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Irak: Krieg um die Ölrente des Nahen Ostens

Eine Analyse von Dieter Lohaus

Die USA werden in den nächsten Monaten den Irak bombardieren, Menschen töten, das Land verwüsten, in Bagdad einmarschieren und die Ölfelder besetzen. Waren die beiden letzten Jahre der ideologischen Vorbereitung und der Präparierung der westlichen Massenpsyche gewidmet (Hollywood steuerte von Three Kings über Private Ryan bis zu Der Anschlag, aus Washington angeleitet, eifrig dazu bei), so sind jetzt die konkreten militärisch-logistischen Vorbereitungen angelaufen. Die amerikanischen Ölreserven sind bis zum Anschlag aufgefüllt. Die Briten absolvieren gerade die letzten vorbereitenden Manöver. Frankreichs Außenministerin sagt: Unser Militär (inklusive Flugzeugträger) ist jederzeit einsatzbereit (vorausgesetzt, wir machen mit!). Sogar die Bundeswehr ist bereits mit Spürpanzern in Kuwait sowie mit Marine am Horn von Afrika im Bereich des Geschehens - daran ändern auch die pazifistischen Bekundungen des Bundeskanzlers während des Wahlkampfes nichts.

Die US-Rüstungskonzerne Raytheon und Boeing erhielten in letzter Zeit neue Aufträge für Bomben (Joint Direct Attack Munition) für über eine Milliarde US-$. Boeing baut für diesen Munitionstyp gerade in St. Louis, Missouri, eine neue Fabrikationslinie, wodurch die Kapazität von derzeit gut 1 500 pro Monat auf 2 000 am Ende diesen Jahres und auf 2 800 Bomben im August 2003 erhöht wird. Das Pentagon, das bei Einführung der neuen zielgenauen Bomben im Jahre 1999 geplant hatte, davon 87 500 zu bestellen, hat den Auftrag inzwischen fast verdreifacht, auf nunmehr 238 000 Stück. Darüber hinaus bestätigte das Pentagon vor kurzem einen 200 Mio. US-$-Auftrag für lasergeleitete Bomben, sowie einen Auftrag über weitere 400 Tomahawk Cruise Missiles im Wert von mehr als 250 Mio. US-$. (Mark Odell, Boeing builds ´smart bomb´ plant as US demand rises, in Financial Times (FT), 9. September 2002) Ökonomisch ist das angesichts des etwa 400-Milliarden US-$ ausmachenden Etats des US-Rüstungshaushalts nicht so sehr bedeutungsvoll, es ist aber kriegerisches Verbrauchsmaterial für die heißen Kriegsphasen. Am Montag, den 16. September erklärte der amerikanische Verteidigungsminister Rumsfeld - unbeeindruckt von der zeitnahen Mitteilung des UN-Generalsekretärs, dass der Irak sich bereit erklärt, die UN-Waffeninspektoren wieder in das Land zu lassen -, dass US-Piloten bereits begonnen hätten, Befehls- und Kommunikationseinrichtungen der irakischen Luftverteidigung anzugreifen, und nicht nur (wie bisher) Flugabwehr-Waffen und Radar. (Brian Knowlton, US-jets targeting Iraqi air control, Rumsfeld announces change in tactics; Saudis hint they will allow use of bases, International Herald Tribune (IHT), 17. September 2002)

Bush verspricht Kanonen und Butter

Die Teile der amerikanischen Wirtschaft, die nicht vom Krieg profitieren werden, werden von Washington beruhigt: "Der Präsident hat ein klares Signal an die Öffentlichkeit gesandt, dass beides zu haben ist, sowohl Krieg als auch Business as usual." (Countdown to a collision, Leitartikel der New York Times (NYT) vom 9. September 2002) Und Jackie Calmes überschreibt ihren wöchentlichen Bericht aus dem Büro der amerikanischen Hauptstadt: "Ökonomen des Weißen Hauses rechnen damit, dass der Krieg gegen den Irak wahrscheinlich keine Rezession auslösen wird", wenngleich im selben Artikel die Kriegskosten konkret angesprochen werden: "Die Beraterfirma G7Group veranschlagt die Kosten für das erste Kriegsjahr auf 80 Milliarden US-$." (Jackie Calmes, White House Economists figure war with Iraq wouldn`t likely spark recession, in Wall Street Journal Europe, 6.-8. September 2002)

