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Gesetz mit Schlupflöchern

Der Raub irakischer Kulturgüter - Deutschland ist ein Tummelplatz für skrupellose Hehler

Von Ronald Sprafke *

Ende Januar übergab die hessische Wissenschaftsministerin Eva Kühne-Hörmann in Berlin in der Botschaft der Republik Irak 22 altorientalische Fundstücke, die 2007 wegen des Verdachts des Schmuggels und der Hehlerei sichergestellt worden waren. Es handelt sich hier um bis zu 4000 Jahre alte Rollsiegel, Keilschrifttafeln und Brieftexte sowie Tonnägel aus altsumerischen Städten im heutigen Südirak. Gutachten haben nachgewiesen, dass diese Objekte aus Raubgrabungen stammen und entsprechend einer UNO-Resolution Irak nie hätten verlassen dürfen.

Tatort Wölfersheim 2007: Polizisten führen in der kleinen Gemeinde nahe Bad Nauheim eine Hausdurchsuchung durch. Der Bewohner steht im Verdacht, Funde aus Raubgrabungen zu besitzen. Es werden lange Arbeitstage für die Ermittler. Das Durchsuchungsergebnis übersteigt alle Erwartungen. Weit über 4000 Einzelstücke lagern in den Kellerräumen. Der größte Teil des Materials stammt von Grabungen in Hessen und Rheinland-Pfalz. Zur großen Überraschung der Ermittler haben aber einige Funde eine sehr weite Reise hinter sich. Sie stammen aus dem nördlichen Schwarzmeergebiet, so aus Bulgarien beispielsweise bronzene Reliefplatten eines Thrakischen Reiters. Und aus dem Alten Orient Keilschrifttafeln, Rollsiegel und so genannte Tonnägel.

Zum Sprechen gebracht

Nach Bekanntwerden dieser letztgenannten Funde meldete Irak seine Eigentumsansprüche an. Dafür mussten die Echtheit der betreffenden 22 Gegenstände, die Herkunft und die Art der Ausfuhr aus dem Herkunftsland festgestellt werden. Mit dem Gutachten wurde Professor Walter Sommerfeld, Altorientalist am Centrum für Nah- und Mittelost-Studien der Philipps-Universität Marburg, beauftragt. Die Echtheit der Stücke konnte rasch und zweifelsfrei geklärt werden. Da aber verlässliche Herkunftsangaben fehlten, begann nun eine zeitraubende Detailarbeit. Jedes einzelne Stück musste zum Sprechen gebracht werden.

Die großen internationalen Ausgrabungen im Vorderen Orient brachten schon im 19. Jahrhundert Raubgrabungen mit sich. Um solche zu verhindern, wurde 1924 unter Mitwirkung von Gertrude Bell, einer britischen Historikerin, Geheimdienstmitarbeiterin und Archäologin, ein Antikengesetz (antiquities law) beschlossen, das so beispielhaft wie rigoros war. Ausländische Ausgräber hatten alle einzigartigen Fundstücke und eine Hälfte der übrigen Funde an das Irak-Museum in Bagdad abzugeben. Die andere Hälfte gelangte in der Regel in die großen europäischen Museen. Die illegale Ausfuhr von Antiken wurde streng untersagt. Der neu aufgebaute Antikendienst konnte Raubgrabungen in der Folge weitgehend verhindern.

1970 verabschiedete die UNESCO ein Übereinkommen zum Verbot und zur Verhütung der unzulässigen Ausfuhr, Einfuhr und Übereignung von Kulturgut. Darunter fallen nach Artikel 1 alle archäologischen Funde aus illegalen wie legalen Grabungen. Strafbar macht sich danach sowohl der Dieb und Schmuggler als auch der Hehler. 1974 verschärfte der Irak den Antikenschutz, indem die Fundteilung abgeschafft wurde. Von da an konnten archäologische Objekte auch nicht mehr legal in den internationalen Kunsthandel kommen.

Seit dem Iran-Irak-Krieg in den 80er Jahren verschlechterte sich die Situation jedoch zunehmend. Der irakische Antikendienst war wegen personeller und finanzieller Engpässe nicht mehr in der Lage, den Schutz der historischen Orte zu gewährleisten. Der Irak-Kuwait-Krieg 1990/91 und das danach von der UNO verhängte Handelsembargo hatten dramatische Folgen auch für das kulturelle Erbe des Landes. Antikenraub und Plünderungen waren für die große Not leidende Bevölkerung oft die einzige Verdienstmöglichkeit. Händler brachten die Fundstücke illegal ins Ausland und dort auf den internationalen Antikenmarkt.

Sechs Milliarden Dollar weltweit

Mit dem im März 2003 von der Bush-Administration angezettelten Irak-Krieg kam die eigentliche Katastrophe. Die Raubzüge durch das Nationalmuseum in Bagdad sollten nur die erste Hiobsbotschaft sein. Nach dem Zusammenbruch der irakischen Regierung und dem offiziell verkündeten Kriegsende im Mai 2003 begannen Raubgräber systematisch und brutal die Grabungsstätten zu durchwühlen. Satellitenfotos zeigen, dass sie oftmals nur noch kraterübersäte Mondlandschaften hinterließen. Bis heute werden jahrtausende alte Städte wie Isin, Nippur, Larsa und Umma praktisch leer geräumt und zerstört. Nach einer Irakreise im Juni 2003 berichtete Margarete van Ess, Leiterin der Außenstelle Bagdad der Orient-Abteilung des Deutschen Archäologischen Instituts, Hundertschaften von Raubgräbern würden in fast industriellem Akkord nach Tontafeln, Rollsiegeln und Statuetten suchen.

