Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Die USA im Krieg

Von Eduardo Galeano

Den folgenden Beitrag hat Eduardo Galeano ("Die offenen Adern Lateinamerikas") im Dezember 2002 geschrieben. Wir dokumentieren ihn in einer deutschen Übersetzung. Zuvor hatten ehrenamtliche Übersetzer/innen des coorditrad@attac.org den Text ins Englischen übertragen.

Zeiten der Angst

Die Welt lebt in einem Zustand des permanenten Terrors - aber der Terror verbirgt sein Gesicht. Manche behaupten, Saddam Hussein stecke dahinter, er habe es satt, Feind Nr. 1 zu sein, andere führen den Schrecken auf Osama bin Laden zurück, jenem professionellen Handlungsreisenden in Sachen Angst. In Wirklichkeit steckt hinter der globalen Panik etwas, was sich 'der Markt' nennt. Und mit 'Markt' ist keineswegs der freundliche Tante-Emma-Laden an der Ecke gemeint, wo man sein Gemüse u. Obst kauft. Vielmehr hat dieser Markt kein Gesicht, er ist ein allmächtiger, omnipräsenter Terrorist, der sich aufführt, als wäre er Gott, und weil er meint, er ist Gott, glaubt er auch, es gäbe ihn ewig. Die Schar seiner Jünger schreit: "Vorsicht, der Markt ist nervös" u. warnt: "macht ja den Markt nicht böse". Das Sündenregister des Markts läßt viele vor Angst erzittern. Seine ganze Existenz scheint der Markt damit verbracht zu haben, Leuten die Nahrung zu rauben u. Jobs kaputtzumachen; er hat ganze Staaten als Geißeln genommen u. Kriege angezettelt. Um sein Produkt, den 'Krieg', an den Mann zu bringen, muss der Markt Angst streuen. Angst erzeugt noch mehr Angst. Tag für Tag sieht man die Zwillings- türme von New York erneut auf den TV-Bildschirmen kollabieren. Oder was ist mit der Bedrohung durch Anthrax? Einerseits hat die offizielle Ermittlungskommission nichts oder sogut wie nichts über jene tödlichen Briefe herausgefunden, gleichzeitig steigen die Militärausgaben, die Rüstungsschulden, der USA, in geradezu spektakulärer Weise. Die Unsum- men, die dieser Staat in seine Kriegsmaschinerie investiert, machen uns staunen. Die Summen, die hier in anderthalb Monaten ausgegeben werden, würden ausreichen, die ganze Welt zu ernähren - glaubt man den Zahlen der UN. Gibt der Markt das Startsignal, so schnellt der Zeiger auf der Angstskala in den 'roten Bereich', u. alle Ängste scheinen sich zu bewahrheiten. Kriege töten im Namen der Prävention, im Namen des Zweifels - Beweise sind unerheblich. Jetzt ist eben der Irak an der Reihe - u. wird erneut verurteilt. Eine einfache Rechnung: der Irak besitzt die zweitgrößten Erdöl-Reserven der Welt. Damit ist er im Besitz dessen, was der Markt so nötig braucht, um den Benzin-Bedarf einer verschwenderischen Konsum-Gesellschaft zu decken.

Spieglein, Spieglein an der Wand - wer ist der Schrecklichste im ganzen Land?

Die Weltmächte monopolisieren das Recht auf Massenvernichtungswaffen, so, als wäre es ihr natürliches Recht. Zur Zeit der Eroberung (des Kontinents) Amerika, als der globale Markt gerade erst am Enstehen war, starben wesentlich mehr Eingeborene durch Pocken u. Grippeviren, als durch Gewehrfeuer u. Schwert. Die europäischen Erobererer ver- danken den Sieg ihrer Invasion daher nicht zuletzt Viren u. Bazillen. Einige Jahrhunderte später stellen diese natürlichen Verbündeten erneut eine Zerstörungswaffe in den Händen der Weltmächte dar. Eine Hand voll Länder kontrolliert das Bio-Arsenal der ganzen Welt. Nur wenige Jahrzehnte ist es her, da gestatteten die USA Saddam Hussein, die Kurden mit Bio-Waffen zu bekämpfen. Damals war eben Saddam der Liebling der westlichen Welt, u. die Kurden konnte niemand leiden. Diese Waffen wurden übrigens Mithilfe von Lieferungen einer Firma aus Rockville/Maryland, USA, produziert.

Der Markt ruft nach Liberalisierung - nicht nur in militärischer sondern in jeglicher Hinsicht. Allerdings gilt diese Liberalisierung nicht für jedermann. Die Arsenale befinden sich in den Händen einiger weniger - u. das im Namen der Weltsicherheit. Saddam Hussein erschreckt die Menschen, die Welt hat Angst. Eines der schlimmsten Bedrohungs- szenarien: Irak könnte bakteriologische Waffen zum Einsatz bringen oder noch schlimmer, er könnte im Besitz von Atomwaffen sein. Ausgerechnet der Präsident jenes einzigen Landes der Welt, das je Atomwaffen gegen Zivilisten einsetzte, erklärt uns nun, die Menschheit könne diese (irakische) Bedrohung nicht länger hinnehmen. War es etwa der Irak, der in Hiroshima u. Nagasaki alte Menschen, Frauen u. Kinder tötete? Sehen Sie sich das neue Jahrtausend doch nur an: ganze Populationen müssen fürchten, morgen nichts mehr zu essen zu haben oder kein Dach über dem Kopf. Menschen wissen nicht mehr, was mit ihnen passiert, wenn sie krank werden oder einen Unfall erleiden. Ganze Populationen von Menschen fragen sich, werde ich morgen überhaupt noch Arbeit haben? Und wenn ja, wird man mich dann zwingen, doppelt soviel zu arbeiten? Wird meine Rente von den Schwankungen der Börse bzw. vom Inflations- teufel aufgefressen? Stadtbewohner fürchten sich vor neuen Angriffen in der Zukunft bzw. davor, an der nächsten Straßenecke ausgeraubt zu werden. Wird man in meine Wohnung einbrechen u. mir die Gurgel durch- schneiden? Die Landbevölkerung fragt sich, wielange können wir unser Land noch halten? Die Fischer fragen sich, ob sie in Zukunft wohl noch unverseuchte Flüsse u. Meere vorfinden werden. Einzelpersonen wie ganze Staaten wissen nicht mehr, wie sie ihre Schulden bezahlen sollen - zumal diese durch Wucherer in Zukunft noch mehr hochgeschraubt werden.