Lange vor den Anschlägen vom 11. September 2001, und spätestens mit dem Regierungsantritt von Bush jr., war erkennbar, dass der Kampf der USA gegen den Irak in ein neues Stadium treten würde. Der Zermürbungstaktik durch Luftangriffe und ökonomische Knebelung, Ausplünderung und Embargo, durch die die Widerstandskraft des Volkes unterminiert werden sollte, musste ein direkterer Zugriff auf das irakische Öl folgen. Dazu ist eine heiße Kriegsphase notwendig, damit für die amerikanischen und britischen Ölkonzerne der Weg zum irakischen Öl frei wird. Die bis zum Frühsommer in den maßgeblichen amerikanischen Medien intensiv geführte Debatte, wie man die nächste Kriegsetappe gestalten sollte, sollte eine Antwort auf die Frage erarbeiten, wen man (außer den Briten, deren Beteiligung für die USA zu keinem Zeitpunkt in Frage stand) noch, und zu welchen Bedingungen, mit ins Kriegsbündnis aufnehmen sollte. Z. B.: Wenn sich Frankreich aktiv beteiligt, welchen Anteil vom irakischen Ölkuchen soll man Elf-Total einräumen. Wie schwierig diese Verhandlungen waren, zeigt sich daran, dass sich Frankreich lange geziert hat, eine Kriegsbeteiligung zuzusagen. Oder bezüglich Russlands: Reicht Russland, damit es bei einem Angriff auf den Irak stillhält und auf ein Veto im UN-Sicherheitsrat verzichtet, freie Hand in Tschetschenien/Georgien, oder muss man dem Land noch zusätzlich ökonomische Versprechungen bzgl. der Erfüllung bestimmter irakisch-russischer (Vor-)Verträge und/oder der Tilgung(Bezahlung) irakischer Verbindlichkeiten gegenüber Russland durch die Nach-Saddam-Regierung machen. Für die Zustimmung Spaniens reichten vermutlich kleine Versprechungen für Repsol, bei Italien für ENI, bei den Niederlanden für Royal Dutch. Der mächtigste Hebel der Amerikaner gegen China bleibt sicherlich (trotz WTO-Mitgliedschaft Chinas) der Zugang zum amerikanischen Markt. Bei den arabischen Golfstaaten dürfte die Überlegung bestimmend sein, möglichst lange zu vermeiden, obenan auf die wirkliche Schurkenliste gesetzt zu werden, nach der die realen Aggressionsziele der USA bestimmt werden. Diese Überlegungen ließen sich weiter fortsetzen. Das Ergebnis der veröffentlichten Überlegungen war, dass die USA notfalls auch alleine handeln könnten, dass man jedoch lieber - wie in 91 - wieder ein Bündnis zusammenzimmern würde. Der militärische Aspekt spielt hierfür, im Gegensatz zum politisch-moralischen, nur eine völlig untergeordnete Rolle.

Die Wahl Bush´s war bereits Teil der Strategie des Öl-Militärkomplexes, der heute in den USA dominiert. Zwar hatten sich auch die Präsidentschaftskandidaten der Demokraten, Gore und Lieberman, zur Zeit von Bush sen. - anders als die Mehrheit der Demokraten im Kongress - für den "Wüstensturm" ausgesprochen. Gleichwohl traute ihnen das Kapital nicht zu, den beabsichtigten neuen Krieg konsequent vorzubereiten und umzusetzen.

Je näher nun der Zeitpunkt des Hauptangriffs rückt, desto deutlicher wird, dass das irakische Öl nur ein Teil dessen ist, was der arabischen Welt geraubt werden soll. Das weitergehende Ziel ist das Öl Saudi-Arabiens und das der gesamten Region des Nahen Ostens. Kuwait und die VAE werden in diesem Zusammenhang selten extra erwähnt, sie würden militärisch-politisch kein großes Problem darstellen, anders als der Iran, der ein sehr großes, für die USA vielleicht kaum lösbares Problem darstellen würde, wie die Vergangenheit gezeigt hat. (Zur Argumentation, diese weitergehende Zielsetzung betreffend, vergleiche die Ausführungen des Autors: D. L., Nächste Station Bagdad - übernächste Riad, Zum Kampf ums Öl im Nahen Osten, in Marxistische Blätter (MB) 3-02, S.73ff.)

"Der Krieg rechnet sich nicht"(?)

