Endlich eine Regierung
Acht Monate nach der Wahl Einigung in Irak
Von Karin Leukefeld, Damaskus *
Acht Monate nach den Parlamentswahlen haben sich in Irak Politiker aller Fraktionen auf die Bildung
einer neuen Regierungsspitze geeinigt. Das gab der Präsident der kurdischen Autonomieregion,
Mahmud Barsani, am Donnerstag in Bagdad bekannt.
Sollte das Parlament den Personalvorschlägen für die drei höchsten Ämter – Präsident,
Ministerpräsident und Parlamentspräsident – zustimmen, dürfte die neue Staatsspitze in Irak die alte
sein. Ministerpräsident bleibt Nuri al-Maliki, der die Wahlen knapp verloren hatte, Staatspräsident
bleibt Dschelal Talabani, obwohl er bei den Wahlen seine Hausmacht in der nordirakischen
Kurdenprovinz Sulaimania an das Reformbündnis Goran (Wechsel) einbüßte. Den
Parlamentspräsidenten soll die Irakia-Liste stellen, die mit zwei Sitzen Vorsprung die Wahlen
gewonnen hatte. Berichten zufolge soll Osama al-Nujaifi für das Amt kandidieren.
Der eigentliche Wahlsieger, der frühere Premier Ijad Allawi soll den Vorsitz eines neu zu
schaffenden Nationalrats für strategische Politik übernehmen. Die Bildung eines solchen Gremiums
hatten die USA vorgeschlagen, um Allawi für den Posten des Regierungschefs zu entschädigen.
Welche Aufgaben es haben soll, ist unklar.
Allawi war es nicht gelungen, eine Mehrheit zu finden. Erst vor zwei Tagen hatte er seinen
Widersacher Maliki des Machtmissbrauchs beschuldigt und eine Verfassungsänderung gefordert,
um die Befugnisse des Ministerpräsidenten einzuschränken. Malikis »Allianz für Rechtsstaatlichkeit«
erklärte derweil schon vor der offiziellen Bekanntgabe einer Einigung, auf jeden Fall mit einem
Ministerpräsidenten Maliki die Regierung zu bilden, selbst wenn nicht alle Parteien mitziehen
würden. Sollte das Parlament den Personalvorschlägen zustimmen muß Maliki innerhalb von vier
Wochen sein Kabinett besetzen. Das Außenministerium soll von der Irakia-Liste besetzt werden.
Die »Lösung« der zukünftigen Staatsspitze folgt damit dem libanesischen Proporzmodell, wo die
höchsten Ämter im Staat unter den größten Religionen aufgeteilt sind. Für Irak wird das religiöse
Proporzmodell Libanons in ein ethno-religiöses Modell umgewandelt. Der irakische Präsident wird
ein Kurde, der Ministerpräsident ein Schiit und der Parlamentspräsident ein Sunnit.
Durch weitreichende Zusagen an die Kurdistan-Allianz war es Maliki gelungen, seinen Posten für die
nächsten vier Jahre zu sichern. 18 von 19 Punkten eines kurdischen Forderungskatalogs hatte er
zugestimmt, darunter dem Recht der Kurden auf ihre eigene Förderung von Öl und Gas sowie deren
Export. Bereits im Sommer hatte die Nationale Allianz schiitischer Parteien ihre Unterstützung für
Maliki erklärt. Massive Proteste kamen aus der Sadr-Bewegung, deren bewaffneter Widerstand
gegen die Besatzung von Maliki mit eiserner Faust niedergeschlagen worden war. Muktada Sadr
erklärte dann im Oktober plötzlich seine Zustimmung zu Maliki, was vermutlich auf Druck aus
Teheran zurückzuführen ist.
Ein Sprecher der verbotenen Baath-Partei/Irakischer Widerstand im Exil in Damaskus kritisierte
derweil gegenüber ND die Regierungsbildung als »undemokratisch«. Die Besatzung habe den
demokratischen Prozess, den sie in Gang setzten wollte, »selbst zerstört«. Die Postenverteilung sei
nicht mehr als ein »Interessenausgleich« und genüge »den Wünschen der USA und Irans
gleichermaßen«. Für die Menschen in Irak werde sich nichts ändern, sagte der Sprecher
* Aus: Neues Deutschland, 12. November 2010
Blutiger Meilenstein
Von Roland Etzel **
Vermutlich war es gar nicht zynisch gemeint. Aber Obamas Bemerkung, die Einigung der irakischen Parteien auf eine Regierung nach acht Monaten übelster Feilscherei sei ein »weiterer Meilenstein« in der Geschichte des Landes, ist mehr als fragwürdig. Zu erklären nur, wenn Obama die Geschichten der hauseigenen PR über Irak als Realität betrachtet: dass die Invasion von 2003 der erste Meilenstein war; die Sicherheitslage sich ständig verbessert; alle Gegner der USA und ihrer Bagdader Regierungen Qaida-Terroristen aus dem Ausland sind...
Die Iraker selbst wundert das nicht mehr, sie wissen nach sieben Jahren Besatzung längst, dass die amerikanische Erde eine Scheibe ist. Zum Thanksgiving am 25. November wird wieder ein US-Führer einschweben und den Irakern erklären, wie schlimm es unter Saddam Hussein war und auf welch gutem Wege jetzt alles ist. Vielleicht schaffen es Allawi, Maliki und Talabani ja, ihre Machtkämpfe bis dahin ein wenig zu zügeln.
Allerdings: Deren bisheriges Auftreten, die starke Zunahme der Terroranschläge, die angekündigten Hinrichtungen weiterer früherer Regime-Größen – all dies deutet eher darauf hin, dass der nächste Meilenstein Bürgerkrieg heißt. Aber wenigstens ist der Weg dahin mit guten amerikanischen Wünschen gepflastert.
** Aus: Neues Deutschland, 13. November 2010 (Kommentar)
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