Der moralische GAU der USA
Folter im Irak und die Folgen - Mit einem Statement von Arundhati Roy
Die ARD-Sendung MONITOR strahlte am 6. Mai 2004 einen Beitrag über die Folter-Praktiken der Besatzungsmacht in Irak aus. Titel: "Folter im Irak: Der moralische GAU der USA". Autoren des Berichts: Monika Wagener, Volker Happe, John Goetz, Frank Konopatzki, Jörg Armbruster.
Im Folgenden dokumentieren wir große Teile des Berichts einschließlich eines Interviews, das MONITOR mit der indischen Schriftstellerin Arundhati Roy führte.
Sonia Mikich: "Doch nun unser Schwerpunkt, und der erzählt von
Hässlichem. Folter im Irak: Das Ausmaß der Schande ist groß, ist
verheerend. Das Pentagon wusste seit Monaten von den Vorfällen und
tat alles, um die Sache zu verheimlichen. Es steckt System dahinter.
Sieger-Arroganz, Missachtung internationalen Rechts. Und die
mangelnde Kontrolle von Spezialeinheiten, die eigenen Gesetzen
folgen, wie aus unseren Recherchen hervorgeht.
Folter im Irak, ein Bericht von Monika Wagener, Volker Happe, John
Goetz und Jörg Armbruster über den moralischen GAU der USA."
"Bringt ihn nach Hause." In seinem kleinen Haus in New Burgh/West
Virginia kämpft Bill Lawson seinen eigenen Kampf: gegen die
US-Regierung und für seinen Neffen, einem der US-Militärpolizisten,
dem vorgeworfen wird, im gefürchteten irakischen Militärgefängnis
Abhu Ghraib irakische Männer und Frauen gedemütigt und gefoltert zu
haben.
Bill Lawson, Chips Onkel: "Er ist ein sehr mitfühlender Mensch, er
ist sehr entspannt, nimmt die Dinge eher leicht und regt sich nicht so
schnell auf. Er ist genau wie sein Vater. Man kann ihm höchstens die
Naivität vorwerfen, zu glauben, das US-Militär würde hinter ihm stehen.
Sie haben ihn ja zu den Taten gezwungen. Aber sie haben ihm keine
Chance gelassen. Es hieß: Entweder du tust das, oder du wirst
bestraft."
Und das ist der Mann, dessen Name seit einer Woche weltweit durch
alle Medien geht. Sergeant Chips Frederick, im zivilen Leben
Gefängniswärter in West-Virginia, bevor er dem Ruf seiner Regierung
folgte und als Reservist in den Irak ging. Gemeinsam mit sechs
anderen Soldaten soll er nun vor ein Militärgericht gestellt werden.
Der Vorwurf. Ausgerechnet hier im ehemaligen Foltergefängnis
Saddam Husseins Abu Ghraib sollen sie irakische Gefangene
misshandelt und auf schlimmste Weise gedemütigt haben.
Fast täglich kommen neue Bilder zum Vorschein, die das ganze
Ausmaß der Perversion zeigen, die die US-Soldaten an den Tag
legten. Sie zwangen die Gefangenen, sich nackt ausziehen, schlugen
sie, zwangen sie zu sexuellen Handlungen. Sie erniedrigten sie,
hielten sie wie Hunde und posierten mit ihnen für die Kamera.
Viele dieser Misshandlungen hielt Sergeant Frederick mit der Kamera
fest. Er ist ganz sicher einer der Täter.
Und das ist eines der Opfer. Der Iraker Haider Sabar Abed, der
erstmals einem westlichen Kamerateam über die Misshandlungen
berichtet. Der 36-Jährige war schon unter Saddam Hussein 6 Jahre in
Abu Ghraib gefangen. Dass ihn Amerikaner genauso behandeln
würden, hätte er nie geglaubt. Er ist der Mann, der hier im Bild steht.
Haider Sabar Abed: "Der Übersetzer sagte mir: Wenn du nicht
onanierst, werden sie dich töten. Ich versuchte zu onanieren. Über
meinen Kopf hatten sie einen Sack gestülpt. Als sie ihn wieder
abnahmen, sah ich sie lachend vor mir. Diesen Mann und dieses
Mädchen, diese Miss. Unter mir sitzend sah ich meinen Freund
Hussein Tuna (?). In diesem Moment wäre mir der Tod lieber gewesen.
