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Die den Krieg schön reden: "Unabhängige Militärexperten" im Dienst des Weißen Hauses

Freundliche Berichte nach Freiflügen im Jet des Vizepräsidenten nach Guantánamo - New York Times enthüllt riesigen Medienskandal

Wikipedia beschreibt den "Embedded Journalist" als einen zivilen Kriegsberichterstatter, der im Krieg einer kämpfenden Militäreinheit zugewiesen wurde. Geprägt wurde der Begriff zu Beginn des Irakkrieges im Jahre 2003. Die United States Army begegnete mit der Praxis des "eingebetteten Journalismus" dem Druck amerikanischer Massenmedien, denen der Zugang zum kriegsgeschehen während des 2. Golfkrieges 1991 und des Krieges in Afghanistan 2001 nicht ausgereicht hatte. Auch aus Sicht der Kriegskoalition war das Einbinden der Journalisten sinnvoll, da auf diese Weise die Berichterstattung leichter kontrolliert werden konnte.
In den folgenden Beiträgen, die wir der Zeitung "junge Welt" entnahmen, werden noch andere Mittel und Methoden beschrieben, deren sich die US-Administration bedient hat, um eine für sie günstige Berichterstattung in den Printmedien und im Fernsehen zu erhalten.



Trojaner des Pentagon

Vor fünf Jahren verkündete der US-Präsident den Sieg im Irak-Krieg. Militärexperten in den Medien widersprachen nicht. Jetzt flog die Manipulation der Bush-Regierung auf

Von Rainer Rupp *

Vor fünf Jahren hat George W. Bush den Krieg im Irak gewonnen. Mit einem triumphalen Auftritt im Licht der untergehenden Sonne auf dem Flugzeugträger »USS Abraham Lincoln« verkündete der US-Präsident 41 Tage nach dem Einmarsch im Zweistromland den Sieg und das Ende der Hauptkampfhandlungen. Niemand in den großen Medien mochte dem Oberkommandierende aller US-Truppen am 1. Mai 2003 widersprechen. Allein, der Krieg dauert bis heute an.

Medienskandal

Die New York Times enthüllte am 19. April den wohl größten Medienskandal der vergangenen Jahre. Auf der Basis von über 8000 internen E-mails des Pentagon, deren Herausgabe die Zeitung vor Gericht erstritten hatte, konnte nachgewiesen werden, wie die US-Regierung pensionierte Generäle und Obristen, die bei den führenden TV-Sendern als »unabhängige Militärexperten« die Entwicklung im Irak kommentierten und analysierten, beeinflußt hatte. Sie waren vom US-Verteidigungsministerium als »trojanische Medienpferde« benutzt worden, »um die positive Berichterstattung über Bushs Krieg gegen den Terror aus dem Inneren der großen Fernseh- und Radiosender zu gestalten«. Im Jargon des Pentagon wurden diese »Experten« zu »message force multiplieres«, also Multiplikatoren der Botschaften der US-Streitkräfte, oder zu »Surrogaten«, auf die Verlaß war, »daß sie die Themen und Botschaften« der Bush-Administration an Millionen US-Bürger übermitteln, »so als wäre es ihre eigene Meinung«. Die Zitate stammen aus den Pentagon-E-Mails.

Da die meisten »unabhängigen« Experten bereits als Lobbyisten verschiedenen US-Rüstungskonzernen dienten, war es für die Pentagon-Desinformationsabteilung leicht, sie gefügig zu machen. So erhielten sie sogenannte Hintergrundinformationen und Einsicht in – ausgewählte – Geheimberichte. Zugleich bot man ihnen Zugang zu den Topleuten im Pentagon und im Weißen Haus, wodurch sie für ihre Konzernauftraggeber in geradezu idealer Weise ihre Lobbyarbeit leisten konnten. Experten, die sich in ihren Radio- oder TV-Sendungen gegenüber dem Krieg im Irak kritisch zeigten, entzog das Pentagon den Zugang zu Informationen und zu den Entscheidungsträgern in den Rüstungsabteilungen. Letztlich hatte Bushs Truppe mit ihren »unabhängigen« Experten systematisch die Berichterstattung aller großen Medien unterwandert. Die Chefredaktionen wollen von den Aktivitäten ihrer Militäranalysten als Rüstungslobbyisten und ihren wirtschaftlichen Abhängigkeiten vom Pentagon nichts gewußt haben.

Systematisch aufgebaut

Wie aus den Pentagon - E-Mails hervorgeht, lief bereits Anfang 2002 die detaillierte Planung für den Angriffskrieg gegen den Irak auf Hochtouren. Doch es gab ein Hindernis. Umfragen zeigten seinerzeit, daß die amerikanische Öffentlichkeit – noch – nicht bereit war, ein Land anzugreifen, das mit den Terroranschlägen vom 11. September 2001 nichts zu tun hatte. In dieser Situation entschied die neue Staatssekretärin für Öffentliche Angelegenheiten im Pentagon, Torie Clarke, daß in der von Verdrehungen und Verfälschungen saturierten Nachrichtenwelt die Meinung des durchschnittlichen amerikanischen Bürgers am besten von anerkannten und als unabhängig wahrgenommenen Experten in eine bestimmte Richtung gelenkt werden kann. Laut New York Times fiel 2002 die »strategische Entscheidung«, aus ehemaligen »Kriegshelden« und aktiven Rüstungslobbyisten eine Gruppe »unabhängiger« Militärexperten für die Mainstreammedien aufzubauen. Auf sie konzentrierte sich die Bemühungen des Pentagon, für die Notwendigkeit des Irak-Kriegs zu werben.

