Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Zwischen "Kreuzrittertum" und "demokratischem Imperialismus"

Internationale Pressestimmen zur Irak-Krise und zur Aufkündigung der Diplomatie. 18. März 2003

Die folgenden Presseausschnitte aus Leitartikeln und Kommentaren stammen alle vom 18. März 2003.

Die Süddeutsche Zeitung spricht von einer "Niederlage" des US-Präsidenten und bedauert, dass es Bush nicht gelungen sei, die Europäer von seiner Politik zu überzeugen, die auf einer "in großen Teilen" richtigen Analyse beruhe:

Bush und seiner Mannschaft ist es nicht gelungen, eine Mehrheit der eigenen Verbündeten von ihrer Politik zu überzeugen. Sie haben es noch nicht einmal geschafft, eine Mehrheit grundsätzlich wohlwollend gesonnener Staaten dazu zu überreden, diese Politik mit einer Abstimmung im Sicherheitsrat mitzutragen. Kein Geld und keine guten Worte, kein Honigseim ökonomischer Versprechungen, und kein Knüppel wirtschaftlicher Drohungen vermochten diese fest gefügte Front der Gegner aufzubrechen.
George Bush mag es drehen und wenden, wie er will: Für ihn und für ganz Amerika ist dies eine Niederlage – egal, wie siegreich das Land aus dem Konflikt mit dem Irak hervorgeht, egal wie erfolgreich die USA den Wiederaufbau dieses Landes zuwege bringen werden."

Die spanische Zeitung "El Mundo" (Madrid) spricht ebenfalls von einer Niederlage für George Bush und seine letzten Getreuen.

Die USA, Großbritannien und Spanien haben die Bemühungen um eine diplomatische Lösung im Irak-Konflikt für beendet erklärt. Bush, Blair und Aznar warfen die Karten hin und erhoben sich vom Tisch wie Spieler, die die Partie nicht mehr gewinnen können. Dies ist mehr als eine Unhöflichkeit. Es ist das Eingeständnis einer Niederlage. Mit dem neuen Ultimatum an Saddam Hussein legte Bush offen, dass es ihm in Wirklichkeit nie um die Entwaffnung des Iraks ging. Sein eigentliches Ziel bestand darin, Saddam Hussein zu stürzen und ein Protektorat im Irak zu errichten.

Die Frankfurter Rundschau macht sich Sorgen um die Nachkriegszeit. Wenn Europa bei der Gestaltung der Verhältnisse im Nahen Osten beteiligt sein will, müsse es seine Verweigerungshaltung aufgeben, den "Vormarsch der britischen und US-Truppen auf Bagdad unterstützen" ("komme was da wolle"!) und sich in den Nachkriegsprozess einbringen.

Politisch hat die Nachkriegszeit längst begonnen. Und schon jetzt zeigt sich, dass die USA auch jene internationalen Institutionen und Regierungen zur zivilen Nachsorge auffordern wird, deren Recht und Wort ihr bis heute nichts galten. Diese Strategie mag man infam, ungerecht, unverschämt oder heuchlerisch nennen, aber sie erfordert eine Antwort jenseits sturer Verweigerung. Bundeskanzler Schröder hat mit seiner Erklärung über eine mögliche Beteiligung deutscher Soldaten beim Wiederaufbau das richtige Zeichen gesetzt. Die USA werden die UN brauchen, und Deutschland sollte die versuchte Demokratisierung Iraks im Rahmen einer europäischen Irak-Politik unterstützen.
Diese Hilfe sollte keine pflichtschuldige Wiedergutmachung für den vergeblichen Widerstand gegen den Krieg sein. Die Regierung Bush darf den Feldzug gegen Saddam Hussein gewinnen, aber nicht den grundsätzlichen Streit um dessen Legitimität oder seine Folgen. Gerade wenn es bald zwischen UN-Verwaltung und US-Interessen um Beihilfe zur Neuordnung des Nahen Ostens geht, darf in Kurdistan oder Palästina die europäische Sicht nicht fehlen. Denn nichts wäre für Europa so desaströs, wie nach dem diplomatischen Kampf um den Krieg in den Jahren danach auch noch sein Mitspracherecht bei der Förderung des Friedens im Nahen Osten zu verlieren.

Die linke Tageszeitung "junge Welt" geht mit der US-Politik ganz anders ins Gericht. Die Irak-Politik ist nur eine andere Form des monopolistischen "Gewaltverhältnisses", das sich als "Negation der Demokratie auf der ganzen Linie" erweist.

