Er denkt wohl, alles sei vorüber ... / So He Thinks It's All Over ...
George Bush verkündete das Ende des Kriegs - aber erzählen Sie das mal den Schiiten und der Badr-Brigade! / George Bush Has announced the End of the War but try telling that to the Shias and the Badr Brigade
Der streitbare britische Journalist Robert Fisk, bekannt für seine regelmäßigen Reportagen und Analysen im "Independent", veröffentlichte Anfang 2003 im "Guardian" einen höchst anregenden Artikel über die unsichere Lage und die noch unsicheren Perspektiven im "Nachkriegs"-Irak. So bezweifelt er eingangs sogar, ob der Krieg tatsächlich - wie vom US-Präsidenten in seiner spektakulären
Rede auf dem Flugzeugträger "Abraham Lincoln" verkündet wurde - schon zu Ende sei. Es lohne ein Blick auf die Ansprache, die Verteidigungsminister Rumsfeld einen Tag davor zu US-Truppen gehalten hat.
Zwar habe auch diese Rede jede Menge der üblichen Mythen in die Welt gesetzt: von den vielen Irakern etwa, die sich massenhaft bei den Amerikanern für die Befreiung Bagdads bedankt hätten oder vom schnellsten Vormarsch in eine Hauptstadt in der modernen Kriegsgeschichte. Doch das Wichtigste sagte er erst am Ende seiner Rede. Die Amerikaner müssten noch die terroristischen Netzwerke ausrotten, die in diesem Land operierten. Welche Terrornetzwerke?, fragt Robert Fisk. Wer sollte denn dahinter stecken? Und Fisks Antwort darauf: "Ich habe eine gute Idee. Sie (die Terrornetzwerke) mögen tatsächlich noch nicht existieren. Aber Donald Rumsfeld weiß (und hat es vom US-Geheimdienst gesagt bekommen), dass im Irak eine wachsende Widerstandsbewegung gegen die US-Okkupation heranreift. Die Schiitische Gemeinde, die zur Zeit von Tausenden irakischen Milizionären (der sog. Badr-Brigade) unterstützt wird, die im Iran ausgebildet werden, ist davon überzeugt, dass die USA nur wegen des Öls im Irak sind." Hinzu komme die Behandlung der irakischen Bevölkerung durch US-Truppen. Innerhalb von drei Tagen seien in der vergangenen Woche 17 sunnitische Demonstranten erschossen worden, zwei von ihnen waren nicht älter als 11 Jahre. Auch habe Washington bisher keinen Eindruck gemacht mit seinen Versuchen eine "Interims"-Regierung zusammenzukriegen. Diese Skepsis habe es bereits während des Krieges gegeben. Zwar wollten viele Schiiten den Diktator Saddam loswerden, aber ebenso wünschen sie sich den Abzug der Amerikaner. Dazu ist sicher auch noch die Information interessant, dass der Großteil der zivilen Opfer Schiiten waren, vor allem in der Gegend von Nasiriyah und Hillah. Auch aus diesem Grund sind die Amerikaner in Bagdad nicht "mit Blumen und Musik" willkommen geheißen worden. Präsident Bush hat in seiner oben erwähnten Rede gesagt: Wenn die Iraker in die Gesichter der amerikanischen Soldaten schauen, dann würden sie "Stärke, Freundlichkeit und guten Willen" sehen. Fisk dazu: "Falsch, Herr Bush. Sie sehen die Besatzung."
Heute könne man eine Reihe "vertrauter Meilensteine" im Fortschreiten der Besatzung erkennen, fährt Fisk sarkastisch fort: Eine Serie brutaler Unfälle, für welche die Amerikaner natürlich niemals die Schuld haben - so wie die israelische Besatzung nicht schuld ist an der Tötung von Zivilisten in der Westbank und im Gazastreifen! Fisk erinnert an den Fahrer und den alten Mann, die an einem Checkpoint in der Nähe Bagdads erschossen wurden, oder an das Mädchen und die junge Frau, die dabei schwer verletzt wurden. An die Familie, die in ihrem Auto im Südirak erschossen wurde, an die getöteten Kameraleute im Palestine-Hotel, an die 15 Iraker, darunter ein Kind, die in Faludscha erschossen wurden. Für die Amerikaner habe es sich in all diesen Fällen um "Selbstverteidigung" gehandelt. Eine "seltsame" Behauptung, wenn man bedenkt, dass bei all diesen Vorfällen so gut wie kein US-Soldat ernsthaft verletzt worden war. Es können also nicht viele Iraker gewesen sein, die eine Waffe gegen die Besatzer erhoben hätten.
