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Kuhhandel um Pöstchen

Koalitionsgespräche nach den Wahlen im besetzten Irak. Willkür im US-Auftrag: Sechs gewählte Abgeordnete dürfen ihr Mandat nicht antreten

Von Karin Leukefeld, Amman *

Eine Woche nach Bekanntgabe der irakischen Wahlergebnisse ist der Kuhhandel um die politische Macht im Zweistromland voll im Gange. Während die mit 91 Abgeordneten stärkste Al-Irakia-Liste (Ijad Allawi) sich auf Koalitionsgespräche mit der Kurdistan Allianz und den Parteien der Irakischen Nationalen Allianz vorbereitet, scheinen die Liste für einen Rechtsstaat (Nuri Al-Maliki, 89 Mandate) und die Irakische Nationale Allianz (INA, 70 Mandate) offenbar eine politische Wiedervereinigung zu planen. Die Dawa-Partei des noch amtierenden Ministerpräsidenten Maliki war bei den Parlamentswahlen 2005 als Mitglied der damaligen Vereinigten Irakischen Allianz schiitischer Parteien zu einer der stärksten Kräfte im Irak aufgestiegen. Nach einer Spaltung der Dawa-Partei hatte sich Maliki vor den Provinzwahlen (Januar 2009) von dem Bündnis getrennt. Berichten zufolge sind sowohl Maliki als auch die Parteien der INA inzwischen nach Teheran eingeladen worden, um dort über eine neue Zusammenarbeit zu debattieren.

Daran sehe man, wie sehr sich der Iran in die Regierungsbildung im Irak einmische, kritisierte Wahlsieger Allawi in einem Interview mit dem britischen Nachrichtensender BBC World. Die Al-Irakia-Liste sei nicht nach Teheran eingeladen worden. Der in London erscheinenden Tageszeitung Asharq Al-Awsat sagte Allawi, sollte eine Wiedervereinigung von Dawa und INA auf religiöser Basis entstehen, könnte es zu neuen religiösen Auseinandersetzungen kommen. Mit den Kurden habe seine Liste »tiefe und historische Beziehungen«, so Allawi, der als Schiit einen säkularen irakischen Nationalismus vertritt. Man sei zwar in einigen Punkten unterschiedlicher Meinung, »doch in viel mehr (Punkten) stimmen wir überein«. Die Al-Irakia Liste werde die Wiederwahl von Dschelal Talabani unterstützen, sollte die Kurdistan Allianz ihn erneut für das Amt des irakischen Präsidenten nominieren, fügte Allawi hinzu.

Eine große Koalition zwischen Maliki und Allawi scheint derzeit wenig wahrscheinlich. Beide brauchen für die Bildung einer (eigenen) Regierung nicht nur die Stimmen der Kurden, sondern auch die Stimmen der Sadr-Bewegung (Hojatoleslam Moqtada Al-Sadr), die innerhalb der INA die meisten Mandate erhielt. Sadr dürfte sich nur unter (iranischem) Druck für eine Allianz mit Maliki entscheiden, der 2008 die Milizen der Sadr-Bewegung in Basra und Bagdad militärisch niedergeschlagen hatte.

Das berühmt-berüchtigte »Komitee für Gerechtigkeit und Verantwortlichkeit« (Entbaathifizierungskomitee), das vor den Wahlen Hunderte Kandidaten wegen tatsächlicher oder angeblicher Zugehörigkeit zur Baath-Partei ausgeschlossen hatte, schlug derweil erneut zu. Sechs gewählte Abgeordnete der Al-Irakia-Liste seien frühere Baathisten und dürften ihr Mandat nicht antreten, erklärte Komiteesprecher Al-Lami. Maysoon Al-Damluji, Sprecherin von Al-Irakia wies die Vorwürfe zurück. Al-Irakia habe sich immer »gegen die Politik von Ausgrenzung und Unterdrückung« der Baath-Partei gewandt und werde das auch in Zukunft tun. Wer Verbrechen begangen habe, müsse zur Rechenschaft gezogen werden. Für die Mehrheit der früheren Parteimitglieder aber sei es erforderlich, daß sie wieder in die die Gesellschaft und das politische System integriert würden.

Einige der bekanntesten politischen Namen seit der US-Invasion 2003 werden im neuen Parlament nicht mehr vertreten sein. Nicht gewählt wurde der 80jährige Adnan Pachachi, der auf der Al-Irakia Liste kandidiert hatte. Aus dem bisherigen Regierungslager fielen der frühere nationale Sicherheitsberater Mouaffak Al-Rubaie, der bisherige Verteidigungsminister Abdul Kadir Al-Obeidi und auch Ali Al-Lami bei den Wählern durch, der Vorsitzende des selbsternannten Entbaathifizierungskomitees.

* Aus: junge Welt, 1. April 2010


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