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Bushs Irak-Politik schürt den Terror

Brisanter US-Geheimdienstbericht mit düsterer Prognose teilweise freigegeben

Von Olaf Standke *

Ein am Dienstagabend (Ortszeit) von US-Präsident George W. Bush offiziell freigegebener Geheimdienstbericht kommt zu dem Schluss, dass sein Anti-Terrorkrieg weltweit zu einer Ausbreitung und Stärkung der terroristischen Strukturen geführt hat.

Seit Wochen bemüht sich das Weiße Haus in einer Kampagne gegen den wachsenden Unmut im Lande und den Kurs der oppositionellen Demokratischen Partei, den Irak-Krieg als Erfolgsstory zu verkaufen. Die bevorstehenden Kongresswahlen lassen grüßen. Am Wochenende tauchten die ersten Medienberichte auf, die diese Absicht mit Verweis auf einen neuen Report von 16 US-amerikanischen Geheimdiensten konterkarieren: Vor allem der Irak-Krieg habe »das allgemeine Terrorproblem verschlimmert«. Auch wenn die Bush-Regierung konkret aufgelistete Zusammenhänge wie die Misshandlungen im Gefängnis von Abu Ghoreib aus ersten Entwürfen des Reports streichen ließ, die Demokraten sehen sich in ihrer Einschätzung bestätigt, wie Senator John Rockefeller betonte.

Nun hat Bush Teile des Papiers freigegeben – und will auch so Wahlkampf machen. Allein zur »Verfolgung politischer Ziele« seien Aussagen des Berichts über undichte Stellen an die Medien gelangt, erklärte er. Zugleich zieh der Präsident seine Dienste praktisch der Lüge, wenn er noch einmal erklärte, dass der Krieg in Irak die USA nicht unsicherer gemacht habe. Die Geheimdienstler sehen das anders: Dieser Dschihad (Heilige Krieg) bringe eine »neue Generation von terroristischen Führern und Agenten hervor«. Mehr noch. Ein sich abzeichnender Sieg der »Dschihadisten« würde »ihre Gesinnungsgenossen dazu inspirieren, den Kampf woanders fortzusetzen«. Zwar stelle Al-Qaida als »einzelne Terrororganisation nach wie vor die größte Bedrohung für die USA im Inland und ihre Interessen im Ausland dar«. Doch sei die »globale Bewegung der Gotteskrieger« dezentral strukturiert und habe keine einheitliche Strategie. Und diese sich selbst radikalisierenden Gruppen vermehrten sich mit den Bemühungen der USA im Anti-Terrorkampf. Sollte dieser Trend anhalten, »wird dies zu einer Zunahme der Angriffe weltweit führen«.

Mit diesem Report unter dem Titel »Trends im weltweiten Terrorismus: Auswirkungen für die USA« legten die Washingtoner Geheimdienste erstmals seit dem Einmarsch in Irak im März 2003 eine umfassende Analyse zur globalen Terrorentwicklung vor. Überraschen können ihre Erkenntnisse nicht. Während sich die von Bush zum Kriegsgrund erklärten angeblichen Verbindungen von Saddam Hussein zu islamistischen Terrorgruppen als Kriegslüge entpuppten, hieß es schon 2005 in einer CIA-Studie, Irak sei nach dem Krieg für eben diese Gruppen zu einem Ort für »Ausbildung, Rekrutierung und die Verbesserung ihrer technischen Fähigkeiten« geworden. Washingtons Irak-Politik wird von den Muslimen weltweit als falsch und ungerecht empfunden. Sie verstärkt den Hass auf den Westen, was Terrororganisationen letztlich größeren Zulauf beschert.

Zugleich wurde das Zweistromland zum »rechtsfreien Raum«, in dem Terroristen für Anschläge in anderen Staaten trainieren können. Wie Senator Ted Kennedy erklärte, sei der nun freigegebene Bericht »der letzte Sargnagel für Präsident Bushs erfundenen Beweis zum Irak-Krieg«.

Auch die renommierte unabhängige Oxford Research Group hatte in ihrer Analyse kritisiert, dass die bisherige Anti-Terrorstrategie der USA und Großbritanniens die Gefahr neuer Anschläge selbst im Ausmaß der vom 11. September 2001 nur erhöht habe. Die anhaltenden Konflikte in Irak und Afghanistan seien exemplarisch für ihr Scheitern. Washington und London seien mehr darauf aus, ihre Stellung in der Welt durch militärische Gewalt zu sichern, als sich Gedanken um die eigentlichen Ursachen der weltweiten Unsicherheiten und Bedrohungen zu machen. Der »Krieg gegen den Terrorismus« sei nichts anderes als »eine zutiefst fehlerhafte Strategie, die Hunderte Milliarden von Dollar verschlingt, mehr Unterstützer des Terrorismus schafft als ausschaltet und die Aufmerksamkeit von Bedrohungen der Sicherheit ablenkt, die weit schwerer, anhaltender und zerstörerischer sind«. Dazu gehörten der Klimawandel, der Kampf um Wasser und Öl, die ökonomische Ausgrenzung vieler Staaten und die zunehmende Militarisierung der Welt. »Das alles kann in den nächsten 30 bis 50 Jahren Millionen von Menschen das Leben kosten«, so John Sloboda von der Oxford Research Group.

Demokratische Abgeordnete und Senatoren in den USA fordern derweil die vollständiger Veröffentlichung des Geheimberichts. Ihre Fraktionsvorsitzende im Repräsentantenhaus, Nancy Pelosi, verlangte gestern eine Sitzung der Kongresskammer hinter verschlossenen Türen, um über die Analyse zu beraten. Eine solche Tagung unter Ausschluss der Öffentlichkeit ist sehr selten. Zuletzt berieten die Parlamentarier so 1983 über die heimliche Unterstützung rechter Rebellen in Nicaragua durch die Reagan-Regierung.

* Aus: Neues Deutschland, 28. September 2006


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