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"Wir spielen nicht die Nordallianz für Bush"

Hamid Majid Mousa über den drohenden Krieg gegen den Irak

Während in der US-Administration darüber nachgedacht wird, wie der Sturz des meist gehassten Oberschurken Saddam Hussein zu bewerkstelligen ist, arbeitet auch die Opposition innerhalb und außerhalb des Landes an ensprechenden Plänen. Und das schon sehr viel länger. Dass es nicht nur Oppositionsgruppen gibt, die von den USA finanziert werden und über dessen Rückhalt in der irakischen Bevölkerung nur spekuliert werden kann, ist indessen hier zu Lande weniger bekannt. Eine davon, die gleichwohl auch aus dem "Exil" operiert, zwar von irakischem Territorium, das aber dem Einfluss Saddams weitgehend entzogen ist, wird im folgenden Interview vorgestellt. Es verdeutlicht auch die Kompliziertheit der Situation,, die nich vereinfacht würde, wenn der Sturz Saddams mittels eines von außen aufgezwungenen Krieges versucht würde. Das Interview stammt aus der jungen welt vom 9. März 2002. Das Interview führter Rüdiger Göbel.

F: »Präsident Saddam Hussein muß weg« - das sagt die Kommunistische Partei des Irak, das fordert inzwischen auch US-Präsident George W. Bush. Wie bewerten Sie die neuerlichen Kriegsdrohungen gegen Ihr Land?

Die KP fordert schon lange den Sturz Saddam Husseins. Lange bevor dies Bush verlangte. Seit über 20 Jahren arbeitet unsere Partei auf dieses Ziel hin. Seit einer Zeit also, da die US-Administration Saddam Hussein noch offen unterstützt hat, sowohl in dessen expansiven Politik als auch bei der Unterdrückung im inneren des Irak. Erinnern Sie sich an die amerikanisch-irakischen Beziehungen während des Irak-Iran-Krieges in den 80er Jahren. Saddam Hussein erhielt logistische Unterstützung aus den USA. Die CIA arbeitete ihm zu. Alles in allem kann man von sehr guten und sehr engen Beziehungen sprechen.
Saddam Hussein hat die arabische Solidarität und Zusammenarbeit torpediert. Auch in der Zeit, als Saddam Hussein Attentate gegen palästinensische Führer angeordnet hat, als er die demokratischen Kräfte innerhalb des Irak und der arabischen Welt verfolgt und unterdrückt hat, waren die Beziehungen zwischen Washington und Bagdad »gut«. Das beweist doch, daß es unterschiedliche Ausgangspunkte gibt für dasselbe Ziel: Saddam Hussein nun endlich zu stürzen.
Es ist nicht richtig, dies zu vereinfachen, wie Sie es in Ihrer Frage getan haben. Wir wollen eine demokratische Alternative ...

F:... das sagt US-Präsident Bush auch ...

Was Bush will, ist etwas anderes als das, was die Kommunistische Partei will. Wir wollen einen einheitlichen, föderativen, demokratischen Irak, geführt von den Menschen des Landes selbst. Von Vertretern, die in freien Wahlen gewählt wurden und einer Verfassung gemäß arbeiten. Wir wollen den Wiederaufbau des Irak im Interesse seiner Menschen. Wir wollen ein System, das die Reichtümer des Landes vor allem im Interesse seiner Bevölkerung verwendet. Wir wollen, daß die Bürger unseres Landes in Freiheit leben, Parteien, Organisationen, Gewerkschaften und Berufsverbände gründen können. Den Kurden im Irak muß das Recht auf Autonomie garantiert werden. Irak soll friedliche Beziehungen mit seinen Nachbarn und dem Rest der internationalen Gemeinschaft haben.
Was Bush mit »Demokratie« meint, ist etwas ganz anderes. Er will eine Änderung mit Gewalt und Krieg herbeiführen. Er will dieses System mit Hilfe eines Militärputschs durch ein ähnliches System ersetzen. Die »Alternative« soll von dem gegenwärtig regierenden System ausgehen. Bush versucht mithin, dieses System im wesentlichen beizubehalten. Die USA geben demokratischen Veränderungen keinen Vorrang, und sie wollen keine Freiheiten für die Bevölkerung garantieren, damit diese ihre eigene Führung wählt. Die USA haben auch keine Lösung für die nationale Frage im Irak. Bush zielt einzig darauf ab, die amerikanischen Interessen im Irak und der Region zu vertreten. Kurz: Es geht um die Kontrolle über die großen Ölvorkommen für die US-amerikanischen Monopole. Daher will Bush keine radikale Veränderung im Irak. Das regierende System weiß dies nur zu genau. Daher verlangt Saddam einen Dialog mit den Amerikanern. Das bedeutet doch, daß die Saddam-Diktatur bereit ist, den Amerikanern ihre Dienste anzubieten.

