Die Notwendigkeit einer nationalen Debatte über den Irak
Senator Joseph Biden und Senator Richard Lugar stellen wichtige Fragen
Die Botschaft der Vereinigten Staaten in Berlin verschickt dieser Tage die deutsche Übersetzung eines namentlich gezeichneten Artikels der US-Senatoren Joseph Biden und Richard Lugar, der am 31. Juli in der New York Times erschien. Damit reagiert die Botschaft auf eine in Gang kommende Debatte über die Vor- und Nachteile eines Militärangriffs auf den Irak. Wohlgemerkt: Es geht in dieser Debatte in den USA nicht um die Frage, ob ein solcher Angriff rechtens ist - das interessiert die amerikanische Politik herzlich wenig. Es geht allein um Nützlichkeitserwägungen. Dennoch kann auch diese Debatte "nützlich" im Sinne der Kriegsvermeidung sein, da die meisten Argumente wohl gegen einen Angriffskrieg sprechen dürften. Joseph Biden und Richard Lugar umschreiben in ihrem Beitrag für die New York Times in etwa auch das Diskussions-Feld, das bei den gerade begonnenen Anhörungen im US-Kongress bestellt wird. Auch deshalb dürfte der Artikel für die europäische Diskussion von Interesse sein. Wir dokumentieren im Folgenden den Beitrag.
Im vergangenen Jahr haben die Amerikaner auf tragische und schmerzhafte Art
und Weise erfahren, welche Bedeutung der Außenpolitik zukommt. In den
vergangenen Monaten hat Präsident Bush seine Entschlossenheit zur Absetzung
des irakischen Diktators Saddam Hussein deutlich gemacht - ein Ziel, das
viele Kongressabgeordnete ebenfalls verfolgen. Aber bis jetzt kennen wir nur
durchgesickerte Berichte über verschiedene militärische Pläne, die
widerspiegeln, wie tief die Regierung darüber gespalten ist, ob und wie man
vorgehen soll. Es ist Zeit, ernsthaft über die amerikanische Irak-Politik zu
diskutieren.
Heute beginnen im Auswärtigen Ausschuss des Senats eingehende Anhörungen.
Das Weiße Haus unterstützt zwar die Anhörungen - die in enger Zusammenarbeit
von demokratischen und republikanischen Ausschussmitgliedern koordiniert
wurden. Zum jetzigen Zeitpunkt werden aber keine Regierungsvertreter daran
teilnehmen, damit der Präsident nicht in die Situation kommt, zu früh
wichtige Entscheidungen treffen zu müssen.
Ohne eine bestimmte Vorgehensweise - eine nichtmilitärischen Option
eingeschlossen - vorab zu beurteilen, hoffen wir, eine nationale Debatte
über einige entscheidende Fragen in Gang zu setzen.
Erstens: Welche Bedrohung stellt der Irak für unsere Sicherheit dar? Wie
akut ist die Gefahr? Saddam Husseins unermüdliches Streben nach
Massenvernichtungswaffen bereitet Präsident Bush zu Recht Sorgen. Es
entspricht den Tatsachen, dass andere den Vereinigten Staaten und ihren
Verbündeten feindlich gesinnte Regime versuchen, chemische, biologische und
atomare Waffen zu beschaffen. Was Saddam Hussein unterscheidet, ist, dass er
diese bereits eingesetzt hat, nämlich gegen sein eigenes Volk und seine
iranischen Nachbarn. Und seit beinahe vier Jahren verhindert der Irak die
Rückkehr von UN-Waffeninspektoren. Wir müssen herausfinden, inwieweit Saddam
Hussein Massenvernichtungswaffen beschafft, herstellt und einsetzt und wie
groß die Wahrscheinlichkeit ist, dass er diese auch Terroristen zur
Verfügung stellt. Ebenso brauchen wir eine klare Einschätzung seiner
gegenwärtigen Fähigkeiten, konventionelle Truppen und Waffen eingeschlossen.
Zweitens: Wie lauten die möglichen Antworten auf die irakische Bedrohung?
Die von den Vereinigten Staaten seit dem Ende des Golfkriegs verfolgte
Eindämmungsstrategie hat Saddam Hussein in Schach gehalten. Eine Option ist
die Fortsetzung der Eindämmungsstrategie zusammen mit einem strengen
Waffeninspektionsregime. Aber sie erhöht das Risiko, dass Saddam Hussein mit
den Inspektoren Katz und Maus spielt, während er mehr Waffen baut und sie an
diejenigen verkauft, die sie gegen uns einsetzen könnten. Wenn wir warten,
bis die Gefahr greifbar und gegenwärtig ist, könnte es zu spät sein. Aus
diesem Grund sind einige der Auffassung, die Absetzung Saddam Husseins sei
der bessere Kurs.
Eine militärische Antwort wirft andere Probleme auf. Einige argumentieren,
mit einem Angriff auf Saddam Hussein könnten wir genau das herbeiführen, was
wir zu verhindern versuchen: Seinen Einsatz von Massenvernichtungswaffen. Es
besteht auch Sorge, dass er einen regionalen Krieg auslösen könnte. Wir
müssen entscheiden, ob wir die Ressourcen für ein größeres militärisches
Unternehmen in den Irak verlagern können, ohne den Krieg gegen den Terror an
anderen Orten zu gefährden. Wir müssen uns fragen, was eine militärische
Intervention kosten würde und ihre möglichen Auswirkungen auf unsere
Wirtschaft in Betracht ziehen. Und wir müssen herausfinden, wie viel
Unterstützung wir von unseren Bündnispartnern im Nahen Osten und in Europa
erhalten würden.
Drittens: Welche Aufgaben hätten wir nach einer Absetzung Saddam Husseins?
Dieser Frage wurde noch nicht nachgegangen, sie könnte sich jedoch als die
entscheidende erweisen. In Afghanistan wurde der Krieg zwar erfolgreich
geführt, aber viele von uns sind der Meinung, unsere Verpflichtung, die
Sicherheit wiederherzustellen und den Wiederaufbau voranzubringen, sei dort
nicht erfüllt worden. Angesichts der strategischen Lage des Irak, seiner
großen Ölreserven und des Leids des irakischen Volks können wir es uns nicht
leisten, einen Despoten durch Chaos zu ersetzen.
Wir müssen herausfinden, was der wirtschaftliche und politische Wiederaufbau
des Irak erfordern würde. Wenn wir diese Fragen jetzt ansprechen, wäre dies
ein Beweis für das irakische Volk, dass wir uns langfristig engagieren. Die
Nachbarländer des Irak wären erleichtert, wenn sie wüssten, dass die Zukunft
in allen Einzelheiten durchdacht worden ist. Das amerikanische Volk, dessen
Söhne und Töchter einer Gefahr ausgesetzt werden könnten, muss dasselbe
Gefühl der Gewissheit haben. Mit anderen Worten: Wir müssen alles über die
Risiken des Handelns sowie der Untätigkeit wissen. Das Ignorieren dieser
Faktoren könnte uns in eine Situation bringen, auf die die amerikanische
Öffentlichkeit völlig unvorbereitet ist.
Originaltext: Byliner: Senators Joseph Biden, Richard Lugar Say National
Debate on Iraq Needed
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