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Ende des Schmusekurses

Irakische Regierung übernimmt Kontrolle über sunnitische Kollaborateure

Von Rainer Rupp *

Ab 1. Oktober stehen die hunderttausend sunnitischen Kämpfer, die sich als »Söhne des Irak« (SDI) bezeichnen, nicht mehr unter US-amerikanischem Kommando. Statt dessen sollen sie teilweise (20 Prozent) von den offiziellen Sicherheitskräfte der schiitisch geführten Regierung in Bagdad »übernommen« werden. Für den Rest sollen zivile Jobs gefunden werden. Das Problem ist nur, daß die SDI-Kämpfer mit der schiitischen Regierung bis auf Blut verfeindet sind. Viele erwarten nun Verfolgung, wollen vorsorglich ins Ausland fliehen, andere wollen wieder abtauchen, weshalb die US-Amerikaner eine erneute Verschlechterung der Sicherheitslage befürchten.

Die von Washington bewaffnete und bezahlte »SDI«-Miliz ist 2006 im Rahmen der sogenannten »Räte des Erwachens« in Anbar entstanden und hat sich seither auf alle vier der hauptsächlich sunnitisch bevölkerten Provinzen ausgedehnt. Zuvor waren viele der »Söhne des Irak« ein wichtiger Pfeiler des bewaffneten Widerstandes gegen die US-Besatzer gewesen. Allerdings kamen die meisten der sunnitischen Stämme in jener Zeit von drei Seiten zugleich unter erheblichen Druck.

Da waren zunächst die von den fanatisch-religiösen, oft aus dem Ausland zugewanderten, organisierten Kämpfer, die nicht nur auf Amerikaner schossen, sondern auch zunehmend auf ihre Gastgeber, auf deren Territorium sie mit Gewalt einen Gottesstaat aufbauen wollten. Die zweite Kraft waren die US-Amerikaner, die aus der Luft ihre Häuser zerstörten oder bei Strafexpeditionen ihre Dörfer verwüsteten. Und schließlich gab es noch die marodierenden und von den USA gestützten Gruppen der wild zusammengewürfelten neuen irakischen Armee und Sonderpolizei, die im wesentlichen aus radikalisierten Schiiten und Kurden bestand, die nach Jahre langer Unterdrückung durch den Sunniten Saddam Hussein voller Rachedurst in den sunnitischen Landesteilen wüteten.

In dieser Situation hatten die Amerikaner den sunnitische Stammesführern einen Deal angeboten: Die Angriffe gegen die US-Truppen sollten beendet, statt dessen »Al-Quaida« bekämpft werden, also die ausländischen Dschihadisten. In ihren Provinzen sollten die sunnitischen Stammesführer für Ruhe und Ordnung sorgen. Im Gegenzug versprach man ihnen dafür amerikanische Waffen und eine Bezahlung zwischen 300 und 500 Dollar pro Mann und Monat. Nach einigen internen Kämpfen, Anschlägen und Ermordungen von Stammesführern setzte sich in den sunnitischen Stämmen eine breite Akzeptanz des amerikanischen Vorschlages durch. So wurde die Kollaboration der »Räte des Erwachens« und ihrer »SDI«-Miliz zum bestimmenen Merkmal des von Washington im letzten Jahr in alle Welt posaunten Pazifizierungserfolges in Irak.

Die schiitisch geführte Regierung in Bagdad sah jedoch in der US-bewaffneten sunnitischen Miliz der »Söhne des Irak« von Anfang an den Aufbau einer Bürgerkriegsarmee der Gegenseite. Immer wieder drängte die Al-Maliki-Regierung die US-Besatzer zur Aufgabe des Zusammenarbeit mit den »Räten des Erwachens« -- ohne Erfolg. Ab gestern hat sich das geändert. Warum aber die US-Besatzer nun riskieren, daß die inzwischen besser ausgebildeten und bewaffneten Kämpfer mit existierenden Kommandostrukturen womöglich wieder in den Untergrund abtauchen, kann nur vermutet werden. Die Al-Maliki-Regierung will offensichtlich Gegenleistungen für ihre Unterschrift unter den von Washington dringend geforderten Vertrag, der den Amerikanern völkerrechtskonform erlauben würde, auf bilateraler Basis weiterhin in Irak zu bleiben.

* Aus: junge Welt, 2. Oktober 2008


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