Fisk vermutet aber, das die Zahl der Iraker, die sich gegen die Amerikaner bewaffnen, schon bald vergrößern werde. Schon heute gibt es eine große Zahl von Schiiten, welche die Libanesische Hisbollah bewundern. Viele von ihnen verstehen sich auf diese Art des Guerillakampfes, viele sind im Iran ausgebildet oder durch die Schule der Folterkammern Saddams gegangen. Diese Schiiten werden nicht auf die Befehle von Jay Garner hören, von dem wohlbekannt ist, dass er sich bei seinem kurzen Ausflug nach Israel voller Bewunderung für das Vorgehen der israelischen Armee in den besetzten Gebieten geäußert hat. Und jeder wisse, dass die US-Firmen auf dem Sprung sind, Millionengewinne aus dem zerstörten Land herauszuholen. So habe die US-Agentur für Internationale Entwicklung amerikanische Multis eingeladen, Aufträge einzuwerben vom Straßenbau bis zu neuen Schulbüchern. (Fisk nennt zwei US-Firmen, die bereits Zuschläge erhalten haben.)
Das Resüme von Fisk lautet: Der Irak heute habe keinerlei Ähnlichkeit mit irgendeiner Möchtegern-Demokratie, sondern ähnelt eher dem Zustand Griechenlands 1944, als die Briten die deutsche Besatzung beendeten. Hitler hatte - so wie Saddam - dafür gesorgt, dass jede Menge überflüssiger Waffen herumlagen, mit der man einen Guerilla-Widerstand gegen die neuen Herren ausrüsten konnte. Churchill unterstützte die nationalistische Regierung von George Papandreou - der griechische Ahmed Chalabi sozusagen -, doch die Kommunisten wollten an die Macht. Sie waren es gewesen, die gegen die Nazis seit deren Invasion 1941 gekämpft hatten, und wie viele Schiiten im Irak heute fürchteten sie, dass sie von der Macht ausgeschlossen werden sollten.
So verwandelte sich die Befreiung Athens sehr schnell in einen offenen Kampf zwischen britischen Truppen (gleich den Amerikanern heute im Irak) und den Kommunisten, die jahrelang von der Sowjetunion unterstützt worden waren. Für Russland damals kann man den Iran heute nehmen. Schließlich wurde in Athen das Kriegsrecht verhängt. Nach vielen Schlachten und Vermittlungsversuchen gelang es schließlich Churchill nur durch ein Agreement mit Stalin, die Ordnung wiederherzustellen. Das Agreement mit Stalin bestand darin, dass Griechenland in der Nachkriegsordnung der westlichen Hemisphäre zugeschlagen werden sollte. "Den Preis dafür zahlten Bulgarien, Ungarn, Polen und andere osteuropäische Länder", meint Fisk.
Ein interessanter historischer Vergleich, wenngleich er - wie alle solche Vergleiche - nicht genau zutrifft. Das räumt Fisk denn auch ein. Die wesentliche Differenz zwischen Irak und Griechenland ist die, dass die Macht, die damals London aus der Bredouille half (die Sowjetunion), heute der Iran sein soll. Und Iran ist selbst Teil der "Achse des Bösen" von George Bush und muss fürchten, das nächste Opfer des US-Krieges gegen den Terror zu sein.
Am Ende seines Artikels erinnert Fisk noch einmal an das Wort von Bush, wonach der Krieg vorüber sei. Gleichzeitig beginnt der schiitische Widerstand den Amerikanern im Irak Schläge zu versetzen (to bite). Und genau davor wird Rumsfelds gewarnt haben: vor den Aktionen der "terroristischen Netzwerken", die es im Irak geben soll und die nach wie vor bekämpft werden müssten. Der Iran - zweifellos auch Syrien - wird beschuldigt werden diese Terroristen zu unterstützen. Die Franzosen - eine weitere historische Analogie, an die Fisk erinnert - taten genaus dasselbe in ihrem Krieg gegen die Nationale Befreiungsfront in Algerien. Damals wurden Tunesien und Ägypten der Unterstützung angeklagt. "Machen wir uns also auf Teil Zwei des Irakkrieges gefasst, der sich auf wundersame Weise in die nächste Stufe des ‚Kriegs gegen den Terror' verwandelt haben wird", schließt Fisk seinen Artikel ab.
P. Strutynski
So He Thinks It's All Over ....
George Bush Has announced the End of the War but try telling that to
the Shias and the Badr Brigade
BY ROBERT FISK
So, it's the end of the war in Iraq, is it? If anyone
thinks George Bush Jnr could pass that one off aboard
the aircraft carrier Abraham Lincoln last week - "major
combat operations have ended" was the expression he
used on Thursday night - they should take a closer look
at Secretary of Defence Rumsfeld's cosy, sinister
little speech to US troops in Baghdad a day earlier.
