Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Er denkt wohl, alles sei vorüber ... / So He Thinks It's All Over ...

George Bush verkündete das Ende des Kriegs - aber erzählen Sie das mal den Schiiten und der Badr-Brigade! / George Bush Has announced the End of the War but try telling that to the Shias and the Badr Brigade

Der streitbare britische Journalist Robert Fisk, bekannt für seine regelmäßigen Reportagen und Analysen im "Independent", veröffentlichte Anfang 2003 im "Guardian" einen höchst anregenden Artikel über die unsichere Lage und die noch unsicheren Perspektiven im "Nachkriegs"-Irak. So bezweifelt er eingangs sogar, ob der Krieg tatsächlich - wie vom US-Präsidenten in seiner spektakulären Rede auf dem Flugzeugträger "Abraham Lincoln" verkündet wurde - schon zu Ende sei. Es lohne ein Blick auf die Ansprache, die Verteidigungsminister Rumsfeld einen Tag davor zu US-Truppen gehalten hat.

Zwar habe auch diese Rede jede Menge der üblichen Mythen in die Welt gesetzt: von den vielen Irakern etwa, die sich massenhaft bei den Amerikanern für die Befreiung Bagdads bedankt hätten oder vom schnellsten Vormarsch in eine Hauptstadt in der modernen Kriegsgeschichte. Doch das Wichtigste sagte er erst am Ende seiner Rede. Die Amerikaner müssten noch die terroristischen Netzwerke ausrotten, die in diesem Land operierten. Welche Terrornetzwerke?, fragt Robert Fisk. Wer sollte denn dahinter stecken? Und Fisks Antwort darauf: "Ich habe eine gute Idee. Sie (die Terrornetzwerke) mögen tatsächlich noch nicht existieren. Aber Donald Rumsfeld weiß (und hat es vom US-Geheimdienst gesagt bekommen), dass im Irak eine wachsende Widerstandsbewegung gegen die US-Okkupation heranreift. Die Schiitische Gemeinde, die zur Zeit von Tausenden irakischen Milizionären (der sog. Badr-Brigade) unterstützt wird, die im Iran ausgebildet werden, ist davon überzeugt, dass die USA nur wegen des Öls im Irak sind." Hinzu komme die Behandlung der irakischen Bevölkerung durch US-Truppen. Innerhalb von drei Tagen seien in der vergangenen Woche 17 sunnitische Demonstranten erschossen worden, zwei von ihnen waren nicht älter als 11 Jahre. Auch habe Washington bisher keinen Eindruck gemacht mit seinen Versuchen eine "Interims"-Regierung zusammenzukriegen. Diese Skepsis habe es bereits während des Krieges gegeben. Zwar wollten viele Schiiten den Diktator Saddam loswerden, aber ebenso wünschen sie sich den Abzug der Amerikaner. Dazu ist sicher auch noch die Information interessant, dass der Großteil der zivilen Opfer Schiiten waren, vor allem in der Gegend von Nasiriyah und Hillah. Auch aus diesem Grund sind die Amerikaner in Bagdad nicht "mit Blumen und Musik" willkommen geheißen worden. Präsident Bush hat in seiner oben erwähnten Rede gesagt: Wenn die Iraker in die Gesichter der amerikanischen Soldaten schauen, dann würden sie "Stärke, Freundlichkeit und guten Willen" sehen. Fisk dazu: "Falsch, Herr Bush. Sie sehen die Besatzung."

Heute könne man eine Reihe "vertrauter Meilensteine" im Fortschreiten der Besatzung erkennen, fährt Fisk sarkastisch fort: Eine Serie brutaler Unfälle, für welche die Amerikaner natürlich niemals die Schuld haben - so wie die israelische Besatzung nicht schuld ist an der Tötung von Zivilisten in der Westbank und im Gazastreifen! Fisk erinnert an den Fahrer und den alten Mann, die an einem Checkpoint in der Nähe Bagdads erschossen wurden, oder an das Mädchen und die junge Frau, die dabei schwer verletzt wurden. An die Familie, die in ihrem Auto im Südirak erschossen wurde, an die getöteten Kameraleute im Palestine-Hotel, an die 15 Iraker, darunter ein Kind, die in Faludscha erschossen wurden. Für die Amerikaner habe es sich in all diesen Fällen um "Selbstverteidigung" gehandelt. Eine "seltsame" Behauptung, wenn man bedenkt, dass bei all diesen Vorfällen so gut wie kein US-Soldat ernsthaft verletzt worden war. Es können also nicht viele Iraker gewesen sein, die eine Waffe gegen die Besatzer erhoben hätten.

