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Irak, EU & Nabucco: Die Dreigroschen-Pipeline

Von Inga Rogg *

Täglich schließt der Irak große Verträge mit Konzernen und Nationen - zuletzt ein Energieabkommen mit der EU. Dabei ist der Bedarf des eigenen Landes kaum gedeckt. Die Hauptstadt mit ihren verfallenen Häusern, Baulücken und Müllbergen wirkt wie eine heruntergekommene Drittweltmetropole. Ein Bericht über den mühsamen Alltag in Bagdad.

... Im Eilverfahren schließt Erdölminister Hussein Shahristani derzeit mit internationalen Ölfirmen Verträge über die Erschließung der reichen Ölvorkommen ab. Den jüngsten Coup, den er in diesem Zusammenhang landete, ist ein Energieabkommen mit der Europäischen Union. Mit dem EU-Kommissar für Energie, Andris Piebalgs, unterzeichnete Shahristani am 18. Januar ein Memorandum über eine strategische Energiepartnerschaft. Neben den Ölvorkommen hat die Europäische Union dabei vor allem die Erdgasreserven des Landes im Blick. Insbesondere hoffen die Europäer auf irakische Gaslieferungen für die Nabucco-Pipeline, die künftig den europäischen Markt mit den kaspischen und nahöstlichen Erdgasvorkommen verbinden soll.

Bevor der Irak seine Exporte steigern kann, muss er freilich erst einmal den heimischen Bedarf decken. Das Land sitzt auf den drittgrößten Ölreserven weltweit und verfügt über reiche Erdgasreserven, doch knapp sieben Jahre nach dem Sturz des Saddam-Regimes sind die Betreiber von privaten Dieselgeneratoren die einzigen, die den Hauptstädtern mehr oder weniger zuverlässig Strom liefern. Nach wie vor wirkt Bagdad wie eine heruntergekommene Drittweltmetropole ...

Von den Nöten bekam der EU-Kommissar Piebalgs wenig mit

Die vorherrschenden Farben der Hauptstadt sind das Beige des Sands, der sich unerbittlich in alle Ritzen legt, und das Grau der Sprengschutzmauern. Wie ein Grenzwall trennen sie ganze Viertel und Strassen voneinander. An Hunderten von Checkpoints kontrollieren Sicherheitskräfte in einem Mischmasch an Uniformen sämtliche Ein- und Zugänge zu den Quartieren. Die Polizisten und Soldaten sind die einzigen, die offenbar im Dauereinsatz sind. Denn die Müllentsorgung funktioniert weiterhin weitgehend mehr schlecht als recht. Auf den Baulücken in den Quartieren außerhalb des Zentrums türmt sich der Abfall, beißend steigt der Geruch von brackigem Abwasser in die Nase.

Zwischen den Häusern zieht sich ein wildes Gewirr von Stromleitungen, die so tief hängen, dass man sich beim Vorgehen ducken muss. Das staatliche Netz ist so marode, dass die Regierung im Fall von Sandstürmen - und davon gibt es viele - die Versorgung kurzerhand einstellt. Von diesen Alltagsnöten der Iraker kam EU-Kommissar Piebalgs während seines Blitzbesuchs in Bagdad wenig mit. Vom Flughafen ging es direkt in die Grüne Zone, wo er im gepflegten Pressesaal des Ministerrats den Irakern die Zusammenarbeit mit den Europäern anpries.

Besonders auf dem Feld der erneuerbaren Energien habe Europa den Irakern viel zu bieten, sagte Piebalgs. Dabei klang er beinahe wie ein Handelsreisender in Sachen ökologischer Nachhaltigkeit. "Der Klimawandel betrifft auch die energiereichen Staaten", sagte Piebalgs. "Solarenergie ist deshalb enorm wichtig." Aber nicht nur der Streit zwischen Arbil und Bagdad um die Energiepolitik macht den Europäern keine Sorgen. Sie setzen auf eine langfristige Zusammenarbeit den Einsatz von Sonnenkollektoren, auch die Verwendung von Erdgas wollen die Europäer im Irak stärken. "Wir wollen, dass der Irak ein sauberes Land wird", sagte Piebalgs. Zweifelsohne hat Europa und nicht zuletzt Deutschland in diesem Punkt viel Know-how zu bieten. Im Gegenzug hoffen die Europäer, dass der Irak ein verlässlicher Energielieferant für den europäischen Markt wird.

