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US-Spionageflugzeuge über Kurdistan

Vertreter der Regionalregierung: Türkei nimmt PKK als Vorwand für eine Invasion nach Nordirak

Von Karin Leukefeld, Erbil *

Es sei »alles ruhig«, meldet der US-amerikanische Polizeiausbilder im »Jiyan«-Hotel in der nord­irakischen Kurdenmetropole Dohuk. Weder türkische Panzer noch Truppen seien bisher beim Überqueren des türkisch-irakischen Grenzflusses Habur beobachtet worden. Die türkischen Kampfhubschrauber, die die Lager der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) in den fernen Kandilbergen attackieren, erwähnt der Mann aus St. Louis (USA) nicht, der in Dohuk kurdische Spezialpolizei ausbildet. Versorgt wird die türkische Luftwaffe mit Bildern der US-Spionageflugzeuge U2, die die Region überfliegen, möglicherweise helfen auch AWACS-Aufklärer der NATO.

Seit 1991 marschierte die türkische Armee 24mal in den kurdischen Nordirak ein mit dem Ziel, die PKK-Guerilla zu zerschlagen, erklärt Xabat Abdullah von der unabhängigen Tageszeitung Rojname. Bis zu 120 Kilometer stießen die Truppen dabei mit Hilfe der Kurdischen Demokratischen Partei (KDP) von Masud Barzani vor. Damals galt das teilautonome »Kurdistan« als »sicherer Hafen« unter dem Schutz der Vereinten Nationen. Heute sieht Barzani die Lage anders, heute herrscht er mit einer kurdischen Regionalregierung (KRG), die viel zu verlieren hat.

Im Nordirak denkt man, daß die Medien die Gefahr eines Krieges mit der Türkei aufbauschen. Es handele sich um einen seit 23 Jahren bestehenden internen Konflikt des nördlichen Nachbarlandes, meint Falah Mustafa, Leiter der KRG-Abteilung für Auswärtige Angelegenheiten in Erbil. Ankara könne seinen Konflikt mit der PKK »nicht militärisch lösen«, sagt er im Gespräch mit jW. Sollte das türkische Militär die PKK »zum Vorwand für eine Invasion nehmen und die irakische Souveränität verletzen«, sei das nicht zu entschuldigen. Noch sei Kurdistan ruhig, doch das werde sich bei einem Einmarsch türkischer Soldaten schlagartig ändern. Die Medien, meint Falah Mustafa in einer Mischung aus Bitte und Vorwurf, sollten berichten, wie wichtig den Kurden die guten Beziehungen zur Türkei seien, jeder Konflikt lasse sich im Dialog lösen.

In einer Blitzaktion waren am vergangenen Wochenende (3./4. Nov.), parallel zur internationalen Irak-Konferenz in Istanbul, in den drei kurdischen Provinzen des Irak alle Büros und Einrichtungen der PKK und ihr nahestehender Organisationen geschlossen worden. Festnahmen soll es nicht gegeben haben. Der Druck, den die Türkei wegen der PKK ausübt, wird von irakischen Kurden als Vorwand gesehen. Tatsächlich wolle Ankara das Kirkuk-Referendum verhindern, in dem nach Artikel 140 der irakischen Verfassung die Kurden entscheiden können, ob die Ölmetropole Kirkuk den kurdischen Provinzen zugeschlagen wird.

Kadir Aziz beobachtet seit längerem die Diskussion in der Kommission zur Umsetzung von Artikel 140, der unter den Irakern umstritten ist. Seit den Wahlen vor zwei Jahren haben sich die gegensätzlichen Positionen nicht angenähert. »Wir diskutieren täglich, wöchentlich, permanent«, sagt Kadir Aziz. Von den irakischen Parteien unterstütze lediglich der Hohe Islamische Rat für den Irak (SICI, früher SCIRI) von Abdelaziz Al Hakim die Kurden ohne Wenn und Aber. Wichtig sei der ausländische Einfluß, die Türkei und Saudi-Arabien seien gegen das Referendum. »Kirkuk ist das Herz Kurdistans«, meint Kadir Aziz.

Die KRG-Politik gegenüber Bagdad und der Türkei ist unter Kurden umstritten. Von einer Mischung aus Betrug, Lüge und Täuschung spricht ein christlicher Geistlicher, der nicht genannt werden möchte. »In der Öffentlichkeit greifen sie sich gegenseitig an, aber unter dem Tisch schütteln sie sich die Hände.« Mit der drohenden Gefahr einer türkischen Invasion könne die KRG die Bevölkerung hinter sich sammeln, stimmt ihm ein Gemeindemitglied beim gemeinsamen Kaffeetrinken nach der Sonntagsmesse zu.