In der Süddeutschen Zeitung trägt nun Marc Hujer ökonomische Argumente gegen den Krieg gegen den Irak vor. Ein Krieg "gegen das Ölland Irak" sei "nicht unbedingt im Sinne der US-Volkswirtschaft. Die möglichen Gewinne sind klein, sagen die Experten, die Risiken aber sind groß." Er beruft sich u. a. auf das wirtschaftsliberale Cato Institute, das von einem sinnlosen Engagement spreche. "Die US-Regierung gebe in der Golfregion jährlich bis zu 60 Milliarden Dollar für militärische Stabilisierung aus, um Importe von sechs Milliarden Dollar zu sichern." (Marc Hujer, Der Krieg, der sich nicht rechnet, Wirtschaftliche Gründe für einen Feldzug gegen den Irak fehlen, SZ vom 23. September) Richtig ist, dass es in den USA breite Wirtschaftskreise gibt, die über die Kampagne im Nahen Osten aus wirtschaftlichen Gründen nicht glücklich sind, weil es die eigenen Geschäftsaussichten verschlechtert. Dazu gehören z. B. Handelsfirmen, Fluggesellschaften, die Touristikbranche, die Autoindustrie, die chemische Industrie.

Hatten diese Kräfte während der Clinton-Administration noch das politische Übergewicht gegenüber dem Öl-Rüstungskomplex, der von der Bush-Administration vertreten wird - wenngleich das Irak-Gesetz von 1998 bereits politisch-deklaratorisch die Vorstellungen der Wahlsieger von 2000 verkörpert: dort wurde bereits "regime change, die Beseitigung der Herrschaft Saddam Husseins im Irak, als strategisches Ziel der USA" benannt. Die Benennung eines Ziels ist eine Sache. Zur praktischen Verwirklichung gehört sehr viel mehr. Zur Umsetzung ihrer Absichten im Nahen Osten setzte das Militär-Öl-Lager auf Bush/Cheney. Seit der letzten Präsidentschaftswahl im Herbst 2000 wird das Vorhaben konsequent angegangen. Spätestens ab diesem Zeitpunkt lautet das "volkswirtschaftliche" Kalkül nicht: Was bringt ein Krieg der "amerikanischen Wirtschaft insgesamt" für Vorteile - die ökonomischen Interessen der Mehrheit der arbeitenden Bevölkerung sind für solche Überlegungen nicht von primärer Bedeutung -, sondern vielmehr: Welche ökonomischen Vorteile (in anderen Worten: Profitaussichten) sind durch einen solchen Krieg für den herrschenden Militär-Rüstungs-Komplex der USA zu erwarten. Bei der Überprüfung des Kalküls gilt es auch zu berücksichtigen, dass sogar bescheidene Profite attraktiv für die sein können, die die hierfür notwendigen (in unserem Fall Kriegs-) Kosten nicht selber tragen müssen.

Hauptgewinn oder Niete?

Unter Aufwand/Ertrag-Gesichtspunkten wollen wir einmal zwei gegensätzliche historische Beispiele betrachten.

Beispiel 1: Vor gut hundert Jahren eroberte England Tibet: Tibet war so arm, dass die erobernden Vertreter der europäischen Kolonialmacht sich nicht in der Lage sahen, aus dem Land einen nennenswerten Mehrwert herauszusaugen. Die Kosten waren für die ausländischen Ausbeuter nachhaltig höher als der mögliche Nutzen. Das ganze war also ein Flop. Man zog wieder ab.

Beispiel 2: Gelohnt für die imperialistischen Ausbeuter hat sich hingegen China: Militärisch abgerungen wurden dem Land nach der Niederschlagung des sogenannten Boxeraufstands, ebenfalls vor hundert Jahren, gewaltige "Entschädigungs"- (indemnity) Zahlungen, die in heutiger Währung gerechnet etwa 6,5 Mrd. US-$ ausmachten und den gesamten Staatseinnahmen der Qing-Regierung für den Zeitraum von 12 Jahren entsprachen. (Vgl. hierzu D. L.: Nächste Station Bagdad - übernächste Riad, Zum Kampf ums Öl im Nahen Osten, in MB 3-2002, S. 73ff.) Man benötigt nicht allzu großen ökonomischen Sachverstand, um zu begreifen: Die Entsprechung für Beispiel II im 21. Jahrhundert ist der Nahe Osten mit seinem Ölreichtum (im Wert von mindestens 10 000 Mrd. US-$, vgl. weiter unten) als Objekt der imperialistischen Begierde. Beispiel I entspricht heute Gebieten wie Afghanistan oder Kosovo, die aus mancherlei Gründen Gegenstand von Aggression sein mögen, nicht jedoch, weil aus ihnen ein nennenswerter Mehrwert herauszupressen wäre; ganz im Gegenteil.