So was ist bei uns unvorstellbar. Aber ich war gezwungen, es zu
machen, weil es sonst mein Leben gekostet hätte. Aber trotzdem war
mir in dem Augenblick der Tod lieber."
Und auch zu diesem Foto wurde Abed gezwungen. Aufgestapelt wie
Säcke haben die US-Soldaten ihn und die anderen Gefangenen
geschlagen, eine Lampe oder einen Besenstil steckten sie ihnen in
den After.
Haider Sabar Abed: "Wir mussten unsere Kleider ausziehen in der
Nacht und uns auf den nassen Boden hinlegen bis zum nächsten Tag.
Die Soldatin hatte eine Handlampe oder so was wie einen Stock in
unseren After gestoßen, uns geschlagen und englisch auf unsere
Körper geschrieben. Danach haben sie uns zum Stehen gebracht und
uns alle übereinander gestapelt, alle sieben. Sie haben uns
gezwungen, wie Hunde zu bellen. Er pfiff uns wie Hunden, wenn man
nicht wie ein Hund bellte, wie er gepfiffen hatte, wurde man in den
Hintern getreten."
Folter und Misshandlungen, die Sergeant Frederick und seine Leute
sich jedoch nicht nur alleine ausgedacht hatten. Das jedenfalls
behauptet sein Onkel, der einer seiner engsten Vertrauten ist.
Bill Lawson: "Theoretisch war er für das Gefängnis verantwortlich.
Seine Vorgesetzten haben ihn so eingesetzt. Aber in Wirklichkeit
waren es die Leute vom militärischen Geheimdienst, die für die CIA
und den CID arbeiteten, die im Gefängnis das Sagen hatten. Mit der
Zeit haben sie das Gefängnis immer weiter übernommen. Sie waren für
alle Verhöre und die ganze Brutalität zuständig. Die einzige
Anweisung, die mein Neffe von seinen Vorgesetzten erhalten hat, war:
Geh da runter und tu, was der militärische Geheimdienst sagt, und
dann wirst du auch entsprechende Ergebnisse erhalten."
Nur eine Verteidigung des geliebten Neffen? Immerhin kommt der
geheime Untersuchungsbericht der US-Armee zu einem ähnlichen
Ergebnis. Nach monatelangen Untersuchungen steht für die Ermittler
ebenfalls fest, dass
"... die Mitarbeiter des militärischen Geheimdienstes von
den Wärtern ausdrücklich verlangten, bei den Inhaftierten
die Voraussetzungen für ein erfolgreiches Verhör zu
schaffen."
Und so sollen die Geheimdienstmitarbeiter die Gefängniswärter laut
Bericht zu immer neuen Perversionen ermuntert haben:
"Kocht die Typen für uns weich."
"Sorgt dafür, dass sie eine schlechte Nacht haben."
"Sorgt dafür, dass sie die Behandlung bekommen."
Und nicht nur das. Frederick behauptet gegenüber seinem Onkel, dass
zumindest dieser tote Gefangene, dessen Bild um die Welt ging, im
direkten Gewahrsam der Geheimdienste gestorben ist.
Bill Lawson: "Also, dieser Gefangene kam rein und wurde sofort dem
militärischen Geheimdienst übergeben. Sie haben ihn in den Teil des
Gefängnisses gebracht, in dem sie ihre Gefangenen schlugen und
Verhöre durchführten, und dann haben sie ihn verhört, bis er eine
Herzattacke bekam und starb. Wenn Sie die Fotos von ihm, in Eis
gepackt, anschauen, dann sehen Sie, dass sein Gesicht entstellt ist.
Ich vermute, das hat er sich nicht selbst getan. Sie haben dann bis
zum nächsten Tag gewartet, einen Krankenwagen ins Gefängnis
bestellt, ihn aus dem Eis geholt, eine Kanüle als Attrappe in seinen
Arm gelegt und ihn als einen verwundeten Iraker rausgefahren. Er war
aber tot."
