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Folgenreicher Streit um Iraks Öl

Kurden bieten der Bagdader Zentralregierung die Stirn

Von Jan Keetman, Istanbul *

Als am 22. Oktober die kurdische Regionalregierung in Erbil (kurdisch Hawler) den Entwurf eines eigenen Ölgesetzes veröffentlichte, war das Ausdruck einer Machtdemonstration der Kurden gegen die irakische Zentralregierung in Bagdad.

Das neue Gesetz, das vom kurdischen Regionalparlament beschlossen werden soll, gibt den Kurden das letzte Wort bei neuen Förderverträgen in ihrer Region. Der Minister für natürliche Ressourcen in der kurdischen Regionalregierung, Ashti Hawrami, hält zwar Konsultationen, Koordination und Planung zusammen mit Bagdad für möglich, »aber die letzte Autorität liegt bei den Kurden.«

In Bagdad schreibt man indessen an einem Ölgesetz für ganz Irak. Ende September hatte der dortige Ölminister Hussein al-Shahristani in der staatlichen Tageszeitung »Al-Sabah« bereits angekündigt, Verträge, die ausländische Ölgesellschaften für Gebiete im Norden Iraks ohne Zustimmung der Zentralregierung abgeschlossen haben, würden überprüft. Angeblich sollen solche Firmen auch auf eine schwarze Liste kommen und damit von Ölbohrungen im Süden ausgeschlossen werden. Betroffen sind die norwegische DNO und zwei türkische Firmen, PetOil und Genel Enerji. Während der türkische Staat darauf aus ist, dass die Kurden in Irak möglichst wenig Selbstständigkeit bekommen, verfahren türkische Geschäftsleute pragmatisch und halten sich an die Leute, mit denen sie Geschäfte machen können – und das sind derzeit eben die Kurden. Beide Seiten im irakischen Ölstreit wähnen die Verfassung auf ihrer Seite. Darin steht, dass die Öl- und Gasreichtümer das Eigentum aller in Irak sind. Daraus ließe sich ableiten, dass die Zentralregierung die Ölfelder zu verwalten und die Einnahmen unter allen zu verteilen hätte. Doch als die Verfassung geschrieben wurde, saßen Kurden mit am Tisch, und also wurde gleich darauf festgehalten, dass die Zentralregierung die Ölfelder »in Verbindung« mit den Regionalregierungen verwaltet. Ausgeklammert wurden Ölfelder, die noch zu erschließen sind. Nun wirft der Chef der kurdischen Regionalregierung, Nechirwan Barsani, ein Neffe des Kurdenführers Masud Barsani, dem Ölminister in Bagdad Verfassungsbruch vor.

Tatsächlich geht es bei dem Streit um die Macht: Die Kurden kontrollieren drei bis vier Provinzen im Norden und sitzen überdies in der Bagdader Koalitionsregierung, die ihren Rückzug wohl kaum überstehen würde. Ein erheblicher Teil der Einnahmen aus dem Ölgeschäft, das auf Verträgen beruht, die mit Bagdad geschlossen wurden, geht also ohnehin an die Kurden. Durch neue Verträge, die sie selbst schließen, erhöhen sie ihren Anteil weiter. Zugleich wird dadurch eine Gebietserweiterung attraktiver: Im kommenden Jahr soll in Kirkuk, der perspektiv-reichsten Ölprovinz Iraks, über die Zugehörigkeit zum kurdischen Gebiet abgestimmt werden. Nachdem die Provinz unter Saddam Hussein »arabisiert« worden war, sind inzwischen viele Kurden dorthin zurückgekehrt und haben aus dem Süden stammende schiitische Araber verdrängt. Dennoch bleibt die Bevölkerung der Provinz gemischt. Neben Kurden und sunnitischen Arabern bilden auch die von Ankara protegierten Turkmenen und die assyrischen Christen beachtliche Gruppen. Die Kurden könnten die Abstimmung jedoch gewinnen, weil sie mittlerweile wohl tatsächlich die größte Gruppe stellen und am ehesten die Möglichkeit hätten, die Abstimmung zu manipulieren.

Zwischen Kirkuk, Bagdad und der iranischen Grenze erstreckt sich die Diyala-Region – zur Hälfte von sunnitischen Arabern bewohnt, zum Teil aber auch stark kurdisch geprägt. Die Region hat ebenfalls Erdölvorkommen, und es gibt Bestrebungen, die Provinzgrenzen neu zu ziehen.

Zumal sich die Regierung der Diyala-Region – und damit auch die Sicherheitskräfte – wegen des Wahlboykotts der sunnitischen Araber vor einem Jahr in den Händen von Schiiten befinden. Weil die Region einigermaßen befriedet erschien, übergaben die USA die militärische Verantwortung an die 5. Division der irakischen Armee. Seither aber klagen US-amerikanische Militärs darüber, dass der Befehlshaber der 5. Division, der schiitische Brigadegeneral Schakir Hulail Hussein al-Kaabi, die Sunniten unterdrückt. Dadurch hat sich die Situation innerhalb kurzer Zeit gründlich verändert: Viele Sunniten der Region haben sich inzwischen den Aufständischen angeschlossen.

Käme es zu einer Dreiteilung der Diyala-Region, wobei Kurden und Schiiten die ölreichen Regionen bekämen und die sunnitischen Araber den Rest, wäre das im Kleinen ein Modell, wie es sich für ganz Irak abzuzeichnen scheint. Doch es könnte auch ganz anders kommen: Wenn sich die USA ganz zurückziehen sollten, säßen die Kurden in einer großen Falle zwischen den Arabern, der Türkei und Iran.

* Aus: Neues Deutschland, 16. November 2006


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