US- und britische Konzerne brauchen das Öl

Um langfristig ihre Existenz als führende Konzerne der Weltwirtschaft zu sichern, benötigen die US- und britischen Ölmultis unbedingt den Zutritt zur Ölförderung im Nahen Osten. Am Beispiel von Royal Dutch/Shell wurde das von diesem Autor bereits einmal aufgezeigt. Die Darlegung kommt zu der folgenden Einschätzung: "In 2000 stellte das im gesamten Mittleren Osten von Shell geförderte Erdöl gerade mal einen Anteil von etwas über 20 Prozent der Gesamtförderung des Unternehmens dar. Wenn man bedenkt, dass zweidrittel aller Erdölreserven in dieser Region liegen, dass dagegen in Gebieten wie der Nordsee (der in Europa wichtigsten Förderstätte Shells) die Reserven kaum noch über die nächste Dekade hinaus reichen werden, dann wird verständlich, dass sich die Ölmultis wie Shell Gedanken um ihre Zukunft machen und von Bush und Blair erwarten, dass sie das Problem lösen, dass die ihre Förderung gegenüber dem ausländischen Kapital abschottenden OPEC-Staaten darstellen." (MB 3-02, S. 75) Das hier Gesagte gilt analog genau so für EXXON, BP/AMOCO, CHEVRON/TEXACO und CONOCO.

Aber werfen wir nun doch einmal einen etwas genaueren Blick auf das, was aus dem Irak herauszuholen ist. Das Besondere in den Ländern des Nahen Ostens besteht darin, dass der Wert der Ölreserven - hier von uns überschlägig geschätzt als Produkt der sicher nachgewiesenen Mengen und dem heutigen OPEC-Richtpreis von 25 US-$ - wegen der in dieser Region der Erde bestehenden u. a. geologischen Besonderheiten annähernd identisch ist mit der Rente, die man bei Förderung des Öls realisieren kann. Bei dynamischer Betrachtungsweise, wenn man sich den historischen Verlauf über einen Zeitraum von mehreren Jahrzehnten vorstellt, können sich bei realistischer Betrachtung Werte ergeben, die beträchtlich höher anzusetzen sind, nämlich dann, wenn es den US-Konzernen gelingen würde, sich die Ölrechte im gesamten Raum anzueignen, und sie, wenn in ein bis zwei Jahrzehnten die Ölquellen in der übrigen Welt zunehmend unergiebig werden, als privatkapitalistische Marktregulierer in einer dann veränderten Angebotssituation den Ölpreis nachhaltig monopolistisch in bisher nicht gekannte Höhen treiben würden. Ein Missvertändnis besteht bei Teilen (auch der amerikanischen) Öffentlichkeit darin zu glauben, dass die Kampagne gegen die Länder des Nahen Ostens den Konsumenten billigeres Öl bringen wird. Das Gegenteil wird der Fall sein, gerade auch langfristig. Und nicht der Fiskus des jeweiligen Landes, wie etwa im Fall der westeuropäischen Benzinpreise, sackt sich dann die größten Teile des Wertes ein, sondern der Haupttransfer geht dann in Richtung der Schatullen der US-britischen Ölkonzerne, bzw. in die Taschen ihrer Aktionäre und leitenden Mitarbeiter. Die Ursache hierfür liegt einerseits im durch die bevorstehenden Kriege unmittelbar möglich werdenden Zugriff auf die Hauptmenge des verbleibenden Öls der Welt sowie in der sich daraus ergebenden immensen Marktmacht der US-britischen Ölkonzerne.


Wert der Ölreserven ausgewählter Länder
[Wert der Ölreserven bei 25 $/Fass in Mrd. $ (1995)]

USA: 519
GB: 96
Russ. Föderation: 1.055
Kuwait: 2.302
Irak: 2.003
Iran: 1.946
Vereinigte Arabische Emirate: 1.936
Saudi-Arabien: 5.345

Quellen: Eigene Berechnung des Werts der Olreserven nach Angaben aus: 1995 Energy Statistics Yearbook, United Nations, New York 1997. Übrige Angaben: Der Fischer Weltalmanach 2001, Frankfurt 2000.

