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Das Fernsehen und die irakische Einheit

Iraks Regierung ärgert sich über die Medien

Von Karin Leukefeld *

Wenn man gegen den Verursacher der schlechten Nachrichten machtlos ist, hält man sich an deren Überbringer schadlos. Dieses ebenso alte wie schlechte Prinzip scheint sich auch die irakische Regierung zu eigen gemacht zu haben.

Aus Zorn über die Berichterstattung einiger Fernsehanstalten und Zeitungen in Irak hat die irakische Regierung Strafanzeige erstattet und mit dem Entzug der Lizenzen gedroht. Die Medien hätten offenbar eine koordinierte Kampagne gegen die Regierung von Ministerpräsident Nuri al-Maliki gestartet und einen Regierungssprecher absichtlich falsch zitiert, hieß es vor einigen Tagen aus dem Büro des irakischen Ministerpräsidenten.

Die Berichte über Kämpfe zwischen Regierungstruppen und den Sahwa-Milizen, die auch bekannt sind als »Räte der Wiedererweckung« oder »Söhne Iraks« seien falsch dargestellt worden, wurde kritisiert. Wenn Medien »gesuchte Verbrecher als Helden darstellten« und über das rechtmäßige Vorgehen der (schiitischen) Regierungstruppen gegen die (sunnitischen) Gruppen falsch berichteten, werde die »irakische Einheit gefährdet«, würden »Hass entfacht und religiöse Vorbehalte geschürt«.

Man frage sich, welches Ziel die Medien und ihre Hintermänner verfolgten, hieß es in der Regierungserklärung. Es wurden zwar keine Namen der Medien genannt, allerdings ist inzwischen bekannt, dass sowohl das Büro der Londoner arabischsprachigen Tageszeitung »Al Hayat« geschlossen werden soll als auch der populäre Fernsehsender »Al-Sharqia«.

Hintergrund des Wutausbruchs gegen die Medien ist eine Auseinandersetzung zwischen der Regierung Maliki und den Sahwa-Milizen, die vor rund einem Jahr von der US-Militärführung als Sicherheitskräfte angeheuert wurden. Anfang April ging die Verantwortung für diese Milizen auf die irakische Regierung über, die versichert hatte, sie in den Versöhnungsprozess einzubeziehen und ihren Sold weiter zu zahlen.

Stattdessen wurden einige der Milizen von Regierungstruppen angegriffen und ihre Führer inhaftiert, weil sie angeblich in illegale und kriminelle Aktivitäten verwickelt gewesen sind. Die Vorwürfe wurden nicht konkretisiert. Parallel zum Vorgehen gegen die Milizen hat sich die Zahl der tödlichen Anschläge in den letzten Wochen erhöht. Bisher starben allein im April 83 Personen.

Als am Donnerstag auf einem Militärstützpunkt bei Habbanija westlich von Bagdad 16 Soldaten getötet und zwischen 38 und 50 Personen verletzt wurden, dementierte das Verteidigungsministerium zunächst die hohe Opferzahl. Auch über den genauen Hergang des Anschlags gab es aus dem gleichen Ministerium unterschiedliche Darstellungen. Habbaniya liegt in der Provinz Al-Anbar, wo die US-Armee rund 92 000 Sahwa-Milizionäre rekrutiert hatte, die nun alle den irakischen Behörden unterstellt sind.

Während die Regierung die Bedeutung der neuen Anschläge herunterspielt, macht sich die Bevölkerung erhebliche Sorgen. Viele sehen die Entwicklung in Verbindung mit den für Ende des Jahres geplanten Parlamentswahlen, aus denen Maliki als Sieger hervorgehen will. Kritische Berichterstattung in den Medien passt wenig in das Kalkül. Seit 2003 hatten alle Machthaber in Bagdad zu den Medien ein gespanntes Verhältnis. 2004 wurde das Büro des arabischen Nachrichtensenders »Al Dschasira« geschlossen, das Verbot gilt bis heute, »Al Dschasira« berichtet aus einem Studio in den kurdischen Autonomiegebieten. Im November 2006 wurden zwei private Fernsehsender geschlossen, die über Proteste gegen die Todes-strafe gegen Saddam Hussein berichtet hatten.

* Aus: Neues Deutschland, 20. April 2009


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