Fisk vermutet aber, das die Zahl der Iraker, die sich gegen die Amerikaner bewaffnen, schon bald vergrößern werde. Schon heute gibt es eine große Zahl von Schiiten, welche die Libanesische Hisbollah bewundern. Viele von ihnen verstehen sich auf diese Art des Guerillakampfes, viele sind im Iran ausgebildet oder durch die Schule der Folterkammern Saddams gegangen. Diese Schiiten werden nicht auf die Befehle von Jay Garner hören, von dem wohlbekannt ist, dass er sich bei seinem kurzen Ausflug nach Israel voller Bewunderung für das Vorgehen der israelischen Armee in den besetzten Gebieten geäußert hat. Und jeder wisse, dass die US-Firmen auf dem Sprung sind, Millionengewinne aus dem zerstörten Land herauszuholen. So habe die US-Agentur für Internationale Entwicklung amerikanische Multis eingeladen, Aufträge einzuwerben vom Straßenbau bis zu neuen Schulbüchern. (Fisk nennt zwei US-Firmen, die bereits Zuschläge erhalten haben.)

Das Resüme von Fisk lautet: Der Irak heute habe keinerlei Ähnlichkeit mit irgendeiner Möchtegern-Demokratie, sondern ähnelt eher dem Zustand Griechenlands 1944, als die Briten die deutsche Besatzung beendeten. Hitler hatte - so wie Saddam - dafür gesorgt, dass jede Menge überflüssiger Waffen herumlagen, mit der man einen Guerilla-Widerstand gegen die neuen Herren ausrüsten konnte. Churchill unterstützte die nationalistische Regierung von George Papandreou - der griechische Ahmed Chalabi sozusagen -, doch die Kommunisten wollten an die Macht. Sie waren es gewesen, die gegen die Nazis seit deren Invasion 1941 gekämpft hatten, und wie viele Schiiten im Irak heute fürchteten sie, dass sie von der Macht ausgeschlossen werden sollten.

So verwandelte sich die Befreiung Athens sehr schnell in einen offenen Kampf zwischen britischen Truppen (gleich den Amerikanern heute im Irak) und den Kommunisten, die jahrelang von der Sowjetunion unterstützt worden waren. Für Russland damals kann man den Iran heute nehmen. Schließlich wurde in Athen das Kriegsrecht verhängt. Nach vielen Schlachten und Vermittlungsversuchen gelang es schließlich Churchill nur durch ein Agreement mit Stalin, die Ordnung wiederherzustellen. Das Agreement mit Stalin bestand darin, dass Griechenland in der Nachkriegsordnung der westlichen Hemisphäre zugeschlagen werden sollte. "Den Preis dafür zahlten Bulgarien, Ungarn, Polen und andere osteuropäische Länder", meint Fisk.

Ein interessanter historischer Vergleich, wenngleich er - wie alle solche Vergleiche - nicht genau zutrifft. Das räumt Fisk denn auch ein. Die wesentliche Differenz zwischen Irak und Griechenland ist die, dass die Macht, die damals London aus der Bredouille half (die Sowjetunion), heute der Iran sein soll. Und Iran ist selbst Teil der "Achse des Bösen" von George Bush und muss fürchten, das nächste Opfer des US-Krieges gegen den Terror zu sein.

Am Ende seines Artikels erinnert Fisk noch einmal an das Wort von Bush, wonach der Krieg vorüber sei. Gleichzeitig beginnt der schiitische Widerstand den Amerikanern im Irak Schläge zu versetzen (to bite). Und genau davor wird Rumsfelds gewarnt haben: vor den Aktionen der "terroristischen Netzwerken", die es im Irak geben soll und die nach wie vor bekämpft werden müssten. Der Iran - zweifellos auch Syrien - wird beschuldigt werden diese Terroristen zu unterstützen. Die Franzosen - eine weitere historische Analogie, an die Fisk erinnert - taten genaus dasselbe in ihrem Krieg gegen die Nationale Befreiungsfront in Algerien. Damals wurden Tunesien und Ägypten der Unterstützung angeklagt. "Machen wir uns also auf Teil Zwei des Irakkrieges gefasst, der sich auf wundersame Weise in die nächste Stufe des ‚Kriegs gegen den Terror' verwandelt haben wird", schließt Fisk seinen Artikel ab.

P. Strutynski


So He Thinks It's All Over ....

George Bush Has announced the End of the War but try telling that to the Shias and the Badr Brigade

BY ROBERT FISK


So, it's the end of the war in Iraq, is it? If anyone thinks George Bush Jnr could pass that one off aboard the aircraft carrier Abraham Lincoln last week - "major combat operations have ended" was the expression he used on Thursday night - they should take a closer look at Secretary of Defence Rumsfeld's cosy, sinister little speech to US troops in Baghdad a day earlier.