Der Irak sei ein zentrales Bindeglied für die Energiesicherheit der EU, sagte Piebalgs. Er könne einer der wichtigsten Erdgaslieferanten für den südlichen Korridor werden. Dabei geht es vor allem um die Einspeisung von Erdgas in die geplante Nabucco-Pipeline. Im vergangenen Juli hatten die fünf beteiligten Transitländer - die Türkei, Bulgarien, Rumänien, Ungarn und Österreich - ein Rahmenabkommen über den Bau der knapp acht Milliarden Euro teuren Erdgaspipeline unterzeichnet (siehe Kasten).

Bislang fehlen allerdings noch die Zusagen, die die Kapazitätsausnutzung garantieren. Länder wie Aserbeidschan und Turkmenistan, die für die nötigen Gasmengen sorgen könnten, werden auch von Russland und China heftig umworben. Iran, das weltweit über die zweitgrößten Erdgasreserven verfügt, fällt aus Sicht von westlichen Diplomaten wegen des Streits um sein Nuklearprogramm auf absehbare Zeit als Energiepartner aus. Umso wichtiger wird der Irak, der über große, aber weitgehend unerschlossene Erdgasreserven verfügt.

In der Europäischen Union schätzt man, dass der Irak fünf bis zehn Milliarden Kubikmeter Erdgas in die Nabucco-Pipeline einspeisen kann. Das wäre zwischen einem Sechstel bis zu einem Drittel der Gesamtkapazität von rund 30 Milliarden Kubikmetern. Europa sei für den Irak der nächste Nachbar, sagte Piebalgs. Und er lockte die Iraker mit dem Hinweis, dass Europa den größten und offensten Energiemarkt zu bieten habe. Das war wohl vor allem eine Spitze gegen China, dessen Energiehunger ebenfalls ständig wächst.

Das Erdgas soll vor allem vom Akkas-Gasfeld kommen. Das Feld liegt in der ehemaligen sunnitischen Extremistenhochburg Anbar. Von dort plant die irakische Regierung eine Verbindung mit der "Arab Gas Pipeline", die von Ägypten über Jordanien, den Libanon und Syrien in die Türkei führt, wo sie schließlich an die Nabucco-Pipeline andocken soll. Ein weiterer Anschluss ist vom Nordirak geplant, wo die Kurden auf den Feldern Khor Mor und Chamchamal bereits Erdgas fördern. Im vergangenen Jahr haben die österreichische OMV und die ungarische MOL jeweils einen Aktienanteil von 10 Prozent an den beiden Produktionsfirmen Dana Gas und Crescent Petroleum erworben. OMV und MOL gehören zum Konsortium der Nabucco-Pipeline. Bei OMV schätzt man, dass die kurdischen Felder bis in fünf Jahren rund 30 Milliarden Kubikmeter Gas pro Jahr liefern.

Zwischen den Kurden und Bagdad tobt freilich ein heftiger Streit um die Energiepolitik. Wie unversöhnlich sich beide Seiten in dieser Frage gegenüberstehen, mussten beiden Firmen erfahren, die seit Juni als erste Erdöl aus Kurdistan exportierten. Weil sich Bagdad und Arbil nicht über Bezahlung der Exporte einigen konnten, haben die norwegische DNO und die türkische Genel Enerji ihre Exporte mittlerweile eingestellt.

Die Europäer hoffen auf eine langfristige Zusammenarbeit

Dass die strategische Partnerschaft in den politischen Turbulenzen untergeht, diese Sorgen machen sich die Europäer nicht. Im Kreis der europäischen Diplomaten geht man davon aus, dass sich der Irak weiter stabilisieren und sich in den nächsten Jahren zu einem der wichtigsten Energiemärkte entwickeln wird. Vor diesem Hintergrund ist die strategische Partnerschaft ein zentraler Eckpunkt, um die Diversifzierung des europäischen Gasmarkts voranzubringen.

Um sicherzustellen, dass der Irak ein zuverlässiger Lieferant wird, sieht das Abkommen eine weitgehende Zusammenarbeit vor. Neben der Reformierung des Energiesektors wollen die Europäer die Iraker auch bei der Ausarbeitung des rechtlichen Rahmens und der Öffnung seiner Märkte unterstützen. "Wir setzen über Energiefragen hinaus auf eine langfristige Partnerschaft mit dem Irak", sagte Piebalgs. Ölminister Shahristani versicherte seinerseits, dass die sozusagen vor Torschluss verabschiedeten Verträge auch nach den für den 7. März angesetzten Parlamentswahlen Bestand haben werden.

