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Wahrheiten aus dem Brutkasten

Bushs Propaganda-Krieg gegen den Irak hat längst begonnen

Im Folgenden dokumentieren wir einen Beitrag von Barbara Jentzsch aus dem "Freitag", in dem sie sich mit Aspekten der psychologischen Kriegsvorbereitung vor dem Golfkrig 1990/91 befasst und am Ende die Frage stellt, ob so etwas beim drohenden Krieg gegen Irak wieder passieren kann.

Von Barbara Jentzsch

Wer einen ehemaligen CIA-Chef zum Vater hat und zudem selbst als Präsident im Weißen Haus sitzt, sollte über vorzügliche Geheimdiensterkenntnisse verfügen. So versichert denn auch George W. Bush, er werde gegen den Irak nicht voreilig losschlagen, sondern sich bei der Entscheidung über den günstigsten Zeitpunkt auf bestes Geheimdienstmaterial ("the best intelligence") stützen. Das soll beruhigend klingen, doch wenn Präsidenten Krieg und Geheimdienst im gleichen Satz erwähnen, stellt sich - provoziert durch Erinnerungen - in Expertenkreisen oft Unbehagen ein. Zu oft sind falsche Dossiers oder regelrechte Desinformationen dazu benutzt worden, Kriege zu legitimieren.

Lee Hamilton, einst Vorsitzender des außenpolitischen Ausschusses der Demokraten und von 1965 bis 1999 im US-Kongress, macht aus seiner Skepsis gegenüber Bushs "best intelligence" kein Hehl: Er fürchte bei diesen Gelegenheiten immer, dass die Politik das Geheimdienstmaterial beeinflusse und nicht umgekehrt. Das Bush-Team wisse, dass es bisher mit der auf den Irak gemünzten Bedrohungsthese nicht sonderlich überzeugt habe, deshalb müsse alles nur Mögliche als Beweis herhalten.

Ebenso kritisch ist David MacMichael, ein CIA-Analyst der Ära Reagan, der wegen des Iran-Contra-Skandals den Geheimdienst unter Protest verließ. MacMichael wundert sich, warum Bush dem Kongress im Falle des Irak noch immer keine offizielle geheimdienstliche Bewertung vorgelegt hat, den National Intelligence Estimate-Report. Die Verspätung sei ungewöhnlich. "In der Regel wird vor einer wichtigen politischen Entscheidung eine geheimdienstliche Lageanalyse vorgelegt. In diesem Fall allerdings wurden Entschlüsse bereits gefasst, als ein definitives Urteil noch ausstand. Ich wäre sehr überrascht, wenn der avisierte Bericht der Geheimdienste den Kurs der Regierung nicht voll und ganz unterstützt."

John MacArhur, Herausgeber von Harpers Magazine und Autor des Buches Die Zweite Front: Zensur und Propaganda im Golf-Krieg warnt die Öffentlichkeit vor neuen Propaganda-Lügen. "Es fällt auf, dass viele Mitarbeiter der jetzigen Administration schon unter Bush sen. Dienst taten. Denkt man dann noch an die Propaganda, die von ihnen während des Golfkrieges 1990/91 verbreitet wurde, ist damit zu rechnen, dass sie jetzt wieder alles Mögliche erfinden, wenn es ihren Plänen nützt."

Für ein verlässliches historisches Gedächtnis ist der Christian Science Monitor bekannt. Unter der Überschrift "Im Krieg sind manche Fakten weniger faktisch" rekonstruierte das Blatt kürzlich den von Präsident Lyndon B. Johnson 1964 inszenierten Zwischenfall im Golf von Tonking, der den Vietnamkrieg "auslöste", oder die von Ronald Reagan und CIA-Chef Casey ausgehende effektive Irreführungen in Sachen Iran-Contra. Mit Blick auf den Irak wurde auch an die bizarre Geschichte der kuwaitischen Babies erinnert, die 1990 angeblich von irakischen Soldaten aus ihren Brutkästen geworfen wurden. Diese Geschichte ist in Amerika unvergessen. Zu groß war der Skandal, als sich die weinende junge Augenzeugin, die vor dem Kongressausschuss auftrat, später als kuwaitisches Botschaftertöchterlein offenbarte und die ganze Story als dreiste Propagandalüge entlarvte - aufgekocht im Auftrag der Regierung Bush sen. von der einflussreichsten Washingtoner PR-Firma Hill & Knowlton. Von ähnlichem Kaliber ist auch eine Geschichte, die zu Zeiten von Vater Bush in Floridas St. Petersburg Times erschien. Da ging es um Saddam Husseins Einmarsch vom August 1990 in Kuwait. Als Bush sen. US-Truppen an den Persischen Golf schickte, begründete er das nicht nur mit der Invasion gegen Kuwait, sondern auch mit der drohenden Gefahr eines irakischen Eingreifens in Saudi-Arabien. Sprecher des Pentagon beriefen sich auf Top-Secret-Satellitenbilder, denen zufolge an die 250.000 Iraker und 1.500 Panzer an der Grenze zu Saudi-Arabien standen und Amerikas wichtigsten Öllieferanten bedrohten.

Von der St. Petersburg Times erworbene sowjetische Satellitenfotos, die zur gleichen Zeit aufgenommen wurden, zeigten jedoch keine Spur von Saddams Armee - die Wüste war leer. Damals sei Cheney Verteidigungsminister gewesen, sagt Jean Heller, die Autorin der Geschichte in der St. Petersburg Times, dreimal habe die Redaktion im Pentagon angerufen, um die amerikanischen Fotos zu sehen - jedes Mal sei sie abgewiesen worden. "Wir haben das Pentagon gebeten, uns Beweise dafür zu geben, dass die sowjetischen Fotos zu schlecht seien, um die Truppen abbilden zu können, und dafür, dass unsere Regierung Recht habe. Dreimal wurden wir abgewiesen. Die Antwort war immer die gleiche: Wir werden euch und euren Experten die Bilder nicht zeigen. Ihr müsst uns schon glauben, was wir sagen."

Können vergleichbare Manipulationen heute, das heißt morgen oder demnächst wieder passieren? David MacMichael hat keinen Zweifel. Er kennt das Muster, nachdem in akuten Krisenzeiten verfahren wird. "Man wird uns Saddam Hussein als einen Mann präsentieren, der napoleonische Ambitionen mit Hitlerscher Moral verbindet und deshalb auf dieser Erde nichts zu suchen hat. Den Feind zu dämonisieren, hat eine lange Tradition und folgt immer dem bewährten Muster. Damals in Chile hat man es mit Allende getan, vor 13 Jahren in Panama mit Manuel Norriega, zuvor mit Gaddhafi in Libyen, zwischendurch immer wieder mit Fidel Castro. Wenn man verdeckte Operationen ausführt, bestehen 75 Prozent des Jobs aus Desinformation. Und in Kriegszeiten stirbt bekanntlich die Wahrheit zuerst. Als zynischer Fachmann in all diesen Angelegenheiten empfehle ich der Öffentlichkeit, den Rechtfertigungen derjenigen, die Krieg führen wollen, nicht zu glauben."

Aus: Freitag 41, 4. Oktober 2002


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