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Pariser Überraschungscoup

Kouchner in Bagdad: Erstmals seit dem Bruch mit Washington im Vorfeld des US-Überfalls 2003 bereist ein französischer Spitzenpolitiker den besetzten Irak

Von Rainer Rupp *

Überraschend war der französische Außenminister Bernard Kouchner am Sonntag zu einem mehrtägigen Besuch in Bagdad eingetroffen. Nach dem jahrelangen Zerwürfnis zwischen Paris und ­Washington in der Irak-Frage wurde seine Reise als das bisher deutlichste Signal der Annäherung der ehemals konträren Positionen gesehen: Einen »lebenswichtigen Schub« für die US-Politik im besetzten Irak nannte es die New York Times am Montag. Und der Sprecher des Weißen Hauses, Gordon D. Johndroe, sah in der Initiative Kouchners »ein weiteres Zeichen des wachsenden internationalen Bedürfnisses, Irak dabei zu helfen, ein stabiles und sicheres Land zu werden«.

Nach Meinung der französischen Tageszeitung Libération (20.8.) steht die Reise des Außenministers »für einen klaren Bruch mit der Diplomatie« des früheren Präsidenten Jacques Chirac, der 2003 eine Beteiligung am Irak-Krieg verweigert hatte. Paris habe sich unter der Vorgängerregierung dann stets geweigert, sich »in die Verwaltung der Folgen eines angekündigten Desasters einzubringen«, und »keine Möglichkeit ausgelassen, einen Zeitplan für den Rückzug der amerikanischen Streitkräfte zu verlangen«.

Davon war nun in Bagdad nicht mehr die Rede. Statt dessen versuchte Kouchner, seine Intentionen zu relativieren: Die Irak-Reise unterstütze nicht etwa die US-Politik, sondern solle die Rolle der Vereinten Nationen im Zweistromland stärken. Alle Spekulationen, seine Visite hänge mit den US-Ferien des französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy und dessen Besuch auf dem Anwesen der Bush-Familie zu tun, wies er kategorisch zurück. Das neue Irak-Engagement sei von ihm selbst ausgegangen – »ich würde lügen, wenn ich sagen würde, daß diese Initiative nicht von mir stammt«, so Kouchner. Dieser hatte bereits in der Vergangenheit als Politiker und Mitgründer der Hilfsorganisation ­»Médecins Sans Frontières« (Ärzte ohne Grenzen) eine üble Rolle gespielt und der bewaffneten, »humanitären Intervention« bei der Zerschlagung Jugoslawiens das Wort geredet. Auch die »humanitäre Intervention« der USA im Irak hatte er begrüßt – im Gegensatz zu seinen Landsleuten.

Voller Dankbarkeit lobte nun in Bagdad sein irakischer Amtskollegen Hoshayr Al Zebari den Einstaz von Kouchner. Der sah sich schließlich sogar zu einer kleinen Distanzierung von seiner eigenen Position genötigt: Dem Konzept der »humanitären Interventionen« hänge er zwar immer noch an, aber er habe »sich niemals vorstellen können, daß es (von den USA) auf diese Weise mißbraucht werden könnte«. Da man aber keine Möglichkeit habe, von vorne anzufangen, müßte »jetzt diese Seite umgeblättert werden«, so Kouchner. Es sei für die Region »sehr wichtig«, daß die drei Gemeinschaften aus Schiiten, Sunniten und Kurden im Irak sich verständigten, meinte er nach einem Treffen mit Iraks Präsident Dschalal Talabani. »Diese Lösung wird – so hoffen wir – über eine stärkere Beteiligung der Vereinten Nationen erfolgen.« Neben Talabani traf Kouchner am Montag auch die beiden Vizepräsidenten Tarik Al Haschemi und Adel Abdel Mahdi. Eine Begegnung mit dem Präsidenten der autonomen kurdischen Region im Norden, Massud Barsani, war gleichfalls geplant.

Dagegen vermied es der französische Außenminister, während seines Aufenthalts mit US-Amtsträgern zusammenzutreffen. Allerdings kam er nicht umhin, sich in die von den USA zur Festung ausgebaute und gesicherte »Grünen Zone« begeben, wo auch die irakische Regierung Zuflucht genommen hat. Sozusagen unter US-Bewachung betonte er auch dort, daß die UN-Position gestärkt werden müsse und forderte andere EU-Länder auf, mit ähnlichen Initiativen Frankreichs Beispiel zu folgen. »Je mehr Irak sich der UNO zuwendet, desto mehr wird Frankreich Irak unterstützen«, so Kouchner, der einen Fakt bewußt ausklammerte: Insbesondere die Besatzungsmächte USA und Großbritannien waren es, die im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen eine Verstärkung der UN-Präsenz gefordert hatten.

* Aus: junge Welt, 21. August 2007


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