Die USA verhalten sich im Weltmaßstab wie ein autoritäres Präsidialregime gegenüber dem Parlament, das man beiseite schiebt, wenn nicht auflöst, sollte es der Exekutivmacht zum Hindernis werden. Das der Unfähigkeit geziehen und als Schwatzbude denunziert wird, wenn die Lösung »höherer«, über Parteien- bzw. nationale Interessen stehender Aufgaben ansteht. Das US-Regime hat sich zu einer im Weltmaßstab agierenden Militärjunta entwickelt. Washingtons schwarze Obristen haben die völkerrechtliche, ihrem Wesen nach formal-demokratische Verfaßtheit der internationalen Ordnung außer Kraft gesetzt. Das war kein Putsch, der sich über Nacht vollzog, sondern ein schleichender Vorgang, in dessen Verlauf westlicher Interventionismus das Selbstbestimmungsrecht der Nationen zunehmend zur Disposition gestellt hat. Daraus entstand mit zwingender Logik das Imperium americanum. Dieser monopolistische Universalismus duldet keine Konkurrenz.

Der konservative Berliner "Tagesspiegel" kritisiert nicht das Ziel der Bush-Politik, sondern nur dessen Schönheitsfehler. Gegen die Gefährdungen der Welt helfe letztlich nur die - auch gewaltsame - Durchsetzung des "demokratischen Imperialismus".

Sicherheit gibt es nur, wenn möglichst überall nur noch Regierungen an der Macht sind, die nicht die Absicht haben, diese Mittel gegen irgendjemanden zu wenden. Das sind, auf lange Sicht, nur mehr oder weniger demokratische Herrscher. Das Ziel ist also „Regime Change“ – der jedoch nicht mit der Erklärung eines Kriegs beginnen muss, sondern mit der Erklärung dieser neuen Politik.
Das jedoch, Sicherheit durch demokratischen Imperialismus, ist ein äußerst ehrgeiziges, neues und auch riskantes Projekt. Es setzt nicht auf Stabilität von Diktaturen, sondern auf Instabilität, die Diktaturen stürzt. Ob die US-Regierung, die behauptet, das zu wollen, dazu bereit ist, ob die Amerikaner das unterstützen würden, ob die Franzosen (eher nein) und die Deutschen (eher ja) es mittragen würden, wissen wir nicht. Denn niemand, auch Bush nicht, hat diese Debatte ernsthaft eröffnet. Darum machen alle das, was sie von jeher können: alte Machtpolitik.

Im "Neuen Deutschland" wird vor solchem "demokratischem Imperialismus" eher gewarnt, zerstört er doch - so ganz nebenbei - das internationale Rechtssystem. Die UNO ist danach das "erste Opfer" des Irakkrieges.

Mit der Arroganz der letzten Supermacht haben die USA die Vereinten Nationen in die diplomatische Sackgasse getrieben und den millionenfachen Friedensruf in aller Welt ignoriert. Jetzt droht die UNO noch vor Hunderttausenden Menschen in Irak zum ersten Opfer dieses Krieges zu werden. Und das ist mehr als ein Kollateralschaden. Das letzte Ultimatum an Saddam Hussein, das George W. Bush auf den Azoren verkündete, gilt auch dem Völkerforum. In der mehr als 50-jährigen Geschichte der Vereinten Nationen findet sich kein vergleichbarer Versuch, den Sicherheitsrat derart unter Druck zu setzen: Wir entscheiden, wer gut ist und wer böse, ob die Welt bedroht ist oder nicht, welcher Schlag geführt werden muss und wann, auch präventiv. Und wer nicht mit uns marschiert, ist gegen uns. Mit dieser Maxime wurden diplomatische Bemühungen und UNO-Resolutionen allein unter dem Gesichtspunkt beurteilt, ob sie den Willen der USA zum Angriff gegen Bagdad stützen oder nicht. Schon bei seinem Auftritt vor sechs Monaten in der UNO-Vollversammlung hatte Bush deutlich gemacht, dass er notfalls auch ohne Plazet der Vereinten Nationen losschlagen würde. Es wäre illegal, ein Bruch der UNO-Charta und das Menetekel für eine neue hegemoniale Weltordnung. Eine provokative, eine abstoßende Politik nannte das selbst der einstige Washingtoner UNO-Botschafter Richard Holbrooke.

Die Sorgen, die sich der in Mailand erscheinende "Corriere della Sera" um die UNO macht, sind anders gelagert: Je kürzer der Krieg, desto schlechter für die UNO.

