verfahren gegen Hussein für unfair.

amnesty international spricht sich ausdrücklich dafür aus, dass Saddam Hussein für seine Verbrechen angemessen bestraft wird. Gerade aus Sicht der Opfer und ihrem Anrecht auf Gerechtigkeit wäre es unabdingbar, die weiteren gegen Hussein anhängigen Prozesse in fairen Verfahren durchzuführen. Nur so kann die wahre Dimension der Verbrechen des Hussein-Regimes erkennbar und angemessen aufgearbeitet werden.

Die Todesstrafe lehnt ai grundsätzlich und daher auch gegen Hussein ab. Sie ist die schlimmste Form grausamer und unmenschlicher Bestrafung und eine Verletzung des Rechts auf Leben. Besonders gravierend ist es, wenn die Todesstrafe als Ergebnis eines Verfahren verhängt wird, das die international gültigen Standards unterläuft.




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