Zunehmende Machtkämpfe in Bagdad
Auch Razzia im Innenministerium im Zeichen der bevorstehenden Wahlen in Irak
Von Karin Leukefeld *
Die Irakische Konsensfront, die größere von zwei sunnitischen Fraktionen im Bagdader Parlament,
ist nach dem Rücktritt des aus ihren Reihen stammenden Parlamentspräsidenten Mahmud al-
Maschhadani zerfallen. Der Nationale Dialograt, dem Al-Maschhadani angehört, kündigte am
Mittwoch auf einer Pressekonferenz seinen Austritt aus dem Bündnis an. Aber auch die
Regierungsallianz in Bagdad zeigt sich zunehmend brüchig.
Die Konsensfront in Bagdad besteht nur noch aus der Irakischen Islam-Partei (IIP) des
Vizepräsidenten Tarik al-Haschemi und mehreren kleineren Parteien. Vor der Spaltung verfügte sie
über 44 Sitze im 275 Mandate zählenden Parlament. Wie viele ihr bleiben, ist zunächst noch unklar.
Auch ein Nachfolger für Al-Maschhadani als Parlamentspräsident wurde bisher nicht benannt. Der
sunnitische Politiker hatte den Journalisten verteidigt, der USA-Präsident Bush mit seinen Schuhen
beworfen hatte, und die irakische Volksvertretung als »miesestes Parlament der Welt« beschimpft.
Die regierenden schiitischen und kurdischen Parteien verlangten daraufhin seine Ablösung.
Aber nicht nur das sorgt für Unruhe in Bagdad. In einer spektakulären Aktion wurden dieser Tage bis
zu 42 Mitarbeiter des Innenministeriums verhaftet, darunter angeblich auch Offiziere der Polizei.
Umstände und Hintergründe der Verhaftungswelle, die in den Medien zunächst als »Maßnahme
gegen einen Umsturzversuch der Regierung« bezeichnet worden war, sind so vage wie die Zahl der
Festgenommenen und die Vorwürfe, die gegen sie erhoben wurden. Nach Befragung durch die
Justiz seien inzwischen alle wieder auf freiem Fuß, wie Generalmajor Abdul-Kerim Khalaf, der
Sprecher des Innenministeriums, bestätigte.
Angeblich sollen die Festgenommenen einer Organisation namens »Al Awad« angehört haben, die
nach der USA-Invasion 2003 gegründet wurde, um die von den neuen Machthabern Iraks verbotene
Baath-Partei wieder aufzubauen. Die Gruppe ist außerhalb Iraks aktiv.
Die Verhafteten haben zu Zeiten von Saddam Hussein tatsächlich aktiv beim Militär und bei der
Polizei gedient, was sie für die neue politische Elite per se verdächtig machen dürfte. Doch hätten
sie keinen Coup geplant, so die Ermittler. Vielmehr wollten sie das Innenministerium in Brand
setzen, um Dokumente zu vernichten, die über ihre Saddam-nahe Vergangenheit Aufschluss geben
könnten, verlautete aus dem Ministerium. Zudem hätten sie »terroristische Aktivitäten unterstützt«.
Aufgrund der schwierigen Informationslage in Bagdad gibt es viele Gerüchte über die Razzia. Abbas
al-Bayati, ein Abgeordneter des Hohen Islamischen Rates in Irak (SIIC), sagte, er halte die Vorwürfe
eines Umsturzversuches für »übertrieben«. Auch der Leiter des parlamentarischen
Sicherheitskomitees, Hadi al-Amiri, äußerte sich skeptisch. Seine Begründung: »Putsche werden
normalerweise vom Militär und nicht von der Polizei durchgeführt.«
Mahmud Othman, ein unabhängiger kurdischer Abgeordneter, vermutete, dass die Razzia
möglicherweise mit den bevorstehenden Regional- und Kommunalwahlen zu tun habe. Das dürfte
der Wahrheit sehr nahe kommen, zumal Innenminister Jawad Bolani inzwischen die betreffenden
Personen sogar als »Patrioten« bezeichnete und alle Vorwürfe als haltlos zurückwies. Das Ganze
sei passiert, »weil das Ministerium den Einfluss gewisser politischer Parteien im Innenministerium
eingeschränkt« habe, so Bolani, der dem SIIC angehört.
Die Bündnispartner im letzten Wahlkampf, die Dawa-Partei von Ministerpräsident Nuri al-Maliki, der
Hohe Islamische Rat von Abdulaziz al-Hakim und die kurdischen Parteien, geben sich nur wenige
Wochen vor den Wahlen am 31. Januar 2009 keine Mühe mehr, ihre Konkurrenzen und
Feindseligkeiten zu verbergen. Maliki habe die Festnahme der Männer angeordnet, die von einer
ausschließlich ihm unterstehenden Sondereinheit durchgeführt worden sein soll, mutmaßt die
arabische Tageszeitung »Asharq Al-Awsat«. Die Operation habe seine politischen Gegner, den
SIIC, in Misskredit bringen sollen und könnte tatsächlich eine Retourkutsche dafür sein, dass der
Einfluss der Dawa-Partei im Innenministerium eingeschränkt wurde.
Die irakischen Parteien betrachten die ihnen im Zuge der Regierungsbildung 2005 zugeteilten
Ministerien als Eigentum, so der Ökonom Khair el-din Haseeb vom Beiruter »Zentrum für Studien
der Arabischen Einheit« gegenüber ND. Gleichwohl könnte die Aktion auch die Angst der irakischen
Regierung vor der neu organisierten Baath-Opposition zeigen. Diese als »Anhänger des alten
Regimes« zu bezeichnen, greife zu kurz, meint Haseeb. Wohl aber seien sie erklärte
Besatzungsgegner, die auch die amtierende Regierung als unrechtmäßig ansähen. Diese
Bewegung sei insofern »gefährlich«, als sie in Irak auf weit mehr Unterstützung zählen könne als
terroristische Gruppen à la Al Qaida.
* Aus: Neues Deutschland, 27. Dezember 2008
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