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Versöhnung im Irak trotz zunehmender Gewalt? Streit in den USA

Alles dreht sich um ein Thema: den Abzug der Besatzungtruppen

Der Irak kommt nicht zur Ruhe - und in den USA wächst die Sorge um die weitere Entwicklung in dem besetzten Land. Die Mehrheit der US-Bevölkerung hat ihr Urteil über die Irakpolitik des Präsidenten in zahlreichen Meinungsumfragen bereits gesprochen. Der Kongress scheint noch fest hinter dem Krieg zu stehen. Ein entsprechendes Abstimmungsergebnis am letzten Wochenende spiegelt aber nicht die ganze Wahrheit und Misere des US-Politik wider.
Im Folgenden also zwei aktuelle Berichte: einer aus dem Irak, der andere aus den USA. In beiden Fällen geht es um den Irak.



Schwierige Versöhnung in Irak

Treffen in Kairo sondierte Feld für Bagdader Konferenz Anfang nächsten Jahres

Von Karin Leukefeld*

Überschattet von schweren Anschlägen in Irak fand am vergangenen Wochenende in Kairo das erste Vorbereitungstreffen für eine Irakische Versöhnungskonferenz statt.

Rund 100 Delegierte und Politiker nahmen an dem Treffen teil, darunter die Präsidenten von Ägypten, Algerien und Irak, Mubarak, Bouteflika und Talabani. Auch Außenminister von acht arabischen Staaten, Vertreter der Länder aus dem UN-Sicherheitsrat, der iranische Außenminister, Vertreter aus der Türkei und der EU waren gekommen. In einer Grußbotschaft hofft UN-Generalsekretär Kofi Annan, »dass dieses Vorbereitungstreffen den irakischen Parteien hilft, gegenseitiges Vertrauen aufzubauen und zu verstehen, dass sie die gleiche Verantwortung tragen«. Das seien »unabdingbare Voraussetzungen« für ein Fundament, »auf dem ein friedliches, vereintes und demokratisches Irak entstehen kann«. Wie Ägyptens Präsident Hosni Mubarak betonte, sei Irak »in den Herzen und im Bewusstsein der arabischen Welt«.

Das Treffen in Kairo war von Achmed Bin Hali, dem Vertreter der Arabischen Liga, vorbereitet worden. Er habe 80 Prozent seiner gewünschten Gesprächspartner in Bagdad erreicht, so Bin Hali. Die grundsätzliche Bereitschaft zur Teilnahme hatte Ministerpräsident Ibrahim Al-Dschaafari bereits Ende Oktober gegeben. Doch die Skepsis bei Schiiten und Kurden ist groß. Führer beider Gruppen beschuldigen die arabischen Staaten, das frühere irakische Regime unterstützt und innenpolitischen Repressionen nicht widersprochen zu haben. Demonstrativ blieben Abdulasis Al-Hakim, religiöser Führer des SCIRI (Hoher Rat für eine Islamische Revolution in Irak) und Muktada Sadr, ein scharfer Besatzungsgegner, dem Treffen fern.

Das gegenseitige Misstrauen wurde gleich am ersten Tag deutlich, als kurdische und schiitische Vertreter den Saal unter Protest verließen, nachdem Ibharim Menas al-Jussefi, ein irakischer Christ, den gesamten politischen Übergangsprozess in Irak als unrechtmäßig und von Washington gesteuert bezeichnete. Jawad al-Maliki, Sprecher der Islamischen Dawa Partei, beschuldigte ihn vor der internationalen Presse, er habe Millionen Iraker beleidigt, die für die neue Verfassung gestimmt hätten. Leute wie al-Jussefi »wollen, dass Irak wieder in die Zeit der Massengräber zurückkehrt«. Erst nach einer Entschuldigung von Al-Yussefi konnte das Treffen fortgesetzt werden.

Die Meinungen der Iraker, wer an einem Versöhnungsprozess beteiligt werden soll, gehen weit auseinander. Präsident Talabani machte in seiner Rede klar, dass es keine nationale Einheit mit den »Mördern und Kriminellen« des alten Regimes gebe, auch nicht mit religiösen Extremisten. Auch bewaffnete Akteure seien unakzeptabel. Talabani verteidigte die Unterstützung der Kurdenparteien und anderer ehemaliger Oppositionsgruppen für die USA-Invasion 2003. »Wir hatten keine andere Wahl als den Krieg«, sagte er. Widerspruch erhielt er von Harith al-Dhari vom Rat der Religionsgelehrten, der die Besatzung Iraks als Hauptproblem bezeichnete und einen Abzugsplan für die ausländischen Truppen forderte. Widerstand habe es immer gegeben, sagte er in Anspielung auf die 1920er Jahre, als sein Stamm, dem zwischen Falludscha und Bagdad Hunderttausende Menschen angehören, eine herausragende Rolle im Kampf gegen die britische Besatzung spielte.

