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Türkische Armee fällt in Irak ein

10 000 Soldaten machen Jagd auf Rebellen der Kurdischen Arbeiterpartei

Von Jan Keetman, Istanbul *

Türkische Bodentruppen sind am Freitag bei einer Großoffensive gegen Lager der verbotenen Kurdischen Arbeiterpartei PKK zehn Kilometer tief nach Irak eingedrungen.

Wie erst am Freitag (22. Februar) bekannt wurde, haben türkische Armeeeinheiten bereits am Donnerstagabend mit Panzern die Grenze zu Irak überschritten. Der einzige Grenzübergang am Habur wurde gesperrt. Nach Angaben des türkischen Generalstabes sind 10 000 Soldaten an der Aktion beteiligt. Die Militärführung in Ankara erklärte, die Truppen würden, »wenn sie ihre Ziele erreicht haben«, in kürzester Zeit abziehen.

Nach türkischen Presseberichten hat der türkische Präsident Abdullah Gül seinen irakischen Kollegen Dschalal Talabani angerufen und ihm versichert, Ziel der Operation sei nicht »das kurdische Volk«. Ebenso soll Premier Tayyip Erdogan den irakischen Regierungschef Nuri el-Maliki unterrichtet haben. Hingegen erklärte das Außenministerium in Bagdad, Irak sei nicht informiert worden.

Der stellvertretende US-Außenminister Matthew Bryza, der sich gerade in Brüssel aufhielt, übte vorsichtige Kritik an dem türkischen Vorgehen. Es sei »nicht die beste Nachricht, die kommen konnte«, meinte er. Trotzdem ist eine diplomatische Intervention der USA unwahrscheinlich. Als der türkische Außenminister Al Babacan vor vier Tage erneut von einer Operation in Nordirak sprach, kam aus dem US-Außenministerium nur eine laue Reaktion. Washington unterstützt den Kampf Ankaras gegen die kurdischen Rebellen spätestens seit dem Besuch Erdogans bei Bush im November durch umfangreiche Informationen, die sie mit Hilfe von Satelliten und Aufklärungsflugzeugen gewinnen.

Der Einfall in Nordirak wurde durch Aufklärungsflüge, Luftangriffe und Artilleriebeschuss vorbereitet. Außer Panzern ist auch eine große Zahl von Kampfhubschraubern im Einsatz. Das Ziel ist offenbar, die Kämpfer der PKK noch vor Frühlingsbeginn in ihren Winterlagern zu vernichten. Nach türkischen Schätzungen befinden sich etwa 3000 in Irak, die Zahl könnte aber auch geringer sein.

Eine erste Meldung über einen Zusammenstoß zwischen türkischen Soldaten und der Armee der kurdischen Regionalregierung in Nordirak hat sich nicht bestätigt. Die prokurdische Zeitung »Özgür Gündem« meldete stattdessen einen Schusswechsel zwischen Soldaten der nordirakischen Kurden und der PKK, bei der zwei Soldaten starben.

Dass der türkische Angriff einen Monat früher begann als ähnliche Operationen in den 90er Jahren, dürfte mit dem milden Wetter zusammenhängen. Andererseits zeigt die Invasion, dass die Türkei, nachdem sie Kosovo diplomatisch anerkannt hat, in dieser Ecke der Welt militärisch das Sagen hat und eine ähnliche Sezession dort nicht dulden will.

* Aus: Neues Deutschland, 23. Februar 2008

Weitere Meldungen

Kämpfe zwischen Türkei und PKK-Rebellen verschärfen sich

Drei Tage nach dem Einmarsch der Türkei im Nordirak haben sich die Gefechte zwischen Rebellen der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) und türkischen Soldaten verschärft. Die Kämpfe konzentrierten sich auf die Region Harkuk 20 Kilometer hinter der türkischen Grenze, wie Peschmerga-Milizen der irakischen Kurden mitteilten. Nach Angaben der türkischen Armee kamen allein am Sonntag acht Soldaten und 33 kurdische Rebellen ums Leben. Die PKK drohte mit Vergeltungsangriffen in türkischen Städten. US-Verteidigungsminister Robert Gates rief Ankara auf, den Kurden-Konflikt nicht nur mit militärischen Mitteln anzugehen.