F: Im Pentagon und im Außenministerium in Washington werden konkrete Kriegspläne für den Irak ausgearbeitet. Was bedeuten die gegenwärtigen Kriegsdrohungen für Ihre Arbeit als Oppositioneller im Land selbst - erwarten Sie perspektivisch eine Verbesserung oder eine Verschlechterung?

Es gibt den amerikanischen Wunsch, den Irak anzugreifen. Hierfür werden Vorwände erfunden. Zur Zeit konzentriert man sich angeblich auf die Umsetzung von UN-Sicherheitsratsresolutionen, in denen die Abrüstung des Irak und die Rückkehr von UN-Waffeninspektoren verlangt wird.
Wir glauben nicht, daß der Krieg die richtige Alternative ist. Wir sind gegen diesen Krieg. Unsere Kriegsgegnerschaft steht aber nicht im Widerspruch dazu, daß wir gegen dieses System sind, das erst die Vorwände für diesen Krieg geliefert hat. Die provokativen Äußerungen aus Bagdad liefern den USA doch ideale Vorwände für einen Angriff. Die KP Irak und die anderen demokratischen Parteien wünschen sich die Schaffung von Bedingungen, die eine Veränderung durch die Bevölkerung möglich machen. Zu einer Parole verkürzt: Nein zum Krieg. Nein zur ausländischen Einmischung. Ja zum Kampf des irakischen Volkes gegen dieses System und für die Errichtung einer demokratischen Alternative.

F: Wie kann sich dieser Kampf in einer Diktatur konkret entfalten?

Wir versuchen mit allen uns zur Verfügung stehenden Mitteln, gegen die Diktatur zu kämpfen und den Charakter dieses System durch seine Verbrechen am Volk zu entlarven. Wir versuchen, die Mitglieder der Baathpartei und Armee-Angehörige zu überzeugen, sich von Saddam abzuwenden. Wir versuchen, die Menschen in ihrem täglichen Kampf um Lebensmittel zu aktivieren. Wir zeigen auf, wie das System die Folgen des Embargos für sich zum Machtausbau nutzt. Saddam Hussein ist nicht interessiert an der Aufhebung der Sanktionen. Die Sanktionen sind vielmehr zu einem Instrument der Unterdrückung in den Händen des Regimes geworden: Aus jeder Familie muß sich ein Mitglied als Freiwilliger in der sogenannten Quds-Armee melden, ansonsten wird die Lebensmittelration der ganzen Familie gekürzt. Ebenso wenn ein Deserteur von seiner Familie nicht den Behörden übergeben wird. Ich könnte Ihnen unzählige weitere Beispiele nennen ...

F: ... um so dringlicher wäre die Aufhebung des Embargos.

Wir treten für eine Differenzierung ein und fordern die Aufhebung der nichtmilitärischen Sanktionen, die die irakische Bevölkerung treffen. Die Menschen leiden aber nicht nur unter dem Embargo, sondern auch unter der Diktatur selbst. Wegen der aggressiven Politik dieses Systems kam es zum Krieg um Kuwait. In der Folge wurden von der UNO die Sanktionen verhängt. Wenn nun einseitig das Embargo aufgehoben wird, bleiben die diktatorischen Unterdrückungsmaßnahmen.

F: Sollen die Sanktionen erst aufgehoben werden, wenn die derzeitige Regierung in Bagdad verschwindet?

Wir fordern gleichzeitig Aufhebung des Embargos und Demokratie für den Irak.

F: Heißt das, die Sanktionen sollen bestehen bleiben, bis es einen demokratischen Wandel im Irak gibt? Muß das Embargo ob seiner desaströsen Folgen für die Menschen im Irak nicht sofort fallen?

Das Embargo gegen das irakische Volk muß sofort aufgehoben werden. Das steht für uns ganz außer Frage. Wir fordern allerdings, die ganze Wahrheit zu benennen: Die brutalen Folgen der Sanktionen für die Menschen einerseits und den Nutzen des Embargos für das Regime andererseits.
Wir fordern tagtäglich und lautstark wo immer wir arbeiten die Aufhebung der Sanktionen. Aber gleichzeitig veröffentlichen wir auch, wenn es Hinrichtungen gibt, wenn neue diktatorische Gesetze erlassen werden. Wir berichten über die Unterdrückung der Schiiten, über die Ermordung von hohen schitischen Geistlichen. Wir berichten über die Arabisierung der irakischen Bevölkerung, über die Deportation von Menschen aus der einen in eine andere Region. Sollen wir darüber nicht reden? Wenn ich auf den Irak schaue, dann mit beiden Augen.