Lesehinweis zur Tabelle: Eine aktuellere Quelle (Dan Morgan, David B. Ottaway; When it´s over, who gets the oil?, The Washington Post vom 16. September 2002, in IHT vom gleichen Tag.) gibt Iraks Reserven mit 112 Mrd. Fass an. Entsprechend unserer Rechnung ergibt sich daraus ein noch höherer Wert für das irakische Öl, nämlich 2,8 Billionen (2.800 Mrd.) US-$. Die irakischen Reserven gelten heute zudem - abweichend von der oben benutzten Quelle aus dem Jahre 1997 - als größer im Vergleich zu den kuwaitischen. Die zugrunde gelegten Zahlen enthalten natürlich immer ein Element der Unsicherheit. Für unser Argument entscheidend ist nicht so sehr das exakte Rechenergebnis, sondern vielmehr die Größenordnung, die damit angezeigt wird. Auf dieser Grundlage sind Überlegungen zur Rente zwingend, wie sie vom Autor im August 2001 formuliert wurden: "Die Differenz zwischen Förderkosten und Marktpreis ist eine Rente. Diese Rente beträgt für das Öl im Mittleren Osten bei Ölpreisen von 25 US-$ durchschnittlich gut 20 US.$ (pro Fass). Multipliziert mit der Ölmenge im Boden der Länder des Mittleren Ostens ergibt sich für die Region ein Gesamtwert der Renten von weit über 10.000 Mrd. US-$. Das ist der Preis, um den die USA sowie ihre imperialistischen Konkurrenten mit Saudi-Arabien, Kuwait, Irak, Iran, etc. ringen. Diese 10.000 Mrd. US-$ sind im Wesentlichen auch der Fonds, aus dem u.a. die Kriege in der Region, die Rüstung der jeweiligen Angreifer und Verteidiger, die Besatzungen, der Einfluss in anderen Ländern dieser Region etc bezahlt werden. (D. L., Ein unerledigtes Geschäft - Die USA und das Öl der Verweigerer Iran und Irak, MB 5-2001



Die Kriegsbeute wird verteilt "Wenn alles vorbei ist, wer kriegt dann das Öl?" Diese rhetorische Frage wird bereits im ersten Satz des Artikels der Washington Post, der die erste Seite der IHT vom 16. September 2002 ziert, von den Autoren Morgan und Ottaway so beantwortet: Der US-geführte Sturz von Saddam könnte für die lange aus dem Irak verbannten amerikanischen Ölgesellschaften ein "Bonanza" (Silbermine) darstellen, bestehende Verträge zwischen Bagdad und Russland, Frankreich und anderen Ländern würden jedoch den (im Westen lebenden) Führern der (sogenannten) irakischen Opposition zufolge schleunigst aufgehoben.

Insgesamt steht im Irak ein Wertvolumen von (beim heutigen Preisniveau für Erdöl) zwei bis drei Billionen US-$ (2 000 bis 3 000 Mrd. US-$) zur Verteilung an. Der Artikel weist darauf hin, dass Teile der irakischen Ölrechte auch bei den Verhandlungen der Amerikaner um die Zustimmung zu ihrem geplanten Krieg gegen den Irak im UN-Sicherheitsrat eingesetzt werden können. "Alle fünf Ständigen Mitglieder des Sicherheitsrates - die USA, Großbritannien, Frankreich, Russland und China - haben internationale Ölgesellschaften mit großen Interessen hinsichtlich einer Veränderung der Führung in Bagdad." Seit dem Golfkrieg von 1991 hätten Gesellschaften von mehr als einem Dutzend Länder, darunter Frankreich, Russland, China, Indien, Italien, Vietnam und Algerien, Vereinbarungen getroffen, um irakische Ölfelder zu erschließen, Anlagen zu erneuern oder unentwickelte Gebiete zu explorieren. Die Vertreter der irakischen Opposition erklärten, dass sie sich an keines dieser Geschäftsabkommen gebunden fühlten. Stattdessen sagte Ahmed Chalabi, der Führer des Iraqi National Congress, einer Gruppe von irakischen Oppositionellen, er "favorisiere die Schaffung eines US-geführten Konsortiums zwecks Entwicklung der irakischen Ölfelder ... Amerikanische Gesellschaften werden einen großen Anteil am irakischen Öl haben, sagte Chalabi." (Dan Morgan, David B. Ottaway, When it´s over, who gets the oil?, The Washington Post, in IHT vom 16. September 2002)

Die imperialistische Zahnbürste

Ein in der Frage des bevorstehenden Krieges eigenartig idyllisches Bild trat dem Leser der Süddeutschen Zeitung hingegen noch bis Ende August diesen Jahres entgegen. Man las da z. B.: "Die Entscheidung für einen Irak-Krieg steht nicht an." (Stefan Kornelius, Projektion statt Politik, SZ vom 13. August 2002), oder etwa: "Der Feldzug gegen den Irak scheint sich als große Luftblase zu entpuppen. ... der US-Präsident (beruhigte) das Biest (!) von Bagdad. Hatte Präsident Teddy Roosevelt einst empfohlen: ´Sprich leise, aber nimm einen großen Stock mit´, so drehte Bush, der gerne mit Roosevelt verglichen würde, das Motto um: Er polterte laut gegen Saddam Hussein, doch in der Hand hielt er höchstens eine Zahnbürste." (Wolfgang Koydl, Der Sommer des Missvergnügens, SZ vom 28. August 2002)