Steckt hinter alledem etwa Al-Kaida?

Die Wirtschaft tötet, ohne dass man davon in der Zeitung liest. So sterben beispielsweise weltweit jede Minute 12 Kinder an Hunger. Die Terrororganisation, die unsere Welt konstituiert (beschützt durch militärische Gewalt), läßt 1 Milliarde Menschen an chronischem Hunger leiden, während gleichzeitig 600.000 Menschen übergewichtig sind. Die Wirtschaft brummt, aber der Lebensstandard sinkt. Die Staaten Ecuador u. El Salvador haben den Dollar als Landeswährung eingeführt. Jetzt flieht die Bevölkerung. Nie haben diese Länder soviel Elend, soviel Emigration, gesehen. Dieser Export an Menschenmaterial ins Ausland, er erzeugt Trauer, Unruhe u. Gräben. 2001 schickten alle ecuadorianischen Arbeitsemigranten zusammen mehr Geld in ihre Heimat, als Ecuadors Gesamteinnahmen aus Bananen-, Shrimps-, Thunfisch-, Kaffee- u. Kakaoexport betrugen. Uruguay u. Argentinien verlieren ihre jungen Männer. Arbeitsemigranten (deren Großeltern ja einstmals in diese Länder eingewandert sind) hinterlassen zerstörte Familien, während sie selbst die schmerzenden Erinnerungen verdrängen müssen: "Doktor, meine Seele blutet. Welches Krankenhaus kann mich heilen?" In Argentinien gibt es eine Fernsehshow, in der der Hauptpreis in einem Job besteht. Die Kandidatenschlange ist endlos. Die Show sucht die entsprechenden Kandidaten aus, u. die Zuschauer stimmen ab. Es gewinnt derjenige mit dem tränenreichsten Auftritt, weil er das Publikum zum weinen bringt. Sony Pictures verkauft diese erfolgreiche Show jetzt schon weltweit. Was wird das für ein Job sein? Egal. Wie wird er bezahlt? Laß dich überraschen.

Die Verzweiflung der Arbeitslosen bzw. die Angst, den Job zu verlieren, bringt die Menschen dazu, selbst Inakzeptables zu akzeptieren. Auf diese Weise konnte sich weltweit das 'Modell WalMart' etablieren. Dieser US-Top-Konzern verbietet Gewerkschaften u. verlangt unbezahlte Überstunden. Der 'Markt' exportiert dieses lukrative System. Wobei gilt: je mieser der Zustand der nationalen Ökonomie, desto leichter läßt sich das Arbeitsrecht schreddern. Und mit ihm bleiben die übrigen Rechte auf der Strecke. So reift der Same des Chaos zur Frucht des Ordnungsstaats. Armut u. Müßiggang erzeugen Kriminalität, Kriminalität wiederum verbreitet Panik, was den Boden für noch Schlimmeres bereitet. So wird beispielsweise in Argentinien das Militär zur Verbrechensbe- kämpfung eingesetzt. Dabei ist das Militär selbst massivst ins Ver- brechen verwickelt. "Kommt und rettet uns vor der Kriminalität!" ruft ausgerechnet Carlos Menem, ein treuer Diener des 'Marktes' u. Ver- brechensexperte aus eigener Erfahrung - er war ja lange genug Präsident.

Billige Kosten, hohe Profite, keine Kontrollen. Ein Öltanker bricht entzwei und spuckt seine tödlich schwarze Fracht mitten ins Meer. Diese schwarze Masse schwimmt direkt an die galicische Küste, sogar noch weiter. Die weltweit profitabelsten Geschäfte - für gewöhnlich führen sie zu zwei Dingen: zu hohen Gewinnen auf der einen Seite u. 'Naturkatastrophen' auf der andern. Die giftigen Gase, die durch das Erdöl entstehen sind Hauptursache des Klimawandels u. des Ozonlochs (dieses Loch besitzt mittlerweile ungefähr die Größe der Vereinigten Staaten). In Äthopien u. andern afrikanischen Ländern haben Dürren zur größten Hungersnot seit 20 Jahren geführt - Millionen Menschen sind davon betroffen. Gleichzeitig wurden Deutschland u. mehrere andere europäische Länder von der schlimmsten Flutkatastrophe seit 50 Jahren heimgesucht. Und noch etwa entsteht durch Erdöl: Krieg. Armer Irak.

Brecha, Uruguay, im Dezember 2002

Übersetzund aus dem Englischen: Andrea Noll

Orginalartikel: "The USA Is At War"
http://www.zmag.de/article/article.php?id=410



Zurück zur Irak-Seite

Zur Terrorismus-Seite

Zur Globalisierungs-Seite

Zurück zur Homepage