F: Können Sie landesweit im Irak arbeiten oder nur im Norden, im kurdischen Autonomiegebiet?

Wir sind im gesamten Irak aktiv. In den nicht-kurdischen Gebieten müssen wir natürlich im Untergrund arbeiten. Aber in Irakisch- Kurdistan arbeiten wir ganz legal. Dort haben wir Zeitungen, Rundfunk und Fernsehen. Die Kommunistische Partei/Irakisch-Kurdistan ist auch durch einen Minister in der kurdischen Regierung vertreten. Darüber hinaus arbeiten wir in den arabischen Gemeinden im Ausland. Überall. Zur Zeit leben über vier Millionen Iraker im Exil.

F: Nach den massiven US-Angriffen 1991 hat es einen Aufstand der Kurden im Norden des Irak gegeben. In Washington gibt es nun Überlegungen, daß diese Kräfte in Anlehnung an die Erfahrungen in Afghanistan eine Art »Nordallianz« spielen könnten. Wie realistisch sind solche Szenarien?

1991 gab es einen Aufstand sowohl im Süden als auch im Norden des Irak. Im Norden war es ein organisierter Partisanenkrieg, an dem die Kommunistische Partei beteiligt war. Die Partisanen haben mit Hilfe der Massen Kurdistan damals befreit. So wie auch zahlreiche Städte im Süden befreit worden sind. Doch Saddam wurde von den Amerikanern die Gelegenheit gegeben, den Aufstand dort niederzuschlagen. In Kurdistan konnte der Aufstand trotzt Massenflucht aufrechterhalten und eine Autonomie durchgesetzt werden.
Man kann Irak nicht mit Afghanistan vergleichen und die Kurden nicht mit der »Nordallianz«. Die regierenden kurdischen Parteien in Irakisch-Kurdistan sind historisch gewachsene nationalistische Parteien. Sie kämpfen für gerechte Forderungen der kurdischen Nation. Die Kurden wissen, daß ihre Autonomie nicht ohne Demokratie im ganzen Irak garantiert werden kann. Dennoch kann man das afghanische Modell nicht auf den Irak übertragen. Sie dürfen nicht vergessen, daß die Amerikaner nicht an einer radikalen Änderung mit Hilfe der Massen und deren Parteien interessiert sind. Wie ich bereits gesagt habe, zielen sie auf einen Putsch gegen Saddam Hussein und eine allenfalls oberflächliche Änderung des Irak ab.

F: Würden die Demokratische Partei Kurdistans (KDP) und die Patriotische Union Kurdistans (PUK) sowie Ihre Kommunistische Partei im Falle von US-Luftangriffen stillhalten oder nicht doch die Bodentruppen für Washington stellen?

Was würden Sie vorschlagen, wenn es zum Krieg kommt: Sollen diese drei Parteien stillhalten oder die neuen Bedingungen für ihren Kampf ausnutzen?

F: Ich fragte ja, was Sie machen ...

Wir werden in keinem Fall die Rolle der »Nordallianz« übernehmen. Auch die kurdischen Parteien nicht. Doch wir können die USA nicht stoppen. Und sollen wir dann nur Zuschauer bleiben?

F: Was werden Sie also tun?

Wir haben unser Programm, unsere Ziele, unsere Kräfte. Wir werden diese einsetzen, um unser Programm durchzusetzen, nicht das Programm der Amerikaner. Wir sind gegen eine militärische Lösung, aber wir können die USA auch nicht stoppen. Ganz Europa ist nicht dazu in der Lage, Amerika an einem Krieg zu hindern. Wenn die USA ihren Angriff durchführen, wogegen wir sind, was sollen wir machen? Nur zuschauen? Oder sollen wir versuchen, unser Programm durchzusetzen? Wir erwarten, daß es zu einem Volksaufstand kommt und Saddams Armee auseinanderfällt. Daran werden wir anknüpfen.

F: Wie realistisch ist ein Putsch innerhalb der irakischen Armee?

Die USA konzentrieren sich auf solch eine Lösung. Aber sie realisieren, daß ein Putsch in einer terroristischen Diktatur schwierig ist. Die letzten elf Jahre hat es mehrere Versuche in diese Richtung gegeben. Doch alle waren zum Scheitern verurteilt. Daß es schwierig ist, heißt aber nicht, daß es unmöglich ist.

F: Welche Rolle spielt der Irakische Nationalkongreß (INC) im Irak?

Die Aktivitäten des INC konzentrieren sich hauptsächlich auf das Ausland und vor allen auf die Medien und Propaganda. Der INC baut seine Bemühungen für Änderungen im Irak im wesentlichen auf äußere Faktoren: auf das amerikanische Gesetz zur Befreiung Irak, auf die amerikanische Unterstützung und Finanzierung.