Der neue Medienskandal dürfte das ohnehin stark ramponierte Vertrauen der US-Amerikaner in die Unabhängigkeit und Objektivität ihrer großen Medien noch weiter erschüttern. Laut einer repräsentativen Umfrage der US-Firma Harris Interactive Mitte März 2008 glauben bereits über die Hälfte der Amerikaner (54 Prozent) nicht mehr den Nachrichten in den Mainstreammedien. Für 41 Prozent der Befragten sind die Informationswebseiten im Internet weitaus vertrauenswürdiger als die Printmedien, auf die sich nur noch 30 Prozent der Amerikaner verlassen.

Die Umfrage deckt sich mit den Ergebnissen einer Untersuchung der Harvard University vom letzten Jahr, wonach fast zwei Drittel der US-Amerikaner den großen Kampagnen der Nachrichtensender nicht mehr vertrauen. Grund für diese Entwicklung ist laut Harvard-Studie die selektive Berichterstattung über den Irak-Krieg.

* Aus: junge Welt, 30. April 2008


Freiflüge nach Guantánamo

TV-Kommentatoren durften im Jet des Vizepräsidenten zum US-Folterlager fliegen – zurück kamen sie mit freundliche Berichten

Von Rainer Rupp *

Das US-Verteidigungsministerium hat massiven Einfluß auf die Berichterstattung über die sogenannten Antiterrorkriege genommen. Die New York Times hat diesbezüglich ihre umfassende Untersuchung am 19. April veröffentlicht. Wie die Manipulation funktionierte, wird unter anderem am Beispiel des US-Foltergefängnisses in Guantánamo deutlich. Nachdem erneut heftige Kritik an dem Internierungslager im US-Stützpunkt auf Kuba aufgekommen war, setzte das Pentagon am 24. Juni 2005 eine Gruppe von pensionierten hochrangigen US-Offizieren, die in den großen US-Fernseh- und Radiosendern regelmäßig als sogenannte unabhängige Militärexperten auftreten, in das normalerweise für Vizepräsident Richard Cheney reservierte Düsenflugzeug. Die Gruppe erlebte einen »sorgfältig orchestrierten Besuch«, so die New York Times, in Guantánamo.

Die Teilnehmer waren zu diesem Zeitpunkt der US-Öffentlichkeit durch Tausende Auftritte in Fernseh- und Radioshows bekannt und wegen der angeblichen Unabhängigkeit und Objektivität ihrer Meinungsäußerungen über die militärpolitischen Entwicklungen in der Welt seit dem 11. September sehr beliebt. Doch hinter diesem Anschein versteckte sich der Propagandaapparat des Pentagon. Denn die »unabhängigen« Experten waren alles andere als »objektiv«, denn sie arbeiteten zugleich Lobbyisten für mindestens 150 Rüstungskonzerne, die von den Kriegen der Bush-Regierung stark profitierten.

Dem Guantánamo-Ausflug der Experten im Juni 2005 folgten sechs weitere. Die Aufenthalte brachten das gewünschte Ergebnis: Das inzwischen international berüchtigte Symbol für unmenschliche Behandlung wurde als harmloses und vorbildlich geführtes Gefangenenlager der US-Armee dargestellt. Sofort nach dem ersten Guantánamo-Besuch lobten die zehn »Unabhängigen« in ihren Fernseh- und Radiosendungen, wie sehr sich das Pentagon bemühe, das Lager zu mo­dernisieren. Über 100 Millionen Dollar seien dafür ausgegeben worden. Klage führten die »Experten« auch: Die US-Wachsoldaten würden sehr unter den Beleidigungen durch die Gefangenen leiden. Diese wiederum würden von der großzügige Auslegung der Gesetze profitieren. Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International liege daher falsch, und die internationalen Proteste seien durch nichts gerechtfertigt, denn alle Gefangenen würden human behandelt. Davon hätten sie sich als Fachleute vor Ort überzeugen können.

Doch es kommt noch besser: Die in den Besitz der New York Times gelangten Pentagon-E-Mails enthüllen, wie die »unabhängigen« Militärexperten sogar Ratschläge gaben, wie geplante Stories am besten zu präsentieren seien. Außerdem schickten sie dem Verteidigungsministerium in Washington ihre Korrespondenz mit den Redaktionen der Nachrichtensender und boten sich in anderer Weise an zu helfen. Der US-Armeeoberst a.D. John C. Garrett, der bei Fox News arbeitet, schrieb z.B. im Januar 2007 ans Pentagon: »Laßt mich bitte wissen, wenn ihr irgendwelche besonderen Punkte habt, die ihr erwähnt haben möchtet oder die heruntergespielt werden sollen.«

Das US-Verteidigungsministerium verteidigt die »Beziehungen« zu den Militäranalytikern im TV. »Alleiniger Sinn und Zweck« dieser Zusammenarbeit sei »der ernsthafte Versuch, das amerikanische Volk zu informieren«, erklärte Pentagon-Sprecher Bryan Whitman nach der New York Times-Enthüllung. Die Behauptung, pensionierte Offiziere könnten »aufgezogen werden, um als Puppen für das Pentagon« zu tanzen, sei »ein bißchen unglaubwürdig«.

* Aus: junge Welt, 30. April 2008


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