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Zurück in den Irak

Syrien hatte Zehntausende Flüchtlinge aus dem Nachbarland aufgenommen. Nun weichen sie erneut der Gewalt

Von Karin Leukefeld, Damaskus *

Die irakische Regierung hat Iraker, die seit Jahren in Syrien leben, zur Rückkehr aufgefordert. Die Lage in Syrien werde zu gefährlich, niemand brauche Angst vor Verfolgung haben, hieß es in Bagdad. Lange Schlangen bilden sich seit Tagen vor der Meldebehörde für Ausländer in der Damaszener Innenstadt, ähnliche Bilder sieht man in den Außenbezirken. »Warum wollen Sie das wissen?« antwortet ein Mann unwirsch auf die Frage nach den Beweggründen für die Rückkehr, während er einen Stapel Papiere durchblättert. Seit Stunden wartet er darauf, alle Unterlagen abzugeben, um sich und seine Familie ordnungsgemäß abzumelden und eine Ausreisegenehmigung zu erhalten. »Die Regierung hat uns aufgefordert zurückzukehren, was soll ich sagen?«

Zehntausende Iraker waren nach 2003 vor der Gewalt in ihrer Heimat oder vor politischer Verfolgung nach Syrien geflohen: Offiziere, Professoren, Ärzte, Journalisten, darunter Menschen aller Konfessionen und aus allen Teilen des Landes. Bis zu 1,5 Millionen Iraker und irakische Palästinenser fanden Zuflucht in Syrien, während andere arabische Nachbarstaaten ihre Grenzen nur den Irakern öffneten, die genügend Geld vorweisen konnten. Die internationalen Medien und Regierungen interessierten sich kaum für diese »größte Flüchtlingswelle, seit die Palästinenser 1948 ihre Heimat verließen«, wie es offiziell bei der UNO hieß. Viele der irakischen Flüchtlinge zogen weiter und versuchten, über die Türkei nach Europa zu gelangen. Andere blieben und bauten sich langsam ein neues Leben auf. Manche fanden Arbeit, bildeten sich fort, eröffneten mit syrischen Partnern Betriebe. Die Kinder wurden in Schulen und Universitäten aufgenommen, allmählich überwanden sie die Traumata.

Bei der erneuten Flucht, jetzt vor den Kämpfen in Syrien, gerieten zahlreiche Iraker zwischen die Fronten in den Städten, wo die meisten von ihnen sich niedergelassen hatten: in Yarmuk, Sayda Zeinab oder in Qudseiya. Es heißt, viele seien dabei ums Leben gekommen, eine genaue Zahl gibt es nicht. Doch nicht immer wurden Iraker Opfer der Kämpfe zwischen Aufständischen und den syrischen Militär- und Sicherheitskräften. Das UN-Informationsnetzwerk IRIN berichtet, daß die unübersichtliche Lage ausgenutzt wurde, um alte Rechnungen zu begleichen. Seit Oktober 2011 hat das UN-Hochkommissariat für Flüchtlinge (UNHCR) zwölf Fälle registriert, in denen Iraker offensichtlich im Zusammenhang mit früheren Ereignissen im Irak entführt wurden. So wurde der Sohn eines ehemaligen Mitglieds des irakischen Geheimdienstes entführt, gefoltert und getötet, obwohl die Familie das geforderte Lösegeld gezahlt hatte.

Auch andere Flüchtlinge in Syrien sind betroffen. Ein sudanesisches Kleinkind starb im Kreuzfeuer, als seine Familie versuchte, aus Douma zu fliehen. »Banden und Diebe attackieren Autos und Geschäfte, so, wie wir es in Bagdad während der Invasion 2003 gesehen haben«, schreibt eine Irakerin, deren Familie nach 2003 Zuflucht in Syrien fand. »Möge Gott verhüten, daß wir ein weiteres wunderbares Land verlieren.«

Die syrische Armee setzt derweil ihr hartes Vorgehen gegen bewaffnete Gruppen fort. In vermutlich zwei Stadtvierteln von Aleppo hielten die am Wochenende begonnenen Kämpfe zwischen bewaffneten Gruppen und der syrischen Armee an, doch auch dort scheint das Militär die Oberhand zu gewinnen. Die syrische Nachrichtenagentur SANA meldete am Dienstag, Soldaten hätten den Aufständischen in den Vierteln Salaheddine und Sukkari schwere Verluste zugefügt. Die Gefechte in Aleppo begannen eine Woche nachdem nach dem gleichen Muster Aufständische einen »Damaskus-Vulkan« angekündigt und erklärt hatten, die Stadt befreien zu wollen. In Aleppo haben sich eigenen Angaben zufolge mehrere Gruppen zu einer »Brigade für die Vereinigung« zusammengeschlossen.

Aus US-Regierungskreisen verlautete derweil, daß Washington seine Politik zu Syrien »ein klein wenig verändert« habe. »Wir selbst töten niemanden, aber wir leisten mehr Hilfe«, will die Nachrichtenagentur Reuters aus »hochrangigen Regierungskreisen« erfahren haben. Die internationale Zusammenarbeit werde nun verstärkt mit der Gruppe der »Freunde Syriens« abgesprochen, zu denen auch Deutschland gehört. Hintergrund der Entscheidung seien die Uneinigkeit im UN-Sicherheitsrat und die »jüngsten Erfolge der Aufständischen«.

* Aus: junge Welt, Mittwoch, 25. Juli 2012


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