Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Hinrichtungen im Video Stream

Wikileaks veröffentlicht Mordorgie von US-Soldaten im Irak

Vorbemerkung: Der im Folgenden in zwei Artikeln geschilderte Vorgang kann auch "live" im Video Stream angesehen werden. Der entsprechende Link zu YouTube ist unten vermerkt. Wir möchten allerdings darauf hinweisen, dass diese Einspielung nur etwas für starke Nerven ist. Gezeigt werden nämlich regelrechte Hinrichtungen - US-Soldaten feuern vom Kampfhubschrauber aus Maschinengewehr-Salven auf Zivilpersonen am Boden ab. Am Ende sind zwölf Menschen tot.

»Fackele sie alle ab!«

Video von Hubschrauber-Angriff der USA in Irak bei WikiLeaks zu sehen

Von Karin Leukefeld, Damaskus *

Fast drei Jahre nach einem tödlichen Angriff eines US-Kampfhubschraubers auf Zivilisten und zwei irakische Mitarbeiter der Nachrichtenagentur Reuters sorgt ein im Internet aufgetauchtes Video der Attacke für Aufsehen. Die in dem Webportal Wikileaks veröffentlichten, dramatischen Aufnahmen der Bordkamera zeigen, wie der Apache-Helikopter immer wieder auf Menschen am Boden feuert.

»Ich habe ein schwarzes Fahrzeug im Ziel, es … fährt südlich an der Moschee vorbei.« »Okay, wir haben ein Ziel … ein Mann mit einer Waffe.« »Und da sind noch andere, die dazu kommen, und einer von ihnen trägt eine Waffe.« »Roger«, Ziel fünfzehn erfasst.«

Der Dialog spielt sich zwischen den Besatzungen zweier Hubschrauber ab, die am 2. Juli 2007 über einer Straße in Bagdad kreisten. Auch die Stimmen von US-Bodentruppen sind zu hören, die sich auf der Straße befanden und angeblich von den »Kämpfern bedroht« wurden. Das Gespräch der US-Soldaten ist auf einem Video dokumentiert, das von der Kamera eines der beiden Hubschrauber aufgenommen wurde. Das 39 Minuten lange Video ist von hochwertiger Qualität und zeigt minutiös den Mord an zwölf irakischen Zivilisten. Unter den Opfern waren zwei Journalisten von Reuters, Namir Noor-Eldeen und Saeed Chmagh. Zu sehen ist das Massaker bei WikiLeaks, einer Webseite, die sich der Informationsfreiheit verschrieben hat.

Seit Jahren veröffentlicht WikiLeaks (Leak = Leck, undichte Stelle) Geheimdokumente von Regierungen, Organisationen oder Privatfirmen im Internet, um Skandale und/oder kriminelle Handlungen an die Öffentlichkeit zu bringen. Julian Assange, Gründer der Webseite erklärte dem arabischen Sensender Al Dschasira, die Namen der Überbringer des Videos werde man nicht nennen, er gehe aber davon aus, dass die Aufnahmen keine Fälschung seien. David Finkel, Reporter der »Washington Post«, habe sich an diesem Tag bei der Bodentruppen befunden und den Vorfall in seinem Buch »Die guten Soldaten« beschrieben, das 2009 erschien.

Außerdem habe Reuters eine Reihe von Zeugen interviewt, deren Aussagen aber nie ernst genommen worden seien. »Das Video beweist, dass diese Zeugen die Wahrheit gesagt haben.« Es zeige, »wie sehr militärische Piloten durch Krieg korrumpiert« würden, sage Assange weiter, »besonders durch die moderne Art des Luftkrieges. Die jungen Piloten verhalten sich wie bei einem Videospiel, wobei das hohe Ergebnis mit echten Menschenleben bezahlt wird.«

Die vollständige Mitschrift des Dialogs bestätigt das. Die Soldaten versichern sich gegenseitig, dass ihre Zielpersonen bewaffnet seien und der Angriff damit gerechtfertigt sei. Nach 2:43 Minuten gibt ein Verantwortlicher »Feuer frei«, ohne dass auch nur ein Schuss auf die Hubschrauber oder die Bodentruppen abgegeben worden wäre.

«Fackele sie alle ab!«, fügt er noch hinzu. »Komm schon, schieß!« »Weiterschießen, weiterschießen, weiterschießen«, hört man weiter, bis schließlich einer bemerkt: »Wir haben da einen Haufen Leichen liegen.« Einer der Piloten kommentiert: »Schau dir diese toten Bastarde an«, ein anderer erwidert: »Hübsch.«

Am Ende des Einsatzes sind nicht nur zwölf Menschen tot, auch ein Gebäude wird komplett mit drei Hellfire-Raketen zerstört (Mitschnitt: »Ich schieße. Da geht sie, schau Dir an, wie dieses Miststück fliegt! Krawumm! Ach wunderbar. Hübsche Rakete. Sieht sie gut aus? Süß!«). Zwei Kinder, die in dem Fahrzeug waren, mit dem Unbeteiligte versuchten, Verletzte zu retten, wurden bei dem Angriff ebenfalls verletzt. Kommentar eines der Schützen: »Es ist ihre Schuld, wenn sie Kinder mit in den Kampf bringen.«

