Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Kein Ende der Anschläge in Irak

Waffenruhe mit Sadr-Milizen lässt hoffen / Fehlende Gelder für Flüchtlingshilfe

Von Karin Leukefeld *

Während Schiitenführer Moktada Sadr seine Milizionäre am Dienstag (13. Mai) aufgefordert hat, die Angriffe auf staatliche Einrichtungen und die Sicherheitskräfte einzustellen, haben Extremisten gestern in Mossul fünf irakische Soldaten getötet.

»Sichere Einkaufszentren, Schulen, Geschäfte – Frieden und Wohlstand boomen in Basra«, lautet die Schlagzeile einer Erklärung der Presseabteilung der US-Streitkräfte in Irak. Bis vor kurzem sei die Stadt noch eine Festung für schiitische Milizen gewesen, jetzt sehe man dort positive Zeichen für den Wiederaufbau im Lande. Auch in Bagdad sei wirtschaftlicher Aufschwung zu verzeichnen, so die Medienzentrale der US-Truppen weiter. Die Koalitionsstreitkräfte gewährten Kleinkredite, um Fischfarmen zu unterstützen, damit die Iraker »eigene Ideen entwickeln und ihre eigene Wirtschaft« wieder in Schwung bringen könnten.

Diese Positivmeldungen können allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass Kämpfe und Anschläge im Zweistromland weiter an der Tagesordnung sind. Mossul, Bakuba, Bagdad und Nasseriya standen für den 13. Mai auf einer von Reuters verbreiteten Liste der Anschlagsmeldungen, Bagdad gleich mehrmals. Dort gingen auch im Armenviertel Sadr City trotz eines Waffenstillstands die Kämpfe weiter. Nach Angaben der irakischen Polizei seien in der Nacht zu Dienstag elf Personen getötet und 20 verletzt worden, nachdem US-Militär erneut Teile des Viertels angriffen hatte. Ein Sprecher der US-Armee in Bagdad erklärte, die Soldaten hätten nur reagiert, nachdem wiederum sie wiederholt von Milizen angegriffen worden seien.

Der Waffenstillstand zwischen der irakischen Regierung und Vertretern der Sadr-Bewegung war am Montag offiziell unterzeichnet worden. Nach Angaben seines Sprechers Scheich Salah al-Obeidi in Najaf hat Moktada Sadr persönlich der Vereinbarung zugestimmt. Das 10-Punkte-Abkommen enthielt die Zusage der Mehdi-Armee, nicht mehr gegen die US-amerikanischen und irakischen Truppen in Sadr City zu kämpfen und in der Öffentlichkeit keine Waffen mehr zu tragen. Im Gegenzug erklärte sich die irakische Regierung bereit, keine willkürlichen Razzien mehr in Sadr City durchzuführen und alle Zugangswege und Straßen wieder zu öffnen. Sadr City war mehr als einen Monat von irakischen Truppen und deren US-amerikanischen Verbündeten belagert worden. Einwohner und Hilfsorganisationen begrüßten die Einstellung der Kämpfe am 11. Mai ausdrücklich, blieben aber skeptisch.

»Wir freuen uns über jede Vereinbarung, jeden Dialog, der dazu beträgt, das Blutvergießen unter den Irakern zu beenden«, erklärte Basil al-Azawi, der Vorsitzende der Irakischen Kommission für Unternehmen der Zivilgesellschaft (ICCSE), der nach Information des UN-Informationsnetzwerks IRIN mehr als 1000 irakische Nichtregierungsorganisationen angehören sollen. Hilfsprogramme für Sadr City lägen vor, doch man müsse die Lage noch beobachten, bevor man mit der Arbeit beginnen könne. »Das Abflauen der Kämpfe könnte nur eine Momentaufnahme sein«, sagte Al- Azawi.

Das UN-Flüchtlingshilfswerk (UNHCR) hat derweil zu mehr Spenden für die Versorgung der rund 4,5 Millionen irakischen Flüchtlinge und Inlandsvertriebenen aufgerufen. Derzeit fehlen von den für 2008 notwendigen 261 Millionen US-Dollar noch 127 Millionen. »Viele Flüchtlinge haben ihre Ersparnisse aufgebraucht und sind kaum in der Lage zu überleben, bei den dramatischen Preisanstiegen für Lebensmittel in der Region«, erklärte der Hohe Kommissar des UNHCR, António Guterres. Die irakischen ICCSE-Gruppen unterstützen den Appell des UNHCR. Auch die Regierung in Bagdad müsse den Irakern mehr helfen, fügte Basil al-Azawi hinzu. Außerdem sollte die Hilfe genauer dokumentiert werden, forderte er: »Wir haben den Eindruck, dass riesige Summen für hohe Löhne an die Mitarbeiter einiger Organisationen gezahlt werden.« Bei den Hilfsbedürftigen komme das Geld oft nicht mehr an.

* Aus: Neues Deutschland, 14. Mai 2008


Zurück zur Irak-Seite

Zurück zur Homepage