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USA praktizieren in Irak Sippenhaft

Frauen mutmaßlicher Extremisten in Haft, um Druck auf ihre Männer auszuüben

Von Karin Leukefeld*

Eigenen Dokumenten zufolge hat die US-Armee die Ehefrauen mutmaßlicher Extremisten festgenommen, um Druck auf deren Männer auszuüben, sich zu ergeben.

Fälle von Sippenhaft sollen sich in Irak im Jahr 2004 ereignet haben, die Informationen darüber stammen von einem zivilen Mitarbeiter des militärischen US-Geheimdienstes DIA. In einem Fall nahm ein militärisches Einsatzkommando die Mutter von drei kleinen Kindern fest, die ihr Jüngstes noch stillte. Einen anderen Fall belegt die E-Mail-Korrespondenz eines US-Offiziers. »Was unternehmt ihr, um den Ehemann zu kriegen?« fragte der Offizier seine Untergebenen und schlug vor, eine Nachricht an die Tür seines Hauses zu heften, die ihn auffordert, seine Frau abzuholen. Veröffentlicht wurden die Fälle von der nichtstaatlichen US-Organisation American Civil Liberties Union (ACLU), die auf richterliche Veranlassung die Dokumente erhalten hatte. »Wir wissen, dass solche Methoden in Irak, Afghanistan und in Guantánamo systematisch angewandt werden«, sagte ACLU-Anwalt Amrit Singh. Der Sprecher der US-Armee im US-Verteidigungsministerium, Paul Boyce, erklärte, es sei sehr schwer, anhand einiger dieser Dokumente festzustellen, was, falls überhaupt, passiert ist.

Von Irakern wird seit 2003 von Drohungen des US-Militärs gegen Familienangehörige von Gesuchten berichtet. Schon Angehörige von Saddam Hussein und seinem langjährigen Stellvertreter, Ibrahim al-Dhouri, wurden damals unter Druck gesetzt. Doch die Drohungen richteten sich auch gegen »normale« Iraker. In der Nähe der Stadt Kirkuk wurde zum Beispiel einer Frau gedroht, das Haus der Familie werde eingerissen, sollte sie nicht den Aufenthaltsort ihrer männlichen Familienangehörigen preisgeben. Als die Frau sich weigerte, holten die Soldaten einen Bulldozer und begannen, die Mauern einzureißen, woraufhin sich die Männer der Familie, die sich offenbar in der Nachbarschaft verborgen gehalten hatten, dem US-Kommando stellten.

Die Angst, beim Einsatz für die eigenen Angehörigen selber verhaftet zu werden ist nach wie vor groß. Eine Mitarbeiterin des »Christian Peacemaker Teams« (CPT) in Irak erklärte vor wenigen Tagen in einem Telefon)gespräch mit ND, die Teammitglieder würden fast täglich irakische Familien auf der Suche nach verschwundenen Angehörigen begleiten. Die Menschen hätten ganz offensichtlich Angst, selber dabei festgenommen zu werden. Vier Mitarbeiter von CPT befinden sich seit zehn Wochen in Bagdad in Geiselhaft.

Die Forderung nach der Freilassung von Frauen aus US-Militärhaft wurde wiederholt bei Entführungen von Ausländern erhoben. Frauen gefangenzunehmen, ist sowohl eine Beleidigung für Familie und Stamm als auch ein schwer wiegendes Vergehen in der islamisch-arabischen Gesellschaft. Der Koran verpflichtet Muslime, Frauen unter allen Umständen zu schützen.

Die Suche des US-Militärs nach angeblichen Al-Qaida-Zellen in der irakischen Provinz An Anbar geht derweil unvermindert weiter. Besonders betroffen sind kleine Ortschaften entlang des Euphrat nahe der Stadt Hit. Unterstützt werden die US-Soldaten von Einheiten des irakischen Innenministeriums, die bei den Irakern sehr gefürchtet sind. Bei den Razzien des Militärs wird auf die Bewohner kaum Rücksicht genommen. Abu Kareem, ein Einwohner aus Hit, erzählte, die irakischen Soldaten seien rücksichtslos in die Häuser gestürmt und hätten die Männer behandelt, als seien sie Kriminelle. Die Frauen hätten sie in die Badezimmer eingesperrt. »Wir haben es vorgezogen, unser Haus zu verlassen«, so Abbas Rabia, der auch in Hit wohnt. »Lieber bleiben wir in diesem verlassenen Schulgebäude am Stadtrand, so hoffe ich meine Kinder schützen zu können.«

Das UN-Informationsnetzwerk IRIN berichtete derweil, dass einem US-Militärreport zufolge die Gewalt im Irak 2005 um 30 Prozent zum Vorjahr angestiegen sei. 2005 soll es 34 100 Angriffe auf die US-Truppen und das irakische Militär gegeben haben, im Jahr 2004 zählte die Statistik 27 000 solcher Angriffe. Die Zahl von Selbstmordattentätern sei von sieben im Jahr 2004 auf 67 im Jahr 2005 angestiegen. Autobombenangriffe seien von 133 auf 411 angestiegen. Dennoch äußerte sich der US-Militärsprecher in Bagdad, Tom Keefe, zuversichtlich: »Wir kommen mit unserer Arbeit voran, und die Iraker können ihre Kontrolle trotz solcher Angriffe von Tag zu Tag besser ausbauen.« Außerdem spielten solche Zahlen keine Rolle, verglichen zu den Fortschritten, die in Irak für das Jahr 2005 zu verzeichnen seien. Letztlich sei die steigende Anzahl von Angriffen nur eine Folge des großen Erfolgs der Truppen.

In der Bevölkerung sieht man das anders. »Seit Jahresbeginn 2005 habe ich acht Familienangehörige durch Angriffe und Explosionen verloren«, so Samir Ibrahim, der in Bagdad wohnt. Auch wenn die Regierung die Zahlen herunterspiele, das Leid von Tausenden müsse sie ernst nehmen.

* Aus: Neues Deutschland, 7. Februar 2006


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