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900 Menschen in irakischen Gefängnissen droht die Hinrichtung

Internationaler Appell: "Die Todesstrafen sind willkürlich und stehen im Gegensatz zu internationalen Menschenrechtsstandards"

Von Karin Leukefeld *

Für seine Rolle in der Bekämpfung des kurdischen Aufstandes 1988 gegen die irakische Zentralregierung ist der frühere irakische General Ali Hassan al-Majid in Bagdad zum Tode verurteilt worden. Am Ende des Irak-Iran-Krieges, von 1987-1989 war Al-Majid Gouverneur in den nordirakischen Kurdenprovinzen. Von Februar bis September 1988 ging die irakische Armee mit der Anfal-Operation (Anfal: Kriegsbeute) massiv und unter Einsatz von Giftgas gegen die Kurden im Nordirak vor. Dabei wurden systematisch bis zu 4000 Dörfer zerstört, Hunderttausende Menschen vertrieben, die Zahl der Toten wird mit 182.000 angegeben, Zehntausende gelten bis heute als vermisst. Al-Majid, der nicht nur Cousin des früheren Regierungschefs Saddam Hussein ist, sondern auch als dessen Vertrauter und "Mann fürs Grobe" galt, wurde nun vom Obersten Irakischen Gericht für schuldig befunden, den Giftgasangriff auf die kurdische Stadt Halabja (16. März 1988) angeordnet zu haben. Bei dem Angriff sollen Senfgas sowie die Nervengase Tabun, Sarin und VX eingesetzt worden sein, mindestens 5000 Einwohner Halabjas starben, die meisten waren Frauen, Kinder und alte Menschen. Al-Majid, der bereits für die Anfal-Operation zum Tode verurteilt worden war, zeigte Prozessbeobachtern zufolge keine Reue. Bei einer Anhörung während des Verfahrens erklärte er: "Ich habe die Armee angewiesen die Dörfer zu zerstören und die Einwohner umzusiedeln. Dafür entschuldige ich mich nicht, ich habe keinen Fehler gemacht."

Die USA unterstützte ebenso wie andere westliche und arabische Regierungen den Irak militärisch und finanziell im Krieg gegen den Iran (1980-1988), der auf beiden Seiten bis zu 900.000 Todesopfer forderte. Dabei setzte der Irak massiv Giftgas ein, die kurdische Zivilbevölkerung, deren politische Parteien und Guerillaeinheiten sich auf die Seite Irans gestellt hatten, bezahlte zwischen den Fronten mit ihrem Leben.

Im Gerichtssaal anwesende Angehörige von Opfern des Angriffs auf Halabja jubelten Journalistenberichten zufolge, als das Todesurteil verkündet wurde. Der ehemalige Militärchef Rashid al-Tikriti und der frühere Verteidigungsminister Sultan Haschim al-Tai wurden zu langjährigen Haftstrafen zwischen 10 und 15 Jahren verurteilt. Für Al-Majid, der wegen seiner Rolle in den Angriffen auf die Kurden bei diesen als "Chemie Ali" bezeichnet wird, war es das vierte Todesurteil. Auch für die Vertreibung und Ermordung schiitischer Muslime 1999 sowie für die Niederschlagung eines schiitischen Aufstandes nach dem Irakkrieg 1991 erhielt er die Todesstrafe. Nach monatelangem juristischen Streit wurde das Todesurteil gegen Al-Majid inzwischen vom Präsidenten unterzeichnet und soll innerhalb von 30 Tagen vollstreckt werden.

Wenige Tage zuvor hatte ein irakisches Gericht bereits elf Männer wegen Beteiligung an den blutigen Anschlägen auf irakische Regierungsgebäude am 19. August 2009 zum Tode verurteilt, bei denen mehr als 100 Menschen starben. Die Männer, angeblich Anhänger der im Irak verbotenen Baath-Partei, hätten die Anschläge "geplant und ausgeführt", hieß es im Urteil. Die Angeklagten beteuern derweil ihre Unschuld und erklärten, die Geständnisse, die sie abgelegt hätten, seien unter Folter entstanden.

Kurz nach der völkerrechtswidrigen Invasion im Irak 2003 und dem Sturz von Saddam Hussein war die Todesstrafe zunächst abgeschafft worden, wurde aber nur wenige Monate später wieder eingeführt. Der frühere Regierungschef Hussein war am 1. Januar 2006 hingerichtet worden. Sowohl die Vereinten Nationen als auch internationale Menschenrechtsorganisationen haben den Irak wiederholt aufgefordert, die Todesstrafe abzuschaffen. Derzeit warten etwa 900 Personen in irakischen Gefängnissen auf ihre Hinrichtung, darunter auch 17 Frauen. Irak steht bei der Vollstreckung der Todesstrafe weltweit an zweiter Stelle.

In einem Appell haben sich derweil Prominente gegen die Todesstrafe im Irak ausgesprochen, darunter der Präsident der UN-Vollversammlung Miguel d'Escoto Brockmann, der Schriftsteller Eduardo Galeano, Professor Elmar Altvater und der frühere UN-Sonderbeauftragte für den Irak, Hans Graf von Sponeck. Eine mögliche Hinrichtung im Schnellverfahren noch vor den Parlamentswahlen Anfang März sei zu befürchten, heißt es in dem Text, der auch auf "Zwang oder Folter" hinweist, um Aussagen zu erzwingen. "Die Todesstrafen (seien) willkürlich" und stünden "im Gegensatz zu internationalen Menschenrechtsstandards." Rasche Hinrichtungen könnten vor den Wahlen der Einschüchterung dienen, irakische Medien berichten bereits, dass die Repression gegen Regierungskritiker und Anhänger (sunnitischer) Oppositionsparteien seit Anfang des Jahres deutlich zugenommen habe. Die Zeitung Azzaman spricht von "Massenfestnahmen", Sicherheitskräfte gingen mit Unterstützung von US-Truppen auch gegen Milizen sunnitischer Stämme vor, obwohl diese seit mehr als einem Jahr mit der Regierung kooperierten. Die Oberste Irakische Wahlkommission hat derweil 500 Personen als Kandidaten für die Parlamentswahlen ausgeschlossen.

* Eine gekürzte Fassung dieses Beitrags erschien am 18. Januar 2010 in der "jungen Welt" unter dem Titel: "Hinrichtungen im Schnellverfahren befürchtet"


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