Wenn der Konflikt kurz dauern wird und positive Folgen haben wird (das Ende einer Diktatur, ein gut verwalteter Irak, der Beginn eines demokratischen Prozesses, der die ganze Region mit einbeziehen wird), werden die UN im Rückblick als eine ungeeignete Organisation erscheinen, unfähig sich ihrer internationalen Verantwortung zu stellen. Aber ein Krieg der lang, blutig und voller unvorhersehbarer Folgen ist, wird den gegenteiligen Effekt haben. Die UN werden sich rühmen können, die einzige Institution zu sein, mit der die Krisen mit Verhandlungen, politischem Druck und internationalen Kontrollen angegangen und gelöst werden können. Und es wird vielleicht eine neue Phase beginnen, in deren Verlauf die Organisation aufgewertet, erneuert und gestärkt werden wird.

Nicht von der Dauer des Krieges, sondern vom Engagement nach dem Kroeg werde es abhängen, ob die UNO wieder eine Chance bekommen - das meint jedenfalls die Schweizer "Berner Zeitung".

Die Bomben auf Bagdad werden auch das Völkerrecht treffen. Kann sich das internationale System, das seine institutionelle Form in der UNO findet, von diesem Schlag erholen? Oder gilt wieder das Recht des Stärkeren - heute dasjenige der Amerikaner, und morgen vielleicht wieder jenes der Russen? Zwar hat die UNO das Machtspiel um den Krieg verloren, sie hat aber spätestens schon nach dem Waffengang eine nächste Chance: den Frieden. Sämtliche UNO-Organe müssen klar machen, dass sie beim Wiederaufbau des geschundenen Landes das Heft in der Hand haben wollen.

Die in Paris erscheinende linksliberale "Libération" klagt das Hegemonialstreben der USA an, das der UNO, der NATO und der EU Schaden zugefügt hätte.

Die neokonservativen Intellektuellen, die (US-Präsident) Georg W. Bush führen, wünschten Amerika von den Zwängen der UN zu befreien, die das Hegemonialstreben der USA einbinden. Sie betrachten auch die NATO als überflüssig, obwohl das Bündnis ihnen ermöglicht hat, die Europäische Union zu spalten, der sie im übrigen wünschen, dass sie zu einer reinen Freihandelszone wird. Die EU als politische Kraft existiert weiter nicht. Sie bewegt sich heute zwischen "Hüh und Hott".

Der in Zürich erscheinende "Tages-Anzeiger" hätte einen transatlantischen "Konsens" zur Entmachtung Saddams (also notfalls auch zum Krieg) lieber gesehen als den Alleingang des "Kreuzritters" George Bush:

Die Entmachtung Saddam Husseins hätte durch die UNO legitimiert werden können. Die Arroganz, mit der sich Präsident Bush über den Sicherheitsrat hinwegsetzte und "das Fenster der Diplomatie" verriegelte, verhinderte den Konsens. Bush blieb mit wenigen Getreuen isoliert, weil er gar nie den ehrlichen Willen hatte, mit anders Denkenden zu verhandeln. Warum? Politiker, die ihre Mitarbeiter zur religiösen Erbauung in die Morgenandacht befehlen, stoßen auf Misstrauen - vor allem in Europa. Politiker, die öffentlich ihre Religiosität zelebrieren, haben selten Frieden in die Welt gebracht, sondern viel öfter Kriege provoziert.

Die Londoner "Financial Times" beklagt den großen Schaden, der durch den Bruch des Bündnisses entstanden ist.

Die Diskussion über Krieg oder Frieden ist vorbei. Es war ohnehin eine oberflächliche Debatte mit vereinfachten Argumenten. Dieser Krieg mag technisch nach früheren UN-Resolutionen, einschließlich 1441, gerechtfertigt sein. Aber er wird von einer der schwächsten Koalitionen unterstützt, die man sich denken kann. Der Schaden, der durch diese Krise für die internationalen Beziehungen entstanden ist, kann nicht überschätzt werden. Für Bush und Blair dürfte es nicht einfach sein, von der einseitigen Aktion wieder zu multilateralem Handeln zurückzukehren.

Das dänische konservative Blatt "Berlinske Tidende" (Kopenhagen) stellt sich dagegen eindeutig hinter Bush und plädiert für militärisches "Zuschlagen".

Haben wir wirklich alles getan, um das irakische Problem mit anderen Mitteln als denen eines Krieges zu lösen? Die Antwort lautet leider ja. Saddam Hussein hat alle Möglichkeiten erhalten, um die Versprechen an die UNO über die Entwaffnung zu erfüllen. Die Gegner der militärischen Aktion behaupten zwar, dass der Irak in diesen Wochen tatsächlich Waffen vernichtet, und dass der Druck daher wirkt. Doch sobald der militärische Druck nachlässt, ändert Bagdad wieder seine Signale. Daher ist der Zeitpunkt gekommen, um auf der Grundlage der Resolution 1441 zuzuschlagen.