Die PKK erklärte, sie habe in der Nähe der Grenzstadt El Amadijah einen türkischen Hubschrauber des Typs Cobra abgeschossen. Die türkische Armee bestätigte einige Stunden später, dass einer ihrer Hubschrauber bei den Gefechten am Sonntag "zerstört" wurde. Nach Angaben des türkischen Generalstabs wurden bei den Kämpfen bis dahin mindestens 112 Menschen getötet, unter ihnen 15 türkische Soldaten. Einige Anführer der PKK seien unter den Getöteten.

Sollte Ankara seine Offensive gegen "Kurdistan" fortsetzen, werde die PKK "Guerilla"-Aktionen in türkischen Städten ausführen und damit den Schauplatz der Kämpfe ins Innere der Türkei verlegen, sagte der PKK-Sprecher Ahmad Danis AFP. Außerdem warfen die kurdischen Rebellen den USA vor, aktiv an der türkischen Bodenoffensive beteiligt zu sein.

Unterdessen forderte der Generalstab der türkischen Armee die Kurden im Irak nachdrücklich auf, flüchtenden Rebellen der verbotenen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) keinen Unterschlupf zu gewähren. Von den irakischen Kurden werde jetzt erwartet, dass sie die Mitglieder der PKK, des "größten Feindes von Stabilität und Frieden in der Region", am Vordringen hinderten.

Pentagonchef Gates äußerte die Hoffnung, dass der türkische Militäreinsatz schnell beendet werde. Am Ende seines Australien-Besuches verlangte der Minister auch mehr Bemühungen der türkischen Regierung, die kurdische Minderheit mit politischen Maßnahmen besser in das Staatsgebilde zu integrieren. Mit militärischen Aktionen alleine werde Ankara das Problem mit den kurdischen Untergrundkämpfern nicht lösen können.

Die türkische Armee war am Donnerstagabend (21. Februar) in das Nachbarland einmarschiert, um dort gegen PKK-Stützpunkte vorzugehen. Ankara wirft der autonomen Kurdenregierung im Nordirak vor, nicht entschieden genug gegen die PKK-Rebellen vorzugehen.

Im Irak wird die Kritik an türkischem Einmarsch lauter

Im Irak ist am Sonntag (24. Feb.) über die ethnischen Volksgruppen hinweg die Kritik am türkischen Einmarsch in das nordirakische Kurdengebiet lauter geworden. Regierungssprecher Ali Al Dabagh sagte, mit der Invasion werde das PKK-Problem nicht gelöst. Der Führer der kurdischen Regionalverwaltung, Massud Barsani, kündigte heftigen Widerstand an, sollte die türkische Offensive die Zivilbevölkerung treffen. Die Bewegung des schiitischen Geistlichen Muktada al Sadr forderte den sofortigen Rückzug der türkischen Truppen und eine Verhandlungslösung.

Die türkischen Streitkräfte machten unterdessen mit F-16-Kampfflugzeugen, Schützenpanzern und Eliteeinheiten Jagd auf Kämpfer der verbotenen Kurdischen Arbeiterpartei (PKK), die in unzugänglichen Gebirgsregion mehrere Stützpunkte unterhalten sollen. Nach türkischen Militärangaben wurden 15 eigene Soldaten und 112 Rebellen seit Beginn des Einmarsches am Donnerstagabend (21. Feb.) getötet.

Die kurdischen Rebellen schossen laut einem Bericht der prokurdischen Nachrichtenagentur Firat einen türkischen Kampfhubschrauber über dem Nordirak ab. Die Maschine vom Typ Cobra sei am Samstag in der Nähe des Ortes Hore nahe der türkisch-irakischen Grenze abgeschossen worden, meldete die Agentur, die des öfteren PKK-Erklärungen der Kurdischen Arbeiterpartei (PKK) veröffentlicht. Die türkischen Streitkräfte meldeten Verlust eines Hubschraubers im türkisch-irakischen Grenzgebiet. Ob es sich um einen Abschuss handelte, wurde nicht mitgeteilt.

Die USA erklärten ihre Unterstützung für den ersten offiziell bestätigten Vorstoß türkischer Bodentruppen seit dem von ihr geführten Irak-Krieg 2003. Die PKK sei der gemeinsame Feind der USA und der Türkei, sagte US-Außenministerin Condoleezza Rice am Freitagabend in Washington. Sie sei auch ein Feind des irakischen Volkes. Rice forderte die Türkei jedoch auf, bei ihrem Vorgehen die Lage im Irak nicht zu destabilisieren.

Quelle: Nachrichtenagenturen AFP und AP, 24. Februar 2008




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