Die eigentliche Irakische Versöhnungskonferenz ist für Anfang 2006 geplant. Strittig unter den Irakern ist weiterhin die Föderalstruktur der neuen Verfassung, die Situation in den irakischen und USA-Gefängnissen, der Abzug aller ausländischen Truppen sowie die rigorose Entbaathifizierungspolitik der Interimsregierung, die Hunderttausende arbeitslos macht. Ijad Allawi, Interimsministerpräsident bis Januar 2005, bietet einstigen Mitgliedern der Baathpartei, vor allem ehemaligen Militärs, die Mitarbeit in seiner Partei der »Nationalen Irakischen Versöhnung« an. 40 Offiziere hatten sich bereit erklärt, an der Versöhnungskonferenz mitzuwirken. Man wolle einen Plan vorlegen, wie ehemalige Offiziere und Einheiten der vom USA-Besatzungsverwalter Paul Bremer 2003 aufgelösten Armee wieder einbezogen werden können.

* Aus: Neues Deutschland, 21. November 2005


Aktuell

In Irak hat eine neue Welle der Gewalt mit mehr als 70 Toten ein Versöhnungstreffen führender irakischer Politiker in Kairo überschattet. Bei dem blutigsten Anschlag dieses Wochenendes riss ein Selbstmordattentäter am Samstag 35 Gäste einer schiitischen Trauerfeier mit in den Tod.

Polizeiangaben zufolge wurden bis zu 50 Menschen verletzt, als der Täter in Abu Saida rund 80 Kilometer nordöstlich von Bagdad seinen mit Sprengstoff beladenen Wagen in ein Zelt lenkte und sich darin in die Luft sprengte. Zuvor waren auf einem belebten Markt in Bagdad bei einem Autobombenattentat der Täter und 13 weitere Menschen ums Leben gekommen. In der schiitischen Pilgerstadt Kerbela ermordeten Unbekannte innerhalb von zwei Tagen fünf Mitglieder der offiziell aufgelösten Baath-Partei von Ex-Präsident Saddam Hussein.

In Basra starb am Sonntag ein britischer Soldat, vier seiner Kameraden wurden schwer verletzt, als ihr Auto von einer am Straßenrand versteckten Bombe zerstört wurde. Mit dem Anschlag stieg nach einer Liste des Senders BBC die Zahl der in Irak umgekommenen britischen Militärangehörigen auf 98. Die US-Armee berichtete, sechs ihrer Soldaten seien am Samstag bei Sprengstoffanschlägen in Bedschi und Haditha ums Leben gekommen.
Siehe unsere Chronik aktueller Eereignisse im Irak.


Irak-Krieg sorgt für Zoff im US-Kongreß

Nicht nur bei Demokraten, auch bei seinen eigenen Parteigängern stößt Bush auf zunehmende Kritik

Von Rainer Rupp

Der Stimmungswandel im US-Kongreß gegen George Bush, der sich seit Beginn des Irak-Kriegs langsam und kaum merklich vollzogen hat, wird inzwischen von einer solide Mehrheit der Abgeordneten getragen. In der Ablehnung der Kriegspolitik des Präsidenten sind sich inzwischen nicht nur zwei Drittel der US-Bevölkerung einig, auch im Kongreß führt das Thema jetzt regelmäßig zu erhitzten Debatten. Die New York Times leitete zum Wochenende ihren Bericht über die jüngste Sitzung des Kongresses mit folgenden Worten ein: »Republikaner und Demokraten schrien, heulten und warfen sich gegenseitig Beleidigungen an den Kopf, als am Freitag die Debatte des Repräsentantenhauses (des US-Kongresses) über einen amerikanischen Truppenabzug aus Irak in wütende Beschimpfungen darüber abglitt, wie Präsident Bush mit dem Irak-Krieg umgeht.« Zuvor hatte der Abgeordnete John Murtha den »sofortigen Abzug« amerikanischer Truppen aus Irak verlangt, die dort zum »Katalisator der Gewalt« geworden seien.

Bisher hatte der ranghöchste Demokrat im Verteidigungshaushaltsausschuß des Repräsentantenhauses und Kriegsfalke John Murtha standhaft an der Seite des republikanischen Präsidenten Bush gestanden. Nun aber bezeichnete der im Vietnam-Krieg hochdekorierter Marine den Irak-Krieg als »falsche Politik, eingebettet in Illusionen«. Als daraufhin die Republikanerin Jean Schmidt das Wort ergriff und Murtha eine telefonische Nachricht eines Obersten der Marines übermittelte, daß »nur Feiglinge davonlaufen, echte Marines aber nie«, drohte das Repräsentantenhaus im Chaos gegenseitiger Beleidigungen unterzugehen.

Aber die in letzter Zeit wachsende Ablehnung des Irak-Kriegs verläuft nicht nur entlang parteipolitischer Grenzen, sondern auch quer durch die Republikaner selbst. Als klares Zeichen der Unzufriedenheit der Konservativen hatte der republikanisch dominierte Senat am Dienstag vergangener Woche beschlossen, dem Verteidigungshaushaltsgesetz eine weitere Ergänzung anzuhängen, welche das Weiße Haus zwingt, eine Strategie zur Beendigung des Krieges auf den Tisch zu legen und in ausführlichen Berichten alle drei Monate nachzuweisen, daß die Stabilisierung des Iraks Fortschritte macht. Zugleich wurde verlangt, daß schon im nächsten Jahr mit der Übergabe der vollen Souveränität an die Iraker begonnen wird, damit diese die Hauptlast der Kämpfe übernehmen und so die Bedingungen für einen abgestuften US-Truppenabzug schaffen sollten.

* Aus: junge Welt, 21. November 2005


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