It was filled with all the usual myth-making: the "many" Iraqis who flocked to welcome the Americans on their "liberation" of Baghdad, the "fastest march on a capital in modern military history" (which the Israelis achieved in three days in 1982). But the key line was slipped in at the end. The Americans, he said, still had "to root out the terrorist networks operating in this country". What? What terrorist networks? And who, one may ask, are behind these mysterious terrorist networks "operating" in Iraq? I have a pretty good idea. They may not actually exist yet. But Donald Rumsfeld knows (and he has been told by US intelligence) that a growing resistance movement to America's occupation is gestating in Iraq. The Shia Muslim community, now supported by thousands of Badr Brigade Iraqis trained in Iran, believes the US is in Iraq for its oil. It is furious at America's treatment of Iraq's citizens; in three days last week at least 17 Sunni demonstrators were killed, two of them less than 11 years old. And it is not impressed by Washington's attempts to cobble together an "interim" pro-American government. Even during the war, you could hear the same sentiments. Yes, the Shias would tell us, the Americans can get rid of Saddam. No one doubted his viciousness. But, always, this sentiment was followed by a desire to see the back of the Americans. Most of the civilian victims of American and British bombs were Shias, especially around Nasiriyah and Hillah. Which is another reason why the Americans did not arrive in Baghdad - where a US armoured vehicle pulled down the famous statue of Saddam - to be greeted by flowers and music. When Iraqi civilians look into the faces of American troops, President Bush famously told the world on Thursday, "they see strength and kindness and goodwill". Untrue, Mr Bush. They see occupation.

Already it is possible to identify some familiar landmarks in the progress of occupation: a series of brutal incidents for which the Americans are never, ever, to blame. Just like the Israeli occupation of the West Bank and Gaza, the killing of civilians is never the fault of the occupiers. The driver and the old man shot and killed by US forces near a checkpoint in Baghdad, and the little girl and the young woman badly wounded whose tragedy Channel 4 witnessed, received no apology from the United States. A family is shot in its car in southern Iraq; cameramen are killed in the Palestine Hotel; 15 Iraqis, including at least one child, are gunned down in Falujah. For the Americans, it is always "self-defence". Though, strangely, few if any Americans have been seriously wounded in these incidents. Of course, there must be gunmen shooting at the Americans. But the evidence suggests there aren't very many. The evidence also suggests that very soon, there are going to be a lot more. You have only to observe how deeply the Iraqi Shias admire the Lebanese Hizbollah to understand how well they comprehend the art of guerrilla resistance. Succoured by Iran - or schooled in Saddam's torture chambers - they are not going to take orders from ex-General Jay Garner, whose all-expenses-paid trip to Israel to express his admiration for the Israeli army's "restraint" in the Palestinian occupied territories is well known in Iraq. And they realise full well that America's big corporations are preparing to make millions from their broken country.

Without waiting for any "interim" government to take such decisions, the US Agency for International Development has invited American multinationals to bid for everything from road rebuilding to new text books. A US company, Stevedoring Services of America, has already gobbled up the $ 4.8m (pounds 3m) management contract for the port at Um Qasr. US oil executives, many of them chums of George Bush and his administration, are expected to visit the Iraqi oil ministry (one of only two Iraqi ministries that the Americans miraculously saved from arsonists) within a week.

No, Iraq today resembles not some would-be democracy but rather the tragedy that greeted the British when the German occupation of Greece ended in 1944. Hitler, like Saddam, had ensured there were plenty of abandoned weapons lying around to fuel a guerrilla resistance against the new rulers. Churchill supported the nationalist government of George Papandreou - the Ahmed Chalabi of Greece - but the Elas Communist guerrillas wanted power. They had fought the Nazis since Germany's 1941 invasion and, like many of the Muslim Shia today, feared that they were going to be excluded from power by a new pro-Allied regime.

So the "liberation" of Athens quickly turned into a pitched battle between British troops (for which read the Americans in Iraq) and the Communists, who had received years of support from the Soviet Union. For Russia then, read Iran now. Claiming that he stood for freedom, Churchill remarked that "democracy is no harlot to be picked up in the street by a man with a tommy-gun". But when martial law was imposed by the British (something the Americans may have to consider) Churchill less charitably told the British commander in a secret message that he should "not hesitate to act as if you were in a conquered city". In various battles, there were attempts to find a mediator - not unlike the desperate meetings in Falujah last week between Iraqis and Americans. In the event, Churchill was able to restore order only because he had secretly obtained Stalin's agreement that Greece should remain in the Western sphere of Europe. Bulgaria, Hungary, Poland and other eastern European countries paid the price.

The parallels are not exact, of course, and a critical difference today is that the nation which might be able to help Washington, as the Soviets helped London, is Iran. And Iran, far from being an uneasy ally, is part of President Bush's "axis of evil", which fears that it may be next on America's hit list. So here is a little prediction.

Mr Bush says the war is over, or words to that effect. Then Shia resistance begins to bite the Americans in Iraq. Of course, Mr Rumsfeld will have warned of this: it will be characterised as the famous "terrorist networks" which still have to be fought in Iraq. And Iran - and no doubt Syria - will be accused of supporting these "terrorists". The French did much the same in their 1954-62 war against the FLN in Algeria. Tunisia was to blame. Egypt was to blame. So stand by for part two of the Iraq war, transmogrified into the next stage of the "war on terror".

May 4, 2003
The Guardian (UK)

http://news.independent.co.uk/world/fisk/story.jsp?story=402897


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