Eine offizielle Stellungnahme des Pentagons gibt es bisher nicht, die Nachrichtenagenturen AP und Reuters zitierten namentlich nicht genannte US-Militärs, die bestätigten, dass es sich bei dem Video um ein echtes Dokument handele. Die beiden Hubschrauberbesatzungen waren nach dem Vorfall von jeder Schuld frei gesprochen worden, weil sie davon ausgegangen seien, von Bewaffneten angegriffen zu werden, hieß es im Pentagon.

Die späte Veröffentlichung dieses Kriegsverbrechens von US-Soldaten wird in der Region einhellig verurteilt.

* Aus: Neues Deutschland, 7. April 2010


Hier sind die Links zum Video Stream:



Gefilmter Massenmord

Von Rainer Rupp **

Die auf die Veröffentlichung geheimer Dokumente spezialisierte Internetseite WikiLeaks hat am Dienstag (6. April) in Washington ein offizielles Video des US-Militärs vorgestellt, das ein weiteres Kriegsverbrechen von US-Soldaten im Irak dokumentiert. Das vom Zielerfassungssystem eines US-Apache-Hubschraubers aufgenommene Video zeigt, wie eine Gruppe von etwa einem Dutzend am Straßenrand herumstehender Menschen, darunter die beiden Reuters-Journalisten Saeed Chamagh und Namir Noor-Eldeen, am 12.Juli 2007 vom Bordschützen des Kampfhubschraubers mit einer 30-mm-Automatikkanone ohne Vorwarnung regelrecht exekutiert wird. Diejenigen, die den ersten Feuerstoß schwer verwundet überleben und kriechend versuchen, sich in Sicherheit zu bringen, werden mit einer zweiten Salve zerfetzt. Dazu sind die zynischen Kommentare der Soldaten zu hören: »Schau dir diese toten Bastarde an.« – »Hübsch.«– »Guter Schuß.« – »Danke.«

Die Hubschraubermannschaft war auf einem Überwachungsflug gewesen, als sie die kleine, um die Journalisten versammelte Gruppe entdeckte. Dabei hielten sie offensichtlich deren Kameras mit großem Objektiv für Waffen und begannen zu feuern. Als Minuten später ein Lieferwagen vor den auf der Straße liegenden Leichen und Verwundeten stoppt und Leute Hilfe leisten wollen, eröffnen die Mordschützen erneut das Feuer. Acht Minuten später sind US-Bodentruppen vor Ort. Als sie den völlig zerstörten Kleinbus untersuchen, entdecken sie zwei verletzte Kinder. Ein Soldat will sie in das US-Militärkrankenhaus bringen lassen, doch seine Vorgesetzten lehnen ab: Sollen die Iraker die beiden doch in ein irakisches Krankenhaus bringen. »Daran sind sie (die Iraker) selbst schuld, wenn sie mit ihren Kindern in die Schlacht ziehen.«

Nach dem Vorfall gab das US-Militär eine Erklärung ab, bei den Toten habe es sich ausschließlich um »anti-irakische Kräfte« und »Aufständische« gehandelt. »Zweifelsohne hatten sich unsere Truppen mit feindlichen Kräften ein Gefecht geliefert«, äußerte US-Oberstleutnant Scott Bleichwell damals gegenüber der New York Times. Das US-Militär kam offiziell zu dem Schluß, daß die in den Vorfall verwickelten Soldaten korrekt gehandelt.

Die Agentur Reuters hatte die Offenlegung der Videoaufnahmen gefordert, was das Pentagon jedoch verweigerte. Daraufhin wurde WikiLeaks das Material zugespielt, das sich im Internet derzeit wie ein Lauffeuer verbreitet. Hier kann sich jeder selbst davon überzeugen, wie US-Soldaten im Irak die westlichen Werte »verteidigen«. Das gilt auch für Afghanistan, wo immer wieder ganze Großfamilien bei Hochzeiten oder Geburtstagsfeiern den schießwütigen »Helden« zum Opfer fallen. Wenn doch einmal etwas ruchbar wird, schrecken sie zur Vertuschung ihrer Verbrechen auch nicht vor Leichenschändung zurück, wie die New York Times am 5. April berichtete. Einer schwangeren Frau und anderen Opfern, die durch Schüsse getötet worden waren, haben US-Spezialtruppen in Afghanistan post mortem mit Messern die Kugeln herausoperiert, und anschließend behauptet, die Opfer seien einer Messerstecherei zum Opfer gefallen. Für Kenner der Materie stellen die im Video von WikiLeaks gezeigten Verbrechen nur die Spitze eines sehr großen Eisberges dar.

** Aus: junge Welt, 7. April 2010


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