Außerhalb des schicken Konferenzsaals werden freilich leicht Zweifel wach. Um das kleine Gebäude steht eine Reihe von Containern, in denen Teile des Verwaltungsapparats unterbracht sind. Am Ende könnten die Beschlüsse der jetzigen Regierung so vergänglich sein wie die Container. Manchmal werden aus Provisorien aber auch dauerhafte Fundamente. Darauf setzt man bei der Europäischen Union.

* Inga Rogg, Journalistin. Aus: WPI Wirtschaftsplattform Irak. www.wp-irak.de. Dank an Inga Rogg und die WPI-Redaktion.

Nabucco-Pipeline

Das Nabucco-Pipeline-Projekt sieht den Bau einer Erdgas-Pipeline vor, beginnend in der Türkei bis in das österreichische Baumgarten an der March nahe der slowakischen Grenze, wo das zentrale Verteilerzentrum der OMV für Erdgas liegt. Am 13. Juli 2009 wurde ein Rahmenabkommmen von den fünf beteiligten Transitstaaten (Türkei, Bulgarien, Rumänien, Ungarn und Österreich) in Ankara unterzeichnet. Der endgültige Baubeschluss wird für 2010 erwartet. Die Pipeline soll zirka 7,9 Milliarden Euro kosten, die zu einem Drittel durch das Betreiberkonsortium selbst, zu zwei Drittel durch Kredite aufgebracht werden soll. Initiator des Projektes ist die österreichische OMV AG. Eigentümer sind neben der OMV Gas International GmbH die MOL aus Ungarn, S.N.T.G.N. Transgaz S.A. aus Rumänien, Bulgargaz-Holding EAD aus Bulgarien und BOTAS, Petroleum Pipeline Corporation aus der Türkei. Die Entscheidung für einen weiteren sechsten Partner ist im Februar 2008 auf RWE aus Deutschland gefallen. Der entsprechende Vertrag wurde am 5. Februar 2008 in Wien unterzeichnet. Bis dahin hielt jeder der Beteiligten einen Anteil von 20% an der Nabucco Gas Pipeline International GmbH.

Warum das Projekt?
Der Baubeginn wurde schon mehrfach verschoben und ist derzeit für 2011 vorgesehen. Die erste Ausbaustufe soll bis 2014 fertiggestellt sein. Die Pipeline selbst soll die EU mit den kaspischen Erdgasvorkommen verbinden (möglicherweise auch mit iranischen, ägyptischen und irakischen) und so neue Gasquellen für Europa erschließen. Im EU-Programm Transeuropäische Netze gilt die Pipeline als eines der vier wichtigsten Vorhaben beim Ausbau des europäischen Energieleitungsnetzes.
Hintergrund des Projekts ist der politische Wunsch der EU nach einer Diversifizierung der Erdgasquellen, vor allem, um die relative Abhängigkeit vom Hauptlieferanten Gazprom zu verringern. Die EU verbrauchte 2006 rund 485 Milliarden Kubikmeter Erdgas. Nach Schätzungen der Europäischen Kommission könnte der Bedarf im ungünstigsten Fall bis 2030 auf zirka 575 Milliarden Kubikmeter steigen. Dem gegenüber steht eine sinkende Eigenproduktion in Europa selbst. Der Importbedarf der EU wird deshalb im gleichen Zeitraum voraussichtlich stark anwachsen.

Warum der Name?
Nach dem ersten Treffen des Konsortiums gingen die Teilnehmer in die Wiener Staatsoper, um sich Giuseppe Verdis Oper "Nabucco" anzusehen. Beim anschließenden Abendessen stimmten bei der Suche nach einem Projektnamen die Anwesenden für den Namen Nabucco.

PR-Chef Fischer
Der frühere Außenminister und Spitzenpolitiker der Grünen, Joschka Fischer, hat eine neue Aufgabe, berichtete das manager magazin in seiner Ausgabe vom 26.6.2009. Fischer soll das Gasprojekt Nabucco politisch und PR-mäßig vorantreiben. Er habe dazu einen Beratervertrag in sechsstelliger Größenordnung verhandelt, erfuhr manager magazin von Insidern.

Quelle: Wikipedia/manager magazin




Dieser Beitrag erschien in: INAMO (Informationsprojekt Naher und Mittlerer Osten e.V.), Heft Nr. 61/Frühjahr 2010, 16. Jahrg., Seiten 71-72

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