It was filled with all the usual myth-making: the
"many" Iraqis who flocked to welcome the Americans on
their "liberation" of Baghdad, the "fastest march on a
capital in modern military history" (which the Israelis
achieved in three days in 1982). But the key line was
slipped in at the end. The Americans, he said, still
had "to root out the terrorist networks operating in
this country". What? What terrorist networks? And who,
one may ask, are behind these mysterious terrorist
networks "operating" in Iraq? I have a pretty good
idea. They may not actually exist yet. But Donald
Rumsfeld knows (and he has been told by US
intelligence) that a growing resistance movement to
America's occupation is gestating in Iraq. The Shia
Muslim community, now supported by thousands of Badr
Brigade Iraqis trained in Iran, believes the US is in
Iraq for its oil. It is furious at America's treatment
of Iraq's citizens; in three days last week at least 17
Sunni demonstrators were killed, two of them less than
11 years old. And it is not impressed by Washington's
attempts to cobble together an "interim" pro-American
government. Even during the war, you could hear the
same sentiments. Yes, the Shias would tell us, the
Americans can get rid of Saddam. No one doubted his
viciousness. But, always, this sentiment was followed
by a desire to see the back of the Americans. Most of
the civilian victims of American and British bombs were
Shias, especially around Nasiriyah and Hillah. Which is
another reason why the Americans did not arrive in
Baghdad - where a US armoured vehicle pulled down the
famous statue of Saddam - to be greeted by flowers and
music. When Iraqi civilians look into the faces of
American troops, President Bush famously told the world
on Thursday, "they see strength and kindness and
goodwill". Untrue, Mr Bush. They see occupation.
Already it is possible to identify some familiar
landmarks in the progress of occupation: a series of
brutal incidents for which the Americans are never,
ever, to blame. Just like the Israeli occupation of the
West Bank and Gaza, the killing of civilians is never
the fault of the occupiers. The driver and the old man
shot and killed by US forces near a checkpoint in
Baghdad, and the little girl and the young woman badly
wounded whose tragedy Channel 4 witnessed, received no
apology from the United States. A family is shot in its
car in southern Iraq; cameramen are killed in the
Palestine Hotel; 15 Iraqis, including at least one
child, are gunned down in Falujah. For the Americans,
it is always "self-defence". Though, strangely, few if
any Americans have been seriously wounded in these
incidents. Of course, there must be gunmen shooting at
the Americans. But the evidence suggests there aren't
very many. The evidence also suggests that very soon,
there are going to be a lot more. You have only to
observe how deeply the Iraqi Shias admire the Lebanese
Hizbollah to understand how well they comprehend the
art of guerrilla resistance. Succoured by Iran - or
schooled in Saddam's torture chambers - they are not
going to take orders from ex-General Jay Garner, whose
all-expenses-paid trip to Israel to express his
admiration for the Israeli army's "restraint" in the
Palestinian occupied territories is well known in Iraq.
And they realise full well that America's big
corporations are preparing to make millions from their
broken country.
Without waiting for any "interim" government to take
such decisions, the US Agency for International
Development has invited American multinationals to bid
for everything from road rebuilding to new text books.
A US company, Stevedoring Services of America, has
already gobbled up the $ 4.8m (pounds 3m) management
contract for the port at Um Qasr. US oil executives,
many of them chums of George Bush and his
administration, are expected to visit the Iraqi oil
ministry (one of only two Iraqi ministries that the
Americans miraculously saved from arsonists) within a
week.
No, Iraq today resembles not some would-be democracy
but rather the tragedy that greeted the British when
the German occupation of Greece ended in 1944. Hitler,
like Saddam, had ensured there were plenty of abandoned
weapons lying around to fuel a guerrilla resistance
against the new rulers. Churchill supported the
nationalist government of George Papandreou - the Ahmed
Chalabi of Greece - but the Elas Communist guerrillas
wanted power. They had fought the Nazis since Germany's
1941 invasion and, like many of the Muslim Shia today,
feared that they were going to be excluded from power
by a new pro-Allied regime.
So the "liberation" of Athens quickly turned into a
pitched battle between British troops (for which read
the Americans in Iraq) and the Communists, who had
received years of support from the Soviet Union. For
Russia then, read Iran now. Claiming that he stood for
freedom, Churchill remarked that "democracy is no
harlot to be picked up in the street by a man with a
tommy-gun". But when martial law was imposed by the
British (something the Americans may have to consider)
Churchill less charitably told the British commander in
a secret message that he should "not hesitate to act as
if you were in a conquered city". In various battles,
there were attempts to find a mediator - not unlike the
desperate meetings in Falujah last week between Iraqis
and Americans. In the event, Churchill was able to
restore order only because he had secretly obtained
Stalin's agreement that Greece should remain in the
Western sphere of Europe. Bulgaria, Hungary, Poland and
other eastern European countries paid the price.
The parallels are not exact, of course, and a critical
difference today is that the nation which might be able
to help Washington, as the Soviets helped London, is
Iran. And Iran, far from being an uneasy ally, is part
of President Bush's "axis of evil", which fears that it
may be next on America's hit list. So here is a little
prediction.
Mr Bush says the war is over, or words to that effect.
Then Shia resistance begins to bite the Americans in
Iraq. Of course, Mr Rumsfeld will have warned of this:
it will be characterised as the famous "terrorist
networks" which still have to be fought in Iraq. And
Iran - and no doubt Syria - will be accused of
supporting these "terrorists". The French did much the
same in their 1954-62 war against the FLN in Algeria.
Tunisia was to blame. Egypt was to blame. So stand by
for part two of the Iraq war, transmogrified into the
next stage of the "war on terror".
May 4, 2003
The Guardian (UK)
http://news.independent.co.uk/world/fisk/story.jsp?story=402897
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