Die UNO reagierte und verabschiedete mit der Resolution 1483/2003 ein Handels- und Weitergabeverbot für irakische Kulturgüter. Die EU setzte dieses Verbot im Juli durch die Verordnung Nr. 1210/2003 in europäisches Recht um. Doch was nutzen gut gemeinte Verordnungen, wenn die Gewinnspannen internationaler Hehler exorbitant sind? Das FBI schätzt den jährlichen Umsatz im illegalen Kulturhandel weltweit auf sechs Milliarden Dollar. »Davon hat Deutschland einen erheblichen Anteil, weil es Hehlern hier verhältnismäßig einfach gemacht wird«, sagt Michael Müller-Karpe, ein im Kampf gegen den Kulturgüterraub engagierter Archäologe am Römisch-Germanischen Zentralmuseum in Mainz. Ob die illegale Ware aus dem Orient, vom Balkan oder aus anderen Gegenden der Welt kommt - Deutschland ist stets ein äußerst wichtiger Handelsplatz mit einem sicheren Hehler- und einem reichen Käufermarkt. So erklärt sich auch, dass die Bundesrepublik das UNESCO-Übereinkommen von 1970 und die EU-Verordnung von 2003 erst 2007 in deutsches Recht mit einem Kulturgüterrückgabegesetz umsetzte. Dass damit der ganz große Wurf gegen Kulturgüterraub, Schmuggel und Hehlerei gelungen sei, ist allerdings stark zu bezweifeln. Denn das Gesetz bietet zahlreiche Schlupflöcher, die eifrig und kreativ genutzt werden.

Im Fall der nun zurückgegebenen 22 Altertümer war die Beweislage eindeutig: Sommerfeld konnte belegen, dass diese aus Raubgrabungen in den alten sumerischen Städten Isin, Larsa, Girsu und Umma im heutigen Südirak stammen. Die Keilschrifttafeln lagerten einst in Bibliotheken und Palastarchiven. Sechs Tontafeln tragen Verwaltungstexte aus der Zeit der 3. Dynastie von Ur (21. Jahrhundert v. Chr.) und der folgenden altbabylonischen Zeit (bis 1600 v. Chr.). Auf den Tafeln sind die Abgabe von Getreide gegen Zins und die Ausgabe von Getreiderationen beurkundet. Sie stammen aus Isin und Larsa, sumerische Stadtstaaten, die jüngst Opfer von Raubgrabungen waren.

Die sogenannten Tonnägel waren eine vom 3. bis 1. Jahrtausend v. Chr. in Mesopotamien weit verbreitete Form von in die Mauern neu errichteter Gebäude eingelassenen Beigaben, die den Bauherrn, den Zweck des Baus und den Namen der Gottheit, dem dieser geweiht war, nennen. Das wertvollste Stück stammt aus Isin, der Hauptstadt eines sumerischen Stadtstaates in Südirak. Deutsche Ausgrabungen legten zwischen 1973 und 1989 das große Heiligtum der Stadt- und Heilgöttin Ninisina (Herrin von Isin) frei. Hier wurden einst medizinische Behandlungen durchgeführt und Ärzte ausgebildet. Das Symboltier der Göttin war der Hund. Diese Tiere wurden in »Hundehäusern« von eigenen Wärtern gepflegt. Ein Tonnagel beschreibt ein »Hundehaus« aus der Zeit des Königs Enlil-bani (regierte 1860-1837 v. Chr.). Die anderen Tonnägel kommen aus Girsu (heute Tello). Die Inschriften weisen auf den Haupttempel des Stadtgottes Ningirsu und dessen Bauherrn, den Stadtfürsten Gudea (regierte um 2080-2060 v. Chr).

Keine kriminelle Ausnahme

Die zehn zurückgegebenen Rollsiegel entsprechen einer in Mesopotamien seit Anfang des 3. Jahrtausends v. Chr. weit verbreiteten Form, mit der Händler, Handwerker und Bauern ihre Geschäfte besiegelten. In die Außenseite der kleinen Walzen waren spiegelbildliche Darstellungen eingeschnitten. Deren Stil und Motive variierten in den verschiedenen Zeiten und an den diversen Orten.

Das Kriminalstück um die 22 irakischen Schätze ist kein Einzelfall. Im Sommer vorigen Jahres sorgte ein kleines Goldgefäß für Streit zwischen Archäologen, Kunsthändlern und Staatsanwälten (s. ND v. 23.7.2009). Der gerichtliche Entscheid steht noch aus. Im Februar 2009 gab der damalige Außenminister Frank-Walter Steinmeier Irak eine Bronzeaxt des sumerischen Königs Schulgi aus dem 21. Jahrhundert v. Chr. zurück, die bei einem Kölner Kunsthändler sichergestellt worden war.

Bei der Verabschiedung des Kulturgüterrückgabegesetzes 2007 war vereinbart worden, nach drei Jahren - also jetzt - eine Prüfung des Gesetzes vorzunehmen. Es bleibt zu hoffen, dass durch eine Novellierung endlich die Möglichkeit genutzt wird, etliche Schlupflöcher zu schließen.

* Aus: Neues Deutschland, 2. März 2010


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