Nur ganze zwei Tage, nachdem Koydl seine Zahnbürstenthese vertreten hatte, stellte Jakob Heilbrunn, gestützt auf die unmittelbare Beobachtung des amerikanischen Mediengeschehens, in der gleichen Süddeutschen Zeitung klar: "Die große Frage des Sommers ist, wann und wie der Angriff gegen den Irak erfolgen wird. ... Achtzig Milliarden Dollar würde der Krieg kosten, schätzt die New York Times, doch die fetten Haushaltsüberschüsse der Clinton-Jahre hat Bush bereits komplett verpulvert. Seine konservativen Berater wie Richard Perle und Paul Wolfowitz ficht das nicht an. Sie schmieden schon Pläne, nach dem Irak auch gegen den Iran vorzugehen sowie die Ölfelder in Saudi-Arabien zu besetzen." (Jakob Heilbrunn, Das Jahr danach, SZ-Magazin Nr. 35 vom 30. August 2002, S. 23)

Wenige Tage darauf revidiert Koydl seine bisherige Ansicht und behauptet nun genau das Gegenteil von dem, was er zuvor vertreten hatte: "Alles nach Plan / George Bush geht in seiner Politik gegen Bagdad zielstrebig vor - man muss nur zuhören." (SZ, 6. September 2002)

Was ist die Ursache für diese Fehlbeurteilung? Außer den Gründen, die bei den Rezipienten liegen und eventuell dem von bestimmten Kreisen infizierten Interesse an einem Herunterspielen der imperialistischen Kriegsabsichten, spielte hierbei vielleicht auch das Bild einer starken inneramerikanischen Opposition eine Rolle, die die Kriegsstrategie der rechten Kriegsvorbereiter um Wolfowitz, Rumsfeld und Cheney nicht zum Tragen kommen lassen könnte. Wie berechtigt ist diese Auffassung?

Die Frage ist also: Gibt es eine amerikanische Opposition gegen den Irak-Feldzug? Sicher. Z. B. u. a. die Kommunisten und der Kreis um Chomsky. Und innerhalb des Establishments? Gibt es eine politisch relevante Opposition, die gegen den Krieg eingestellt ist und ihn eventuell noch verhindern könnte?

Schwäche der Opposition

Amity Shlaes geht in ihrer regelmäßigen Kolumne in der FT ausführlich auf diese Frage ein. Sie konstatiert, es gebe im Lande eine Opposition gegen den Krieg. "Aber die Opposition von Republikanern und Demokraten ist relativ gedämpft. Die Wahrheit über Amerika ist der Konsens innerhalb der US-Führung in Bezug auf die Frage des Sturzes von Saddam Hussein." Shlaes vergleicht die Opposition gegen ein militärisches Vorgehen nach der irakischen Invasion in Kuwait mit der Stärke der heutigen Opposition. Sie erinnert daran, dass Bush senior nicht nur mit Skeptikern in den eigenen Reihen zu tun hatte (darunter auch General Powell), sondern dass er auch im Kongress eine starke Opposition von Demokraten gegen sich hatte, und nach einer Umfrage von USA Today wurde seine Politik nur von 51 Prozent der Bevölkerung unterstützt. Eine Erhebung der New York Times vom September 2002 dagegen zeigte, dass 68 Prozent der Amerikaner die Irak-Politik Bushs unterstützen. Richard Gebhardt, der damals die Opposition anführte, ist heute ein deutlich vernehmbarer Befürworter. "Erst im vergangenen Monat, noch bevor klar wurde, dass sich das Weiße Haus um die Zustimmung des Kongresses für ein militärisches Handeln bemühen würde, sagte Mr. Gebhardt, der heute Führer der Minderheit im Repräsentantenhaus ist: ´Präsident Bush hatte Recht, als er am Sonnabend sagte, dass wir einen neuen Krieg führen und dass wir bereit sein müssen loszuschlagen, wenn das notwendig ist.´" Es gebe unter den Republikanern zwar Abweichler, wie General Powell, Dick Armey und Brent Scowcroft, aber, abgesehen von Powell, handele es sich dabei nicht um "big ´players´", es sind also politische Leichtgewichte ohne große eigene Machtbasis. Die Demokraten erinnerten sich daran, was es seinerzeit bedeutete, zu der Verliereropposition gegen den Golfkrieg zu gehören. "Die beiden wichtigen Mitglieder der Demokratischen Partei (jedoch), die frühzeitig mit der Mehrheit in ihrer Partei brachen und die Administration dabei unterstützten, den Wüstensturm zu lancieren - Senator Al Gore und Senator Joseph Lieberman - wurden sechs Jahre später mit der Chance belohnt, für das Amt des Präsidenten bzw. des Stellvertretenden Präsidenten zu kandidieren." (Amity Shlaes, Democrats fall in line against the Iraqi tyrant, George W. Bush faces little of the partisan friction that surrounded the Gulf war, with his critics lacking a strong power base. FT, 10. September 2002.)