F: Wie stark ist der Oberste Islamische Rat als Opposition im Süden des Irak?

Der Oberste Islamische Rat ist eine der Hauptkräfte im Irak. Er arbeitet wie unsere Partei im Süden des Irak sowie in den anderen irakischen Gegenden, die unter der Diktatur stehen.

F: Wird der Irak nach Saddam Hussein eher ein islamischer oder sozialistischer Staat?

Weder noch. Wir wollen nach Saddam Hussein eine pluralistische Gesellschaft und ein demokratisches Land. Alle politischen Kräfte sollen frei arbeiten können. Sicher ist das keine Frage von einigen Tagen oder Wochen ...
Daß die Mehrheit der Iraker Moslems bzw. Schiiten sind, heißt nicht, daß diese alle eine islamische Partei unterstützen. Ich bin Schiite und Mitglied der Kommunistischen Partei. Ich kämpfe für ein demokratisches System, in dem alle Parteien einen Platz haben und der Wille des Volkes durch Wahlen zum Ausdruck gebracht werden kann.

F: In den Medien wurden mit dem im dänischen Exil lebenden früheren Stabschef der irakischen Armee, General Nisar Khasraji, und dem in Jordanien lebenden Najib al-Salhi zwei mögliche Nachfolger Saddam Husseins genannt. Wer könnte Ihres Erachtens an der Spitze eines demokratischen Iraks stehen?

Was in den letzten Wochen öffentlich geäußert wurde, ist doch sehr spekulativ. Im Ausland gibt es keine einzige Persönlichkeit, die von allen anderen Kräften anerkannt ist. Innerhalb des Irak kann ich Ihnen niemanden nennen. Er würde sofort von Saddam Hussein hingerichtet werden. Das Wichtigste ist momentan, daß alle Oppositionskräfte zu einer Koalition unter einer kollektiven Führung zusammengeführt werden.

F: Gehen Sie davon aus, daß die USA den Irak auf jeden Fall angreifen werden?

Unsere Partei geht davon aus, daß die Möglichkeit eines Krieges viel größer ist als alle anderen Optionen. Die Amerikaner wollen diesen Krieg.

F: Sind bereits US-Spezialeinheiten im Norden des Irak gelandet, wie von der Presse vor kurzem berichtet?

Bis jetzt hat niemand »amerikanische Spezialkommandos« in Kurdistan gesehen. Für die kursierenden Gerüchte und Spekulationen gibt es keine Beweise.

F: Haben Sie Verständnis dafür, wenn Linke hierzulande gegen den drohenden US-Krieg auf die Straße gehen - bedeutet das, in letzter Konsequenz eventuell, daß Saddam Hussein weiter an der Macht bleiben kann?

Wir verlangen von den Linken und allen friedliebenden Menschen, daß sie sich gegen die Kriegsoption einmischen. Wir kämpfen gegen diesen Krieg, weil wir wissen, daß er gegen das irakische Volk gerichtet ist - unter dem Vorwand, Saddam Hussein stürzen zu wollen. Die Solidarität mit dem Kampf des irakischen Volkes gegen den Krieg, gegen die nichtmilitärischen Sanktionen und gegen die Diktatur soll unmißverständlich und klar zum Ausdruck kommen und verstärkt werden. Ich sehe kein Dilemma und keinen Widerspruch.

* Hamid Majid Mousa ist seit 1993 Sekretär des Zentralkomitees der Irakischen Kommunistischen Partei, einer der wichtigsten Oppositionsgruppen des Zweistromlandes. Der am 1. Juli 1942 geborene Mousa ist seit 1958 Mitglied der KP Irak. Er lebt und arbeitet in Arbil, im kurdischen Autonomiegebiet im Norden des Landes. Hamid Majid Mousa hat in den 60er Jahren am Karl-Marx-Institut in Sofia Wirtschaftswissenschaften studiert. Zurück im Irak wurde er wegen seiner kommunistischen Tätigkeit verhaftet. Nach dem Putsch am 17. Juli 1968 kam er aus dem Gefängnis frei und arbeitete in der irakischen Ölindustrie. Nach neuerlichem Haftbefehl 1978 Flucht ins Ausland, wo er in Prag bei der Zeitschrift Probleme des Friedens und des Sozialismus arbeitete. 1984 Rückkehr in den Irak und bis 1989 Teilnahme am Guerillakampf in den kurdischen Gebieten. Hamid Majid Mousa lebt seit 1991 in Arbil im Norden des Irak.

Aus: junge welt, 9. März 2002



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