Die kurdische Mobilisierung lenke von der massiven Kritik ab, der die Regionalregierung innenpolitisch ausgesetzt sei. Tatsächlich wird quer durch die Gesellschaft über die enorme Korruption in Politik und Verwaltung geklagt. Befragt, ob er Angst vor einer türkischen Invasion habe, meint ein Taxifahrer in Sulaimania: »Die Herrschenden werden das Land verlassen, sie haben ihre Bankkonten in Europa und den USA. Wir, das einfache Volk, haben keinen Schutz, wir werden die Folgen tragen.«

* Aus: junge Welt, 7. November 2007


Countdown zum Angriff

Premier Erdogan redet nach seinem Gespräch mit US-Präsident Bush Klartext: Washington wird Ankaras geplanten Militärschlag im Nordirak unterstützen

Von Nico Sandfuchs, Ankara

Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan, so der allgemeine Tenor in der türkischen Presse am Dienstag (6. November), kann nach seinem Treffen mit US-Präsident George W. Bush erleichtert die Heimreise antreten. Zwar hat es Bush nach der Unterredung vermieden, Ankara auch offiziell grünes Licht für den angeblich zwingend notwendigen Militärschlag im Nordirak zu geben. Aber von der ablehnenden Haltung, die die USA bisher gegen eine militärische Operation geltend gemacht hatten, war am Montag abend plötzlich keine Rede mehr.

»Ich möchte nicht über hypothetische Annahmen reden«, wich Bush der Frage eines Journalisten, ob nun mit einem türkischen Angriff zu rechnen sei, aus. Tatsache sei aber, daß die PKK der gemeinsame Feind der USA und der Türkei sei, verkündete Bush zur sichtlichen Freude Erdogans. Und um die »Mörder« von der PKK auszuschalten, sei »als erster Schritt eine intensive geheimdienstliche Sondierung nötig«, die in Kooperation der Generalstäbe der beiden Länder von nun an erfolgen solle. Zunächst also eine militärische Aufklärung der Aufenthaltsorte der kurdischen Guerilla, und dann eine gezielte Militäroperation zu deren Ausschaltung – so lautet nach übereinstimmender Auffassung der türkischen Presse das konkrete Ergebnis der Unterredung, das sich hinter den Worten Bushs verberge. Genug, um die chauvinistisch aufgeheizte Stimmung in der Türkei erst einmal zu bedienen. »Gott sei Dank«, entfuhr es Erdogan deshalb, der sich bei einer weniger konzilianten Haltung Washingtons der hämischen Schelte der heimischen Opposition hätte stellen müssen.

Im Gegensatz zu Bush hat der türkische Ministerpräsident nach dem Treffen Klartext geredet. »Niemand kann von uns erwarten, daß wir das Interesse unseres Landes hinter die Interessen anderer zurückstellen«, erklärte Erdogan unter Anspielung auf die zahlreichen amerikanischen Appelle in den vergangenen Wochen, die Türkei dürfe durch eine Militäroperation nicht die Stellung der USA im Irak weiter destabilisieren. Bush habe die PKK als gemeinsamen Feind bezeichnet – und ein Feind müsse naturgemäß »eliminiert« werden. Die Türkei sei an einem Punkt angelangt, an dem »wir die Befugnis (zu einem Militärschlag), die das internationale Recht uns einräumt, auch einsetzen werden«, kündigte der türkische Ministerpräsident an. »Im übrigen sagt niemand, daß wir einen Militärschlag nicht durchführen sollen. Im Gegenteil. Jeder gibt uns recht.« Deutlicher ließe sich ein Angriff kaum ankündigen. Ohne es offen auszusprechen, hat Erdogan so bestätigt, daß George W. Bush sehr wohl freie Fahrt erteilt hat – und daß sich die USA zwar nicht durch eigene Truppen, aber durch die Bereitstellung umfangreichen Spionagematerials daran beteiligen werden.

Aus dem Hauptquartier der PKK hieß es am Dienstag (6. Nov.), daß bereits seit mehreren Tagen amerikanische Aufklärungsflugzeuge über den Guerillagebieten im Nordirak kreisten und Material für einen Angriff sammelten. Um ihren Willen zu einer friedlichen Lösung unter Beweis zu stellen, hatte die Guerilla am Sonntag acht türkische Kriegsgefangene Vertretern der prokurdischen »Partei der demokratischen Gesellschaft« (DTP) übergeben. In Ankara zeigte man sich allerdings wenig erbaut über diese Geste. So wurden gegen die Vertreter der DTP, die die Gefangenen in Empfang genommen hatten, bereits staatsanwaltliche Ermittlungen aufgenommen, weil sie durch die Aktion »Propaganda für die PKK« betrieben hätten. Justizminister Mehmet Ali Sahin meinte gar unverblümt, er habe sich über die unversehrte Rückkehr der Gefangenen nicht freuen können. Ein türkischer Soldat falle der Guerilla erst gar nicht lebend in die Hände, erklärte Sahin am Montag (5. Nov.).

Aus: junge Welt, 7. November 2007




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