Die Opposition zur Irakpolitik der amerikanischen Administration wird bisweilen mit Hilfe der Kategorien Multilateralismus/Unilateralismus gedeutet. Robert Kagan weist mit Recht darauf hin, "dass die meisten Amerikaner keine prinzipienfesten Multilateralisten sind". Im Grunde seien die amerikanischen multilateralistischen Argumente pragmatischer Natur. Er fährt fort: "Anders als manche glauben, gibt es heute in den USA in Wirklichkeit keine Debatte zwischen Multilateralisten und Unilateralisten. Ebenso wie es wenige prinzipienfeste Multilateralisten gibt, gibt es wenige echte Unilateralisten. Nur wenige innerhalb und außerhalb der Bush-Administration halten es für vorteilhaft für die Vereinigten Staaten, in der Welt allein voranzugehen. Die meisten hätten lieber Verbündete. Sie wollen nur nicht, dass die Vereinigten Staaten daran gehindert werden, allein zu handeln, falls die Verbündeten sich weigern, den Weg mitzugehen. Die wirkliche Debatte in den Vereinigten Staaten dreht sich um Fragen des Stils und der Taktik." (Robert Kagan, Targeting Iraq I, Multilateralism, American Style, The Washington Post, in IHT vom 14.-15. September 2002)

Let´s make war

Sehen wir uns doch einmal unterschiedliche Positionen an, wie sie in den maßgeblichen amerikanischen Medien vorgetragen werden. Beginnen wir mit einer Position der sogenannten Rechten. Unter der offenherzigen Überschrift: "Lasst uns Krieg führen! Cheney legt die Sache unheimlich gut dar", führt Maureen Dowd aus:

"Cheney möchte in den Irak einmarschieren, solange wir über ein strategisches Fenster zum Handeln verfügen, während Saddams Armee noch am Taumeln ist. Aber die Saudis anzugreifen wäre sogar noch einfacher. Sie sind verweichlicht und verwöhnt. ... Eine Invasion in Saudi-Aabien würde der Panama-Invasion während der Amtszeit von Bush I ähneln. ... Sobald wir Saudi-Arabien in unsere Selbstbedienungstankstelle (für Benzin) verwandelt haben, werden seine Nachbarn den Demokratie-Virus bekommen." (Maureen Dowd, Let´s Make war! Cheney puts the case uncannily well, NYT, zitiert nach IHT vom 29. August 2002)