Ganz anders die New York Times (Online-Ausgabe), die den gewollten Krieg der US-Administration in eine Reihe zahlreicher "Fehler" der US-Diplomatie stellt.

Dieser Krieg krönt eine Periode furchtbarer diplomatischer Fehler, Washingtons schlimmste seit mindestens einer Generation... Die Hybris und die Fehler, die zu Amerikas derzeitiger Isolation geführten haben, begannen lange vor den Anschlägen des 11. September 2001. Diese (US-)Regierung kehrte sich seit dem ersten Tag ihrer Amtszeit ab von Internationalismus und den Anliegen ihrer europäischen Verbündeten, indem sie das Kyoto-Umweltschutzabkommen ablehnte und Amerikas Unterschrift unter den Vertrag für einen Internationalen Strafgerichtshof verweigerte... Wenn sich andere Nationen jetzt Amerikas Führerschaft widersetzen, liegt ein Teil der Ursachen in dieser unglücklichen Geschichte... Das Resultat ist ein Krieg für ein legitimes internationales Ziel ..., aber einer, der nahezu alleine geführt wird... Dieses Ergebnis war weder vorbestimmt noch unabwendbar.

Die linksliberal-alternative Berliner Tageszeitung taz fordert nun von der UNO STandhaftigkeit und von der Bundesregierung konsequente Antikriegs-Maßnahmen.

Ob und wie stark ramponiert die UNO den Anschlag ihres derzeit mächtigsten Mitgliedes überleben wird, ist noch offen. Das hängt nicht zuletzt auch davon ab, ob die anderen Mitglieder des Sicherheitsrates und Generalsekretär Kofi Annan vor den Drohungen aus Washington einfach kuschen, oder ob sie sich zur Wehr setzen. Die Chance, entgegen der Forderung aus Washington die Waffeninspektoren nicht aus dem Irak abzuziehen, ist wahrscheinlich vertan. Dennoch steht die Frage weiter im Raum: Hätte die Bush-Administration dann tatsächlich den Krieg begonnen?
Das Gipfeltreffen auf den Azoren hat gezeigt, dass es keine wie auch immer geartete Resolution zur völkerrechtlichen Legitimierung des von der Bush-Administration geplanten Präventivkrieges geben wird. Es ist höchste Zeit, dass nun auch die Regierung Schröder/Fischer Konsequenzen aus dieser Tatsache zieht. Rückgängig gemacht werden müssen jetzt die Gewährung der Überflug- und Nutzungsrechte für die US-Streitkräfte, die Entsendung der Awacs-Flugzeuge und der Patriot-Raketen in die Türkei sowie alle anderen Maßnahmen, zu der sich Berlin auf Wunsch der Bush-Administration seit Herbst letzten Jahres bereit erklärt hat. Sonst trägt sie - aller Antikriegsrhetorik zum Trotz - Mitverantwortung für diesen Krieg und seine Folgen.

Lassen wir am Schluss ein Blatt aus dem arabischen Raum zu Wort kommen. Die jordanische Zeitung "The Jordan Times" fragt nach den möglichen Zuständen im Irak, wenn der Krieg vorbei ist, und kommt zu Antworten, die für die Gestaltungskraft der USA wenig schmeichelhaft ausfallen.

Bislang haben wir vom amerikanischen Präsidenten Bush noch nichts Brauchbares über eine neue irakische Regierung gehört. Es ist höchste Zeit, dass Alternativen zu dem Regime von Präsident Saddam Hussein auf den Tisch gelegt werden. Eine politische Liberalisierung des Iraks würde ganz zwangsläufig der schiitischen Mehrheit mehr Macht einräumen. Doch würde das in Washington Anklang finden? Politische Liberalisierung des Iraks würde auch heißen: Mehr Freiheit für die irakischen Kurden - eine Freiheit, die sehr leicht mit den geostrategischen Interessen Amerikas kollidieren könnte. Kein Araber hat dem Geschwätz von Bush, er wolle der Region die Demokratie bringen, Glauben geschenkt. Und eines dürfte klar sein: Eine wirklich demokratische Regierung in Bagdad würde den Ärger und den Zorn der Menschen auf die Amerikaner wiederspiegeln und diese in Politik umsetzen."

Quellen: Mannheimer Morgen (online); Deutschlandradio (online); Süddeutsche Zeitung, Frankfurter Rundschau, Neues Deutschland, junge Welt, Der Tagesspiegel.
Zusammenstellung und Kommentierung: Pst



Zurück zur Irak-Seite

Zurück zur Homepage