Und hier ist der Sitz des Militärgeheimdienstes, der für die Verhöre in
Abu Ghraib verantwortlich war. Auf dem US-Flugplatz im hessischen
Wiesbaden-Erbenheim sind die rund 850 Soldaten und Zivilangestellten
des Dienstes stationiert. Die meisten von ihnen sind inzwischen wieder
aus dem Irak zurück.
Es ist die 205. Brigade des Militärischen Geheimdienstes. Auf ihrer
Homepage zeigen die Soldaten stolz Erinnerungsfotos aus ihrem
Irak-Einsatz. Ob einzelne bei Verhören an Misshandlungen beteiligt
waren, dazu will man sich hier mit Hinweis auf die laufenden
Ermittlungen nicht äußern. Auch nicht Colonel Thomas Pappas, der
Chef der Brigade und Leiter des Verhörzentrums in Abu Ghraib.
Erklärungsversuche eines ehemaligen Geheimdienstmitarbeiters:
Ray McGovern, ehem. CIA-Mitarbeiter: "Es lastete ein erheblicher Druck auf den Geheimdienstmitarbeitern, schließlich hatte der Präsident gesagt, dass es keinen Zweifel an der Existenz von Massenvernichtungswaffen im Irak gebe. Aber wo waren sie? Sie konnten nirgendwo gefunden werden. Also war die erste Frage, die jedem Gefangenen gestellt wurde, selbst 19-jährigen Jungen, die nach Abu Ghraib gebracht wurden: Wo sind die Massenvernichtungswaffen, wo sind sie? Sie und ich wissen, es gibt keine Massenvernichtungswaffen, aber die Vernehmungsbeamten wussten das nicht, und wenn sie jemanden gefunden hätten, der es gewusst hätte, wären sie mit einem goldenen Stern befördert worden. Das war eine äußerst zynische Sache, und eine logische Folge dieses unglaublichen Drucks war, etwas zu finden, von dem wir heute alle wissen, dass es nicht existiert."
Bill Lawson: "Der militärische Geheimdienst war an den Morden
beteiligt. Das ist es, was sie hier verdecken wollen. Sie versuchen, die
Sache diesen sechs Soldaten in die Schuhe zu schieben. Damit
wollen sie die Tatsache verdecken, dass die US-Regierung seit fast
einem Jahr Kriegsverbrechen verübt. Im Irak, an der irakischen
Bevölkerung, und das waren meistens einfache Menschen, die sie auf
der Straße aufgelesen haben."
Übergriffe durch US-Militär, im Irak leider kein Einzelfall. Schon seit
Monaten kommen immer wieder Misshandlungen und Demütigungen
von Gefangenen ans Tageslicht. Letztes Jahr diese Aufnahmen.
US-Militärs beschmieren verhaftete Iraker mit Parolen und treiben sie
nackt durch den Ort.
Einen Monat später wurden erstmals Vorwürfe laut, dass während
Iraker vor dem britisch-amerikanischen Gefangenenlager Camp Bucca
auf ihre Angehörigen warteten, diese im Innern des Lagers gefoltert
und gedemütigt wurden. Gegen vier US-Soldaten wird ermittelt.
Und auch bei Kampfhandlungen halten sich die US-Militärs nicht
unbedingt an die Genfer Konvention, wie heimliche Mitschnitte aus
einem Armeehubschrauber zeigen, die vor einigen Monaten öffentlich
bekannt wurden. Getötet wurde da auch schon mal ein Verwundeter.
Ray McGovern, ehem. CIA-Mitarbeiter: "Es ist völlig klar, dass die
Schuld bei dem Amerikanischen Präsidenten liegt. Er ist dafür
verantwortlich, dass die Truppen da drüben sind. Er ist verantwortlich
für einen Krieg, der unter Vortäuschung falscher Tatsachen begonnen
wurde. Der Hass, die Rache, die besondere Art der Rache, zu der er
die Soldaten angestachelt hat, sie ist verantwortlich für die
Brutalisierung der Soldaten und für die Gnadenlosigkeit und die
unmenschliche Behandlung der Iraker. Sie werden verantwortlich
gemacht für den Tod der 3.000 Menschen im World Trade Center. Und
es ist völlig egal, dass es überhaupt keinen Beweis für einen
Zusammenhang gibt zwischen Irak und dem 11. September."
Begründungen, die auch seit Jahren für den kubanischen
US-Stützpunkt Guantanamo Bay gelten, wo Häftlinge über Schläge,
Misshandlungen und Scheinhinrichtungen berichten. Ähnliches
ereignete sich auch im afghanischen Baghram-Gefängnis, wo
mindestens zwei Gefangene im US-Gewahrsam zu Tode gekommen
sind. Inzwischen gibt es auch Ermittlungen wegen ihres Todes. Für
US-Präsident George Bush sind das bedauerliche Einzelfälle - ebenso
wie jetzt die Vorfälle im Irak.
George Bush, 5.2.2004 in Al-Hurra: "Es ist für Amerikaner
unangenehm zu sehen, dass einige Bürger, einige Soldaten, so
gehandelt haben. Aber ich sagen Ihnen noch einmal: So sind wir nicht.
Das ist nicht Amerika. Amerika ist ein Land der Gerechtigkeit, der
Gesetzestreue und der Freiheit, das Menschen mit Respekt
behandelt."
Doch was die Iraker, die dieser Tage vor dem Abu Ghraib Gefängnis
demonstrierten, besonders erzürnt: Bis heute hat Bush für die Vielzahl
der Vorfälle keine politischen Konsequenzen angekündigt. Im
Gegenteil. Heute stärkte der Präsident noch einmal seinem
Verteidigungsminister den Rücken. Er leiste eine großartige Arbeit.
Arundhati Roy
Interview mit der indischen Bestseller-Autorin und
Globalisierungsgegnerin Arundhati Roy
zu den Foltervorwürfen im Irak
Sonia Mikich: "George W. Bush, sein Verteidigungsminister, die
US-Army sollen nie wieder von Demokratie und Freiheit sprechen,
wenn sie den Krieg im Irak begründen. Westliche Werte sind
zerbrochen worden, so wie die Menschen in den Folterzellen. Wie das
auch außerhalb der arabischen Welt ankommt, erklärt die indische
Bestseller-Autorin und berühmte Globalisierungskritikerin Arundhati
Roy, so etwas wie die Stimme der Dritten Welt. Armin Paul Hampel
hat sie für MONITOR befragt."
Arundhati Roy:
"Im Fernsehen habe ich Iraker gesehen, wie sie diese
Folterbilder betrachteten. Es war so gespenstisch, denn die Menschen
zeigten absolut keine Regung, da war einfach nur eine große Stille als
Reaktion auf diese äußerste Erniedrigung. Man erstarrte beim
Zuschauen.
Die Amerikaner müssen jetzt so schnell wie möglich den Irak
verlassen, sie müssen gehen. Und zwar ganz. Kein Alibirückzug,
keine Nebelkerzen, nicht etwa, dass indische oder andere Truppen
ihren Dreck wegräumen müssen, während sie weiterhin die wichtigsten
Rohstoffe des Irak kontrollieren und so das Land an sich reißen. Denn
sonst würden sie den Irak weiterhin kontrollieren wie mit einer
Fernbedienung, während andere die Drecksarbeit machen.
Die Forderung kann nur heißen: vollständiger Rückzug. Die Iraker
müssen selbst über ihr Land bestimmen und eine Demokratie
entwickeln. Die kann nicht befohlen, oder einfach so zubereitet werden
wie eine Fertigsuppe. Pulver in kochendes Wasser und fertig. Das
alles braucht Zeit, und der Prozess muss jetzt unverzüglich beginnen.
Die gegenwärtigen Ereignisse sind schrecklich. Aber es gibt jetzt
wenigstens eine schreckliche Klarheit, die Fakten liegen auf dem
Tisch. Es ist Zeit, klar Positionen zu beziehen. Sie können nicht
länger hin- und herlavieren. Sie müssen wählen, der eine Weg führt in
den Abgrund, der andere zu einem wenigstens etwas angenehmeren
Zustand. Nicht gerade ins Paradies, aber dahin, wo es eine Zukunft
gibt."
Quelle: MONITOR, 6. Mai 2004 (ARD)
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