Diese nicht gerade pazifistischen Ausführungen erschienen gleichzeitig mit einem Leitartikel (Cheney fails to convince, Leitartikel der NYT, in IHT vom 29. August 2002), der Vorbehalte gegenüber Cheney´s Plädoyer für einen Krieg gegen den Irak - das in Dowd´s Artikel den begeisterten Widerhall fand - äußert und die Bush-Administration auffordert, noch mehr dafür zu tun, das Land von der Notwendigkeit für ein militärisches Vorgehen gegen den Irak zu überzeugen. Nur fünf Tage zuvor hatte der Chefredakteur der IHT, David Ignatius, die New York Times gegenüber dem "Diktat der Gedankenpolizei der Rechten, der Leitartikelseite des Wall Street Journal", vor dem Vorwurf in Schutz genommen, (zu) ausführlich über Strategie und Taktik hinsichtlich der Ziele, "mehr Demokratie in den Nahen Osten zu tragen, inklusive eines Regimewechsels im Irak und politischer Reformen in Saudi-Arabien" zu debattieren. Damit hatte die New York Times sozusagen als liberale Abweichlerin denunziert werden sollen. Ignatius vertritt die Ansicht, dass eine gründliche Debatte nützlich ist. Im weiteren Verlauf seiner Ausführungen beschäftigt er sich kritisch mit den Auslassungen des Laurent Murawiec von der Rand Corporation, der dem Defense Policy Board gegenüber gesagt hatte, "die Strategie der USA sollte ´ein Ultimatum an das Haus Saud (sein) ... andernfalls.´ Er definierte das ´Andernfalls´ als ´Das saudische Öl, Geld und die heiligen Stätten ins Visier zu nehmen´." Dies ist für Ignatius ein typisches Beispiel für die heutige Diskussion der Rechten zum Thema Naher Osten, die er als mit Großspurigkeit behaftet charakterisiert. Mit seiner eigenen Meinung zur politischen Hauptfrage hält er nicht hinterm Berg zurück: "Lasst uns ehrlich sein: Im Nahen Osten alles auf eine Karte zu setzen - auf Regimewechsel im Irak, im Iran, in Ägypten, Syrien und Saudi-Arabien zu drängen: so handeln nur Spieler. Das bedeutet nicht, dass es falsch ist, sondern dass es riskant ist - und aus diesem Grund verdient es eine besonders sorgfältige Debatte." Und als Chefredakteur einer der wichtigsten Publikationen der USA findet er gegen Ende seiner Ausführungen selbstverständlich politisch korrekte Phrasen für die Vorhaben des US-Imperialismus im Nahen Osten, indem er sich auf den "Idealismus" von Präsident Wilson beruft: "Die Befreiung des Nahen Ostens würde die Grenzen von Demokratie und Menschenrechten erweitern, wenngleich mit großen Kosten für die nationalen Interessen Amerikas, wie sie traditionell definiert sind."

Große Visionen fordert auch William Pfaff und merkt an: "Die Amerikaner fühlen sich unwohl bei einer Außenpolitik, die nicht in visionären und idealistischen Formulierungen vorgetragen wird." Als Rechtfertigung für den Krieg gegen Irak benötige Bush "einen erwiesenen ernsten Grund (nicht Spekulation darüber, was der Irak in Zukunft tun könnte), vernünftige Erfolgsaussichten und die Legitimierung in der amerikanischen öffentlichen Meinung und in der seiner Verbündeten." (William Pfaff, Targeting Iraq II, Bush needs a vision to justify war, IHT, 24-25. September 2002)

Von großen Visionen ist denn auch in dem Strategie-Papier der Bush-Administration die Rede, das dem Kongress am 20. September unterbreitet wurde, in dem der "präventive" Erstschlag, der Angriffskrieg, als militärpolitisches Konzept der USA eingeführt wird. Es gehe den USA überall in der Welt um "Freiheit" und "Gerechtigkeit"; und "Wir nutzen unsere Stärke nicht, um uns einseitigen Vorteil zu erpressen." Dennoch: "Es ist an der Zeit, die entscheidende Rolle der amerikanischen militärischen Stärke zu bekräftigen." Und: "Wenn nötig, werden wir nicht zögern, alleine zu handeln, um unser Recht auf Selbstverteidigung wahrzunehmen, indem wir in Form eines präventiven Erstschlags gegen solche Terroristen vorgehen." (America´s Security Strategy, How US will lead "freedom´s triumph", Edited extracts of President Bush´s new national security strategy, FT vom 21./22. September 2002)

Erst einen Tag zuvor wurde dem Kongress eine Gesetzesvorlage zugeleitet, die in expliziter Fortschreibung des "Iraq liberation act" (Gesetz bezüglich der Befreiung des Irak) aus dem Jahre 1998 den Präsidenten in dem (Haupt-)Abschnitt 2, "Autorisierung der Anwendung der Bewaffneten Streitkräfte der USA" überschrieben, ermächtigt, "alle ihm geeignet erscheinenden Mittel, einschließlich Waffengewalt" ... "gegen die vom Irak ausgehende Bedrohung" "anzuwenden", "und den internationalen Frieden und die Sicherheit in der Region (Hervorhebung durch uns) wieder herzustellen." (Bush´s resolution on Iraq: the text, IHT vom 20. September 2002) Bei der Behandlung dieser Vorlage am 25. September gab sich Daschle, der Sprecher der Demokraten im Senat, in dem die Demokraten die Mehrheit haben, empört vor allem darüber, dass ihnen von der Regierungsseite mangelnder Patriotismus unterstellt worden sei. In der Sache, so deutete sich an, wird der Öl- und Rüstungs-Präsident Bush mit seinen Nahostplänen im Kongress auf wenig Widerstand stoßen.

Der Beitrag erschien in zwei Teilen in der Wochenzeitung "unsere zeit" am